Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Sprinter zu vermieten

100-Meter-Läufer Sven Knipphals setzt bei der Team-EM seine erfolgreiche Saison fort - trotz seiner finanziellen Sorgen.

Von Johannes Knuth, Tscheboksary/München

Sven Knipphals hat sich neulich mit Klaus Allofs getroffen. Beide sind für den VfL Wolfsburg tätig, Knipphals als Sprinter für die Leichtathletiksparte, Allofs als Manager der Fußballabteilung. Den Fußballern war es in Wolfsburg bis zuletzt ziemlich egal, dass auf der anderen Seite des Mittellandkanals ein paar Leichtathleten herumliefen, seitdem Allofs beim VfL die Geschäfte führt, hat sich das allerdings geändert. Knipphals erzählte Allofs also ein bisschen von sich, von seinen Sorgen, die eine Existenz in der Leichtathletik-Mittelschicht so mit sich bringt; er fahndet ja seit längerem nach einem Unternehmen, das ihm Sportkleidung stellt. Woraufhin Allofs sagte: "Geh mal in unseren Keller und hol dir ein paar Klamotten."

Die besten deutschen Leichtathleten waren am Wochenende bei der Team-EM in Tscheboxary/Russland tätig. Sie wurden Zweite (346,5 Punkte), bewiesen Vielfalt und Stärke, auch wenn ihnen die Gastgeber am Ende deutlich entwischten (368,5). Da waren die Etablierten, die ihre Disziplinen gewannen, die Kugelstoßer David Storl und Christina Schwanitz, Speerwerferin Christina Obergföll, Stabhochspringern Silke Spiegelburg. Da waren Aufsteiger wie Gesa-Felicitas Krause (Sieg über 3000 Meter Hindernis) und Richard Ringer (3000 Meter). Und dann waren da Athleten wie Knipphals. Der 29-Jährige ist quasi eine Kreuzung, ein etablierter Aufsteiger. Er ist seit längerem Mitglied der nationalen Spitze und Inhaber der einen oder anderen internationalen Staffelmedaille. Seit diesem Jahr ist er erstmals der schnellste Deutsche über die 100 Meter. Anfang Juni verbesserte er seine Bestzeit über die 100 Meter auf 10,13 Sekunden, am Samstag durfte er den DLV erstmals bei der Team-EM auf dieser Strecke vertreten, er wurde guter Dritter, die Zeit war mäßig (10,50), der Gegenwind blies allerdings auch kräftig. Die Norm für die WM in Peking hat Knipphals erfüllt, es läuft gerade ziemlich gut in seinem Läuferleben. Eigentlich.

Tatsächlich ist Knipphals Vertreter einer Spezies, die Außergewöhnliches leistet, die aber nicht gerade entsprechende Arbeitsbedingungen vorfindet. Usain Bolt, Weltrekordhalter aus Jamaika, verdiente im abgelaufenen Geschäftsjahr rund 18 Millionen Euro, das hat das Magazin Forbes ausgerechnet. Knipphals, der schnellste Deutsche, erwirtschaftet mit seinem Sport derzeit rund 1000 Euro, monatlich. Er liegt damit über dem Schnitt, den eine Studie der Sporthilfe für einen deutschen Spitzensportler im olympischen Gewerbe ermittelt hat (626 Euro). Knipphals arbeitet also zusätzlich, drei Tage pro Woche als Chiropraktor. Meistens hat er einen 14-Stunden-Tag, Training und Physiotherapie eingerechnet, er muss ja irgendwie sein Jahresbudget zusammenkratzen, rund 30 000 Euro. Die Ausrüster, die Sponsoren, mit denen Bolt seinen Gewinn macht? Die sagen ihm: Komm wieder, wenn du schneller bist; Sportartikelfabrikant Nike strich ihm mit dieser Begründung vor zwei Jahren die Unterstützung. "Dabei war ich gerade WM-Norm gelaufen", erinnert sich Knipphals, "darüber bin ich noch heute sauer." Nike unterstützt jetzt übrigens Justin Gatlin. Der wurde zweimal des Dopings überführt, läuft jetzt schneller als vor seiner Sperre. Na und?

"Die Politiker haben nicht wirklich Ahnung", sagt Knipphals

Knipphals wirbt damit, dass seine Zeiten ohne pharmazeutische Nachhilfe zustande kommen. Das ineffektive deutsche Testsystem kann zwar nicht gerade als Beweis für seine Unschuld herhalten, Knipphals' Leistungsentwicklung wirkt aber zumindest glaubhaft. Sie ist ein Stück weit sein Geschäftsmodell. Seit einem halben Jahr betreibt er eine "Crowdfunding"-Seite im Internet. Jeder aus der "Crowd", der Menschenmasse im Netz, kann etwas spenden, wer ein wenig gibt, erhält eine Autogrammkarte (15 Euro), wer etwas mehr spendiert (250 Euro), der kann Knipphals mieten, für eine persönliche Trainingseinheit zum Beispiel. Ein bis zwei Bestellungen trudeln gerade pro Monat ein, sagt er, das ist nicht überragend, aber Knipphals will ja auch nicht reich werden. Er will ab und zu eine zusätzliche Einheit beim Physiotherapeuten buchen können.

Welchen Spitzensportler will sich die deutsche Gesellschaft leisten? Einen erfolgreichen offenbar, der Eindruck drängt sich zumindest auf, wenn Innenminister Thomas de Maizière "Medaillen und Spitzenplätze" ausruft. "Die Politiker haben nicht wirklich Ahnung vom Sport", entgegnet Knipphals. Er will nicht unverschämt klingen, er will nur an alte Probleme erinnern. Dass Anspruch und Arbeitsalltag noch immer nicht zusammenpassen, dass die Mittelschicht der Leichtathletik auch deshalb schmilzt. Knipphals will schon noch ein wenig weitermachen, mindestens bis zu den Sommerspielen 2016. Nicht nur Allofs unterstützt ihn dabei, mit ein paar Kleiderspenden, auch ein Sponsor der Wolfsburger Fußballer. Der spendierte ihm vor kurzem ein neues Auto.

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SZ vom 22.06.2015
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