Leichtathletik:Neue Schuhe, neue Technik, neue Weltrekorde

Valencia World Record Day

Letesenbet Gidey aus Äthiopien und Joshua Cheptegei aus Uganda nach ihren Weltrekordläufen.

(Foto: dpa)

Letesenbet Gidey und Joshua Cheptegei verbessern die Weltbestzeiten über 5000 und 10 000 Meter. Beide laufen die Rekorde mit umstrittenen Schuhen - und nach einem Ausfall des weltweiten Dopingkontrollsystems.

Von Joachim Mölter

Es ist hundert Jahre her, dass Paavo Nurmi zum ersten Mal Olympiasieger wurde, am 20. August 1920 triumphierte er in Antwerpen über 10 000 Meter; 31:45,8 Minuten benötigte er dafür. Später sammelte er acht weitere Goldmedaillen ein, 1924 in Paris sogar zwei an einem Tag, erst über 1500 Meter und nur eine halbe Stunde später auch noch über 5000 Meter. Geprobt dafür hatte der "fliegende Finne", wie er wegen seines leichtfüßigen Laufstils genannt wurde, ein paar Wochen vorher in Helsinki: Da nahm er sich immerhin zwei Stunden Zeit, um die Weltrekorde über diese Distanzen auf 3:52,6 beziehungsweise 14:28,2 Minuten zu verbessern. "Dann", so formulierte später ein Geschichtsschreiber, "zog er seine müden Schuhe aus."

In den vergangenen hundert Jahren haben die Leichtathleten mächtige Fortschritte gemacht, vor allem dank neuer Trainingsmethoden, aber auch dank Schuhen, die nicht müde werden, im Gegenteil: Sie scheinen den Läufern Flügel zu verleihen.

Am Mittwochabend hat es in Valencia wieder zwei Lauf-Weltrekorde kurz nacheinander gegeben. Erst rannte die 22 Jahre alte Äthiopierin Letesenbet Gidey die 5000 Meter in 14:06,62 Minuten, vier Sekunden schneller als ihre Landsfrau Tirunesh Dibaba vor zwölf Jahren. Dann folgte der 24 Jahre alte Joshua Cheptegei aus Uganda mit 26:11,00 Minuten über 10 000 Meter, er blieb mehr als sechs Sekunden unter der Zeit des Äthiopiers Kenenisa Bekele aus dem Jahr 2005. Erst Mitte August hatte Cheptegei mit 12:35,36 Minuten über 5000 Meter die 16 Jahre alte Bestmarke von Bekele um zwei Sekunden unterboten.

An der Innenseite der Bahn blinken nun LED-Lichter

Die britische Tageszeitung Guardian fasste das Geschehen von Valencia in einem Satz treffend zusammen: "Nikes umstrittene Lauf-Spikes haben sich erneut als bahnbrechend erwiesen."

Sowohl Gidey als auch Cheptegei trugen bei ihren Rekordläufen nämlich Modelle des amerikanischen Sportartikelherstellers Nike, denen wegen einer dünnen Karbonplatte sowie eines speziellen Schaumstoffes katapultartige Eigenschaften attestiert werden. Die Firma bewirbt ihr Produkt jedenfalls als "schnellste Schuhe der Geschichte"; nach Einführung der ersten Version 2016 übernahmen Nike-Athleten umgehend die Weltrekorde in sämtlichen Straßenwettbewerben bis hin zum Marathon. Wegen des offensichtlichen Vorteils im Vergleich zu Modellen anderer Hersteller, rumort es in der Szene; der Weltverband WA hat die Nike-Schuhe freilich fürs Erste als regelkonform eingestuft.

Die Debatte erinnert an die ebenfalls umstrittenen Bürstenschuhe von Puma, mit denen die amerikanischen Sprinter John Carlos über 200 sowie Vince Matthews und Lee Evans über 400 Meter Ende der Sechzigerjahre Fabelzeiten erreichten, die als Weltrekorde aber nicht anerkannt wurden: Ihre Schuhe unterschieden sich von den herkömmlichen Modellen dadurch, dass sie statt der üblichen sechs Dornen, der sogenannten Spikes, 68 dünne Nadeln an der Sohle hatten und dadurch griffiger waren auf den damals neuen Kunststoffbahnen. Auf Intervention der Konkurrenz begrenzte der Weltverband jedoch die Zahl der erlaubten Spikes, womit die Bürstenschuhe dann quasi verboten waren.

In der Pandemie lagen auch die Dopingkontrollen auf Eis

Die aktuelle Läufer-Generation kann allerdings auf ein weiteres technisches Hilfsmittel zurückgreifen, das nicht an den Füßen hängt: das sogenannte Wavelight, eine Licht-Technologie. Die an der Innenseite der Bahn installierten LED-Lichter zeigten Cheptegei bereits beim 5000-Meter-Rekord in Monaco an, wie er in der Zeit lag; sie kamen in Valencia erneut zum Einsatz und halfen den Läufern, das Tempo zu halten.

"Ich habe seit sechs Jahren von diesem Rekord geträumt", sagte die mehrmalige Cross-Weltmeisterin Letesenbet Gidey nach ihrem Rennen: "Ich möchte Valencia danken dafür, dass es mir die Chance dazu gegeben hat." 10 000-Meter-Weltmeister Cheptegei sprach nach seinem zweiten Weltrekord innerhalb von zwei Monaten und dem dritten in diesem Jahr (im Februar war er die fünf Kilometer auf der Straße in 12:51 Minuten gelaufen): "Das ist nur die Grundlage für das, was ich in den kommenden Jahren noch erreichen möchte."

Die ungewöhnlich rasanten Fortschritte der Läufer während der Corona-Krise werfen freilich nicht nur wegen der Schuhe Fragen auf, sondern auch in anderer Hinsicht. Die Athleten können zwar nichts dafür, aber wegen der weltweiten Reisebeschränkungen, die es im Frühjahr zur Hochzeit der Pandemie gab, lagen ja auch die Doping-Kontrollen auf Eis - und die Glaubwürdigkeit in der Leichtathletik ist nicht so hoch, dass man allen Akteuren blind vertrauen könnte.

Selbst der legendäre Paavo Nurmi griff ja schon zu unterstützenden Mitteln, wie man heute weiß. 1931 pries er ein Medikament namens Rejuven an: "Ich war verblüfft, wie es den Körper stärkt und kann es Athleten mit einer langen, anstrengenden Wettkampfsaison wärmstens empfehlen." Nach heutigen Regeln würde das Mittel als Anabolikum gelten und wäre damit verboten.

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Er lässt das Schwere leicht aussehen: Ugandas Joshua Cheptegei bricht in Monaco die 16 Jahre alte Bestmarke über 5000 Meter. So spitzbübisch wie sein Lauf geraten auch die Erklärungen.

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