Start der Leichtathletik-Saison:Wie geht die Leichtathletik mit dem Semenya-Urteil um?

Caster Semenya

Caster Semenya klagte vor dem Sportgerichtshof - und verlor.

(Foto: AP)
  • Die Leichtathletik steht vor einer wegweisenden, aber komplizierten Saison.
  • Werden Strecken wie die 1500 Meter wegen des neuen Testosteron-Grenzwerts erst mal ausgesetzt?
  • Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Johannes Knuth

Wie reagiert die Szene auf das Urteil im Fall Caster Semenya?

Emotional. Was wenig überrascht nach einem Verdikt, in dem der Sportgerichtshof Cas behauptet, man dürfe eine Minderheit diskriminieren, um eine Mehrheit zu schützen. Beziehungsweise: Athletinnen wie Semenya, deren Körper ungewöhnlich viel Testosteron produziert, müssen ihren Hormonspiegel mit Medikamenten senken, wenn sie künftig bei den Frauen starten wollen. "Das ist ein enttäuschendes Urteil, eine Verletzung ihrer Menschenrechte", sagte die südafrikanische Frauenministerin Bathabile Dlamini.

Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), glaubt dagegen, dass das einen "sportlich fairen Wettkampf" gewährleiste. Schräg nur, dass der Cas auch "ernste Bedenken" anmeldet, weil ungewiss sei, wie sich die dafür nötige Hormongabe an Athletinnen auswirkt. Und dass er der IAAF empfiehlt, den Paragrafen für Strecken wie 1500 Meter erst mal auszusetzen, wegen der dünnen Beweislage.

Als IAAF-Präsident Sebastian Coe am Freitag gefragt wurde, ob er dieser Empfehlung nachkommen wolle, sagte er übrigens: "Nein."

Was bedeutet das für die neue Saison?

Am Freitag, beim ersten Diamond-League-Meeting in Doha, wird Semenya noch mal über 800 Meter antreten, ihre beste Disziplin. Auch Francine Niyonsaba hat ihr Kommen bestätigt, eine von Semenyas schärfsten Konkurrentinnen, die ebenfalls von der neuen Testosteron-Regel betroffen ist. Ab dem 8. Mai müssen Athletinnen wie Semenya ihre Werte künstlich herunterdimmen, wollen sie bei der WM Ende September starten. Bis dahin sind sie bei internationalen Rennen nicht zugangsberechtigt, von 400 Metern bis zur Meile.

Sie können natürlich auf andere Disziplinen ausweichen; Semenya testete bei den Landesmeisterschaften zuletzt über 5000 Meter (und gewann locker in 16:05 Minuten). Von 2011 bis 2015 hatte sie ihre Werte schon mal unter einen Grenzwert pressen müssen, wurde 2012 noch Olympiasiegerin über 800 Meter, entfernte sich dann aber bis zu sieben Sekunden von ihrer Bestzeit.

Was kommt noch auf die Athleten zu?

In Doha bricht die Saison an, in Doha hat sie spät ihren Höhepunkt: Die WM findet diesmal im Emirat statt, und zwar nicht wie üblich im August, sondern Ende September. Dazwischen liegen alle übrigen Hingucker: die 14 Meetings der Diamond League, der höchsten Wettkampfserie also, deutsche Titelkämpfe und Stadionfeste. Viel zu lang, als dass die Athleten ihre Form auf einem stabil hohen Niveau halten könnten.

"Der Plan ist, dass wir innerhalb des Jahres eine kurze Pause machen", sagt Thomas Röhler, der aktuelle Speerwurf-Olympiasieger und Europameister. Eine weitere Herausforderung: Die folgende Saison bricht dann sehr früh an, die Sommerspiele 2020 beginnen Ende Juli. Gut möglich, dass Athleten wie Röhler in diesem Jahr bei Meetings seltener auftreten, um im kommenden Jahr präpariert zu sein für die Hauptvorstellung in Tokio.

Moment mal - eine WM im Spätherbst?

