Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik: Sprinter vor Gericht:Bis zu fünf Jahre Haft

Bei Olympia 2004 in Athen flüchtete das griechische Sprinterduo Ekaterini Thanou und Kostas Kenteris vor Dopingtests. Jetzt soll ihr Meineidsprozess beginnen - im achten Anlauf.

Michael Gernandt

Es wird doch nicht schon Schluss sein mit all den Ungereimtheiten um Ekaterini Thanou, ein Ende haben mit einem der verschrobensten Fälle des Weltsports? Nicht schon nach sieben Jahre; oder gar elf, wenn man das Jahr 2000 in Betracht zieht, als ein Teil der Geschichte seinen Anfang genommen hatte.

Siebenmal seit der Anklageerhebung durch die griechische Justiz im November 2005 ist ein Prozess gegen die Silbermedaillengewinnerin über 100 Meter bei Olympia 2000 in Sydney aus mehr oder minder merkwürdigen Gründen verschoben worden, zuletzt vergangene Woche wegen Überlastung des Gerichts. Nun aber scheint denen, die den Prozess bisher verhinderten, nichts mehr einzufallen. Am 21. Januar beginnt die Verhandlung, dann soll endlich Recht gesprochen werden in einer Angelegenheit, die Olympia in Athen 2004 ähnlich schwer erschüttert hatte wie die Dopingaffäre Ben Johnson die Spiele 1988 in Seoul.

Es geht in Athen nicht um Doping direkt, auch wenn das Auslöser der Causa war, sondern um Behinderung einer Dopingkontrolle, moralische Urheberschaft für die Erstellung unwahrer Gesundheitsbulletins und ärztlicher Atteste und schließlich um Falschaussagen Thanous und des Mitangeklagten Kostas Kenteris, des Olympiasiegers 2000 über 200 Meter, gegenüber griechischen Behörden. Die hatten einen von den beiden Sportlern vermutlich vorgetäuschten Motorradunfall am Vorabend der Spiele von Athen untersucht. Den Sportlern droht eine Strafe bis zu fünf Jahren.

Situationen wie diese kennt die Leichtathletik: Auch der 2008 degradierten dreifachen Olympiasiegerin von Sydney Marion Jones wurde der Meineidsprozess gemacht, sie stolperte über eine Lüge bei Aussagen über ihre Verwicklung in eine Scheckfälscheraffäre. Das Urteil: sechs Monate Gefängnis. Unter Druck geraten gestand die Amerikanerin gleich noch, gedopt gewesen zu sein bei ihrem Olympiasieg in Sydney über Thanou. Jones' Kollateralschaden: Zwei Jahre Sportsperre und Aberkennung aller Medaillen und Resultate ab 2000.

Worüber nun am Freitag vor einem Athener Gericht gestritten wird, ist die in Teilen immer noch mysteriöse dritte Kontrollverweigerung Thanous am 12.August 2004. Geschehen war damals dies: Gegen 15.30 Uhr checken Thanou und Kenteris im Olympischen Dorf ein, wo für 18.15 Uhr eine Zielkontrolle für die Beiden vorgesehen war.

Als die Kontrolleure ihre Arbeit aufnehmen wollen, sind die Athleten unauffindbar. Sie seien, erfahren die Tester, noch mal weg, um persönliche Sachen zu holen. Auch zur abendlichen Probe für die Eröffnungsfeier, bei der er die olympische Flamme entzünden soll, erscheint Kenteris nicht. Gegen Mitternacht meldet ein TV-Sender, das Sprintpärchen sei auf dem Heimweg vom Haus seines Trainers Christos Tzekos mit dem Motorrad verunglückt und in ein Hospital gebracht worden, 25 Kilometer vom Olympiadorf entfernt.

Das IOC ordnet für den Morgen des 13.August eine Anhörung an, zu der die Sprinter wegen ihrer angeblichen Unfallverletzungen nicht erscheinen. Auch den Termin am 16. nehmen sie nicht wahr, erst am 18. sagen sie aus, woraufhin das IOC ihnen die Olympia-Akkreditierung wegnimmt und den Fall dem Leichtathletik-Weltverband IAAF übergibt.

Die IAAF verhängt im Dezember zwei Jahre Sperre wegen dreier so genannter missed tests - verpasster Termine mit IOC-Kontrolleuren (zwei Versäumnisse führen noch nicht zur Sperre) - im Sommer 2004. Die Strafe hebt der griechische Leichtathletik-Verband Segas im Frühjahr 2005 auf (Coach Tzekos indes wird von Segas für vier Jahre gesperrt wegen Nichtweitergabe des Kontrolltermins am 12.8.2004 an seine Athleten).

Deshalb zieht die IAAF vor den internationalen Sportgerichtshof Cas. In der Übereinkunft der Parteien akzeptiert Thanou, dass es drei missed tests gab; dafür behauptet die IAAF nicht mehr, Thanou sei Testern bewusst entwischt und habe Proben verweigert. Die Sperre jedoch ist Fakt, sie endet im Dezember 2006.

Dass die Anklage vom Athener Gericht in dieser Woche abgewiesen wird, der Unfall nicht vorgetäuscht war, um der dritten Kontrolle zu entgehen: höchst unwahrscheinlich. Was aber, wenn es zu einem Deal kommt, aus dem herauszulesen ist, dass Thanou damals kein "unakzeptables Benehmen" an den Tag gelegt und der olympischen Bewegung keine "Schande" bereitet hat?

Derart argumentierend hatte das IOC Thanou den Start bei den Spielen 2008 in Peking untersagt und ihr, der offiziell Sauberen, 2009 das Gold verweigert, das sie nach Platz zwei bei Olympia in Sydney von der überführten Marion Jones hätte übernehmen sollen. "Eine Goldmedaille überreichen bedeutet, dass man jemandem eine Ehre erweist, und deshalb ist die Frage, ob sie solch eine Ehre verdient. Wir sind der Meinung, dass sie sie nicht verdient", hatte IOC-Disziplinarchef Thomas Bach begründet.

Jetzt wundert sich die Leichtathletik über die entstandene Situation: Die 100 Meter von Sydney sind aus IOC-Sicht die einzige olympische Disziplin seit 1896 ohne eine Goldmedaillengewinnerin; der Leichtathletik-Weltverband führt jedoch Thanou als 100-Meter-Erste mit einem Sternchen und dem Hinweis: "Einer IOC-Entscheidung folgend, wird Thanou nicht mit Gold ausgezeichnet, behält aber Silber." Ekaterini Thanou kommentierte das so: "Das ist die absurdeste Entscheidung in der Geschichte der Leichtathletik."

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SZ vom 21.01.2011/alin
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