Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Solche und solche Weltrekorde

David Rudisha bricht den Weltrekord über 800 Meter, der 13 Jahre lang Bestand hatte. Und die Welt fragt sich: Ist dieser Rekord über jeden Zweifel erhaben? Natürlich nicht.

Thomas Hahn

Die neuesten Zahlen aus dem Kabinett der Alltagswunder sind da. In 1:41,09 Minuten ist David Rudisha die 800 Meter gelaufen. Nach 13 Jahren ist ein Weltrekord gefallen, von dem man schon dachte, er sei nicht mehr wegzukriegen. Und die interessierten Laien fragen: Sind diese Zahlen über jeden Zweifel erhaben? Sie fragen das wohl auch in der Hoffnung, dass jemand mit Ja antwortet, denn die Sehnsucht, ungehemmt fasziniert sein zu dürfen, trägt im Grunde doch jeder in sich.

Aber das Phänomen des Dopings ist in seinen modernsten Ausprägungen zu unerforscht und die Welt-Leichtathletik im Kampf gegen die Manipulation allenfalls manchmal fortschrittlich. Rudishas Rekord über jeden Zweifel erhaben? Natürlich nicht.

Immerhin, es gibt Unterschiede. In den Bestenlisten der Leichtathletik stehen Leistungen aus Zeiten, als die Doping-Bekämpfung nicht einmal ein leeres Versprechen war. Vor allem viele Rekorde bei den Frauen sind Denkmäler des Steroid-Missbrauchs, sie sind seit über 20 Jahren unangetastet und im Sinne der Athletinnen muss man hoffen, dass sie es bleiben. Andere Weltrekorde wie die des Jamaika-Sprinters Usain Bolt liegen so weit über den Marken, die einst nachweislich Gedopte erzielten, dass der Verdacht nahe liegt.

Wieder andere Weltrekorde stehen nur knapp über dem Niveau früherer Generationen und scheinen tatsächlich die natürliche Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit anzuzeigen: Der Brite Sebastian Coe ist 1981 der erste 800-Meter-Läufer unter 1:42 Minuten gewesen (1:41,73), 15 Jahre später dominierte der Kenia-Däne Wilson Kipketer und schraubte den Rekord schrittweise bis zu seinen 1:41,11 1997. Seither ist nur Rudisha ähnlich schnell gewesen.

Und wenn man nun seinen Weltrekordlauf von Berlin sieht, diesen Sprint über zwei Runden, ist kaum vorstellbar, dass jemals jemand diese Distanz viel schneller zurücklegen kann - dabei ist Rudisha nur um zwei Hundertstelsekunden besser gewesen als einst Kipketer.

Zugegeben, der Gedanke ist etwas konstruiert. Könnten die 1:41 nicht auch die Grenzen des Dopings im 800-Meter-Lauf zeigen? Er ist wohl doch nur der kraftlose Versuch, außer Zynismus noch eine weitere Sichtweise auf die Leistungsschau anzubieten. Was kann der menschliche Körper leisten? Beim Laufen spielen Materialfragen kaum eine Rolle, deswegen liefert es mit seinen Rekorden so unmittelbare Antworten auf diese Frage. Zumindest theoretisch. In der Praxis haben die Doping-Erfahrungen der vergangenen Jahre, die Glaubwürdigkeit aller Rekorde untergraben. Die Wahrheit kennen nur Rudisha und seine Leute. Der Rest muss hoffen, nicht an die falschen Alltagswunder zu glauben.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2010/jüsc
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