Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Wann ist eine Frau eine Frau?

Caster Semenya gegen den Weltverband: Vor dem Cas wird gerade eine Zukunftsfrage des Sports verhandelt.

Von Joachim Mölter, Lausanne/München

Das Château de Béthusy ist eines von vielen ehrwürdigen Gemäuern in Lausanne, erbaut im 18. Jahrhundert als Lustschloss für den Grafen Paul d'Huc. Inzwischen wird das Haus für seriösere Tätigkeiten genutzt, der Internationale Sportgerichtshof Cas ist dort eingezogen. In diesem geschichtsträchtigen Gebäude verhandelt er gerade "die Zukunft des Frauensports", wenn man Sebastian Coe glauben mag, dem Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF. Im Fall der Athletin Caster Semenya gegen die IAAF hört ein dreiköpfiges Richtergremium in dieser Woche die Parteien an; ein Urteil soll Ende März verkündet werden. "Wie ich aus Gesprächen mit Präsidenten anderer Sportverbände weiß, warten sie mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung", hat Coe neulich der FAZ gesagt.

Worüber der Sportgerichtshof urteilen soll, ist im Grunde aber nur die Frage: Wann ist eine Frau eine Frau?

So einfach die Frage klingt, so schwer wird um die Antwort gerungen. Der Cas muss dabei medizinische, biologische, juristische, soziologische, gesellschaftliche, kulturelle sowie ethische Aspekte berücksichtigen, und sportliche natürlich auch.

Konkret geht es um eine sogenannte "Testosteron-Regel", welche die IAAF zum 1. November 2018 einführen wollte. Derzufolge sollten nur Frauen an internationalen Rennen zwischen 400 Metern und einer Meile (1609 Meter) teilnehmen dürfen, die nachweisen können, dass sie in den sechs vorangegangenen Monaten einen Grenzwert von fünf Nanomol körpereigenes Testosteron pro Liter Blut einhielten.

Die Südafrikanerin Caster Semenya, 28 Jahre alt, zweimal Olympiasiegerin und dreimal Weltmeisterin über 800 Meter, hat mit aufschiebender Wirkung gegen diese Regelung geklagt, sie fühlt sich diskriminiert. Wenn man bedenkt, dass Semenya im vorigen Jahr Afrikameisterin über 400 und 800 Meter war sowie Commonwealth-Gewinnerin über 800 und 1500 Meter, dass sie außerdem die nationalen Rekorde über 400, 800 und 1500 Meter hält, liegt der Gedanke nahe, dass die IAAF eine neue "Lex Semenya" schaffen will, wenn sie die Regel nur für Distanzen vorsieht, auf denen die Südafrikanerin vorneweg rennt.

Es geht in der ganzen Angelegenheit aber nicht nur um Semenya; sie hat bloß ein neues Bewusstsein geweckt für genetisch bedingte Sonderfälle im Sport, als sie bei der WM 2009 in Berlin als 18-Jährige die 800 Meter gewann in einer Zeit, 1:55,45 Minuten, die bis dato nur drei Frauen jemals unterboten hatten. Die IAAF veranlasste daraufhin eine Untersuchung, deren Ergebnis zwar vertraulich behandelt wurde, aber nicht schwer zu erraten war: 2011 installierte der Weltverband nämlich eine Richtlinie zu weiblichem Hyperandrogenismus - unter diesem Begriff versteht man eine deutlich erhöhte Produktion des Körpers von Androgenen, also Sexualhormonen, die eine vermännlichende Wirkung haben und dadurch vermutlich auch eine leistungssteigernde.

Die IAAF legte einen Grenzwert fest, damals zehn Nanomol körpereigenes Testosteron pro Liter Blut, Semenya musste ihren Hormonhaushalt offenbar künstlich mit Medikamenten herunterpegeln, ein paar Jahre lief sie jedenfalls ihren besten Zeiten hinterher, um sechs, sieben Sekunden.

2015 brachte dann eine indische Sprinterin die Richtlinie vor dem Cas zu Fall; die IAAF wurde aufgefordert, innerhalb von zwei Jahren wissenschaftlich nachzuweisen, dass erhöhte Testosteronwerte bei Frauen tatsächlich zu signifikant besseren Leistungen führen, ihnen also einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Coe und seine Mitstreiter glaubten 2017 bereits, die geforderten Nachweise erbracht zu haben, zumindest teilweise: Statt bei zehn Nanomol zogen sie nun den Grenzwert bei der Hälfte, und statt für alle Disziplinen galt die Einschränkung nur noch für einige Laufwettbewerbe. Drei Wissenschaftler aus Norwegen, Südafrika und den USA wiesen jedoch umgehend Fehler in der Studie nach.

Nun wird also vor dem Sportgericht gestritten, ob die IAAF einen Testosteron-Grenzwert für Frauen einführen darf. Dabei wird auch die Frage verhandelt, wie generell - auch in anderen Sportarten - mit Athletinnen umzugehen ist, denen DSD bescheinigt wird, "Differences of Sexual Development", wie der Fachbegriff dafür lautet, wenn jemand aus der herkömmlichen Geschlechterrolle oder -norm fällt.

Semenyas Anwaltsteam forderte jedenfalls vor der Anhörung in Lausanne, "ihr genetisches Geschenk sollte gefeiert und nicht diskriminiert werden". Die Juristen des Leichtathletik-Verbandes warnen vor weitreichenden Konsequenzen, falls das Urteil gegen die IAAF ausfällt. "DSD-Athletinnen werden künftig die vorderen Plätze besetzen und das ganze Preisgeld gewinnen", behauptete der IAAF-Anwalt Jonathan Taylor neulich: "Frauen mit normalen, weiblichen Testosteronwerten werden keine Chance mehr haben." Bei fast allen Frauen läge dieser Wert ja bei weniger als drei Nanomol pro Liter Blut.

Die IAAF hat nun fünf Mediziner für die Anhörung aufgeboten, darunter ein Mann, der sich zur Frau umwandeln ließ. Semenyas Team hält mit sechs Professoren und drei Doktoren dagegen. Es geht hochemotional zu. Und man ahnt, dass es keine Entscheidung geben wird, die zur Zufriedenheit aller ausfällt.

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SZ vom 20.02.2019
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