Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Tag der Revanche

Geher-Olympiasieger Alex Schwazer, wegen eines mutmaßlichen Doping-Vergehens gesperrt, erkämpft sich nach Jahren einen spektakulären Sieg. Der Südtiroler sei hereingelegt worden, urteilt ein Gericht.

Von Oliver Meiler, Rom

In Kalch, einem Bergdorf im Südtiroler Jaufental, feiert ein Mann einen späten und bitteren Sieg. Alex Schwazer, 36, früher einmal der beste Geher der Welt, Gold über 50 Kilometer bei den Olympischen Spielen von Peking 2008, findet nach fast fünf Jahren dunkler Stigmatisierung und Dopingsperre zurück zum Lachen. Das Landgericht von Bozen hat das Strafverfahren gegen ihn eingestellt und erhebt gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und den Leichtathletik-Weltverband (WA): Betrug, Fälschung von Dokumenten, Verleumdung.

Schwazer, heißt es in dem 87-seitigen Bericht, habe 2016 nicht gedopt. Vielmehr gebe es klare Hinweise darauf, dass die fragliche Urinprobe nachträglich manipuliert worden sei - in Stuttgart oder in Köln. Kurz: Schwazer sei reingelegt worden. Das Gericht bestätigt damit die These, die Schwazer selbst und sein Trainer Sandro Donati seit Beginn der Affäre immer wieder vorgetragen haben, nämlich, dass sie für ihre Kritik am heuchlerischen Umgang mit Doping bezahlten. Die Sperre sei die Folge eines Komplotts.

Verschwörungstheorien hören sich zunächst immer etwas dubios an, gerade bei Doping und in diesem Fall besonders. Er begann schon kurios. Für die Urinprobe kamen die Fahnder des internationalen Leichtathletik-Verbandes am Neujahrstag 2016, um sechs Uhr früh - nach Kalch, zu Schwazer nach Hause. Der Athlet bereitete sich in jener Zeit auf die Sommerspiele in Rio de Janeiro vor. Ziel war es, den Erfolg von 2008 zu wiederholen. Es war eine Rückkehr: Vor den Spielen in London 2012 hatte Schwazer zugegeben, gedopt zu haben. Er wurde für vier Jahre gesperrt. Rio sollte für ihn die Rehabilitierung sein.

Die ganze Operation war als Wette angelegt, es war auch eine Wette gegen das System. Sandro Donati, der Trainer, heute 73, bot sich an, Schwazer zu coachen. Er war diesem System schon immer ein Dorn im Auge. Jahrelang leitete Donati die Forschungsabteilung des italienischen Olympiakomitees: engagiert, trotz knapper Mittel. Er ist so etwas wie das Gesicht der Italiener im Kampf gegen Doping, der Experte der Materie - auch im Radsport und im Fußball. Schwazer und Donati traten als kämpferisches Duo auf. In den Zeitungen erschienen Fotos der beiden: Donati auf dem Rad, Schwazer schwitzend beim Gehen.

Bei der zweiten Untersuchung war die Probe positiv: auf anabole Steroide

Die Urinprobe vom Neujahrstag 2016 trug ein Etikett mit der Ortsmarke, was sonst nie vorkommt. Die Anonymität war dahin, in Kalch im Jaufental gibt es neben Schwazer keinen Spitzensportler, der getestet werden müsste. Die Probe kam über Stuttgart, wo sie zwischengelagert wurde, in ein Labor in Köln. In der ersten Durchsicht war sie unauffällig, bei einer später angeordneten zweiten Untersuchung hingegen positiv: auf anabole Steroide.

Schwazer wurde für acht Jahre gesperrt, Rio war dahin, die Karriere gleich mit. Nicht wenige dachten wohl: einmal Doper, immer Doper! Doch Schwazer hängte sich rein in die Justizschlacht, und Donati überzeugte ihn, sich trotz allem fit zu halten. Für den Tag der Revanche. Die italienischen Medien feierten die Wende am Landgericht wie einen Triumph. "Jetzt lasst Alex wieder gehen", titelt die Gazzetta dello Sport auf der ersten Seite. Die Würde sei zurück, nun habe er es verdient, dass er zu den Sommerspielen nach Tokio fahren dürfe. Sportlich, sagt Schwazer, sei er bei etwa 40 Prozent, er trainiere ja auch nicht mehr so oft wie früher. Doch er könne es schaffen.

Seine Frau machte ihm einen Schokoladenkuchen - mit fünf Zuckerringen

Komplizierter ist die juristische Lage. Die Sportjustiz sieht Gnadenerlasse vor, doch Dopingfälle sind ausgenommen. Kann Schwazer beim ortskompetenten Schweizer Bundesgericht Berufung einlegen, gegen die Strafe des Internationalen Sportgerichtshofs in Lausanne? Oder bleibt nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte? Schwazer könnte dort vielleicht geltend machen, dass er keinen fairen Prozess erhalten habe. Doch wie lange würde ein solches Verfahren dauern? Unterdessen wehren sich Wada und World Athletics gegen die Vorwürfe des Bozener Landesgerichts. "Entsetzt" sei man über die "rücksichtslosen und unbegründeten Anschuldigungen des Richters", heißt es in einer Stellungnahme. Man prüfe rechtliche Schritte.

Der Zeitung La Repubblica erzählte Schwazer, seine Frau habe ihm zur Feier des Tages einen Schokoladenkuchen gebacken: "Obendrauf legte sie fünf Zuckerringe - was für eine großartige Frau ich doch geheiratet habe!"

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