Nun, die IAAF hat offenbar festgestellt, dass es in Katar im Sommer völlig überraschend sehr, sehr warm wird. Da sich auch bis Ende September daran nicht arg viel ändert, haben die Ausrichter ihr Stadion bereits mit einer Klimaanlage ausgerüstet, die angeblich ganz prächtig funktioniert. Eine vollwertige Marathonstrecke können aber nicht mal die Katarer herunterkühlen. Die 42,195 Kilometer der Männer und Frauen beginnen daher, kein Scherz, um kurz nach Mitternacht.

Katar, das kleine Emirat als Veranstalter

Warum vergibt die IAAF dann überhaupt eine WM in die Wüste?

Katar hamstert seit Jahren Großereignisse, im Handball, Turnen, in der Leichtathletik, im Fußball. Zum einen, um das Prestige aufzupolieren, zum anderen sind sie für das kleine Emirat, das von seinen Nachbarn gerade isoliert wird, eine außenpolitische Versicherung. Die besorgt sich Katar teils mit legalen Kniffen - kurz vor der Doha-Kür der IAAF lagen auf den Tischen der Stimmberechtigten plötzlich millionenschwere Sponsoren-Zusagen. Beim kenianischen Funktionär Isaiah Kiplagat standen kurz nach der Wahl auch zwei schicke Geländewagen auf dem Hof. Die IAAF sperrte Kiplagat, für die eher nicht so legalen Motive der Gönner aus dem Morgenland interessierte sie sich bis zuletzt aber eher weniger.

Klingt seriös.

Nun, IAAF-Primus Coe scheint eine insgesamt eher, wie soll man sagen, selektive Aufmerksamkeit zu pflegen. Coe, seit 2015 Präsident, ging jahrelang bei seinem Vorgänger Lamine Diack in die Lehre, will von der damals angeblich grassierenden Korruption im Verband (die Diack bestreitet) aber nichts mitbekommen haben.

Selbst als Coe Emails erhielt, in denen stand, wie russische Marathonläuferinnen sich bei Diack nach positiven Dopingtests freikaufen konnten, habe er nichts geahnt - weil er die entsprechenden Anhänge nicht geöffnet, sondern an die IAAF-Ethiker weitergeleitet habe. Jene Ethiker urteilten vor Kurzem, dass Coe sich in dieser Angelegenheit alles in allem doch ganz okay verhalten habe. Wenn Verbände sich selbst untersuchen, könnte man daraus mittlerweile fast ein eigenes Krankheitsbild ableiten - wie wäre es mit "Akuter Desinteressitis"?

Und was machen die großen Reformen, die Coe vor vier Jahren versprach?

Die sind erst für 2020 geplant. Das eine ist eine Weltrangliste, die mehr Übersicht schaffen soll und über die ein Teil der Startplätze für Tokio vergeben wird. Dieses Ranking sollte schon 2019 die Qualifikation für die WM in Doha entscheiden, war aber so umstritten, dass die IAAF es jetzt erst mal zur Probe laufen lässt. Die Ergebnisse, die die Athleten seit Anfang Mai erzielen, fließen allerdings bereits in die Rangliste ein und werden im kommenden Jahr für die Tokio-Qualifikation berücksichtigt.

Das andere ist die Diamond League, die oft für ihr schwerfälliges Format kritisiert wurde. Ab 2020 wird sie beschnitten, von 14 auf 12 Meetings und von 32 auf 24 Disziplinen. Das Publikum verlange nun mal nach kürzeren, knackigeren Wettkampf-Häppchen, teilte die IAAF mit, das habe die rauschhafte EM 2018 in Berlin ja erst gezeigt. Die deutschen Meisterschaften, die diesmal Anfang August in Berlin stattfinden, haben sich davon ebenfalls inspirieren lassen.

Wie kommt das an?

Geht so. Viele Athleten beklagen, dass ihnen dank dieser Schlankheitskuren weitere Start- und Verdienstmöglichkeiten entgehen werden. In Deutschland regte sich heftiger Protest, weil der DLV die Felder bei den nationalen Titelkämpfen durch strengere Normen ausdünnen will. Gut für den Zuschauer, nicht so gut für die zweite und dritte Athletenreihe, aus der sich ja auch die künftige Spitze rekrutieren soll.

Apropos Spitze ...

Die ist im DLV durchaus passabel besetzt, quer durch viele Disziplinen. Auch wenn viele EM-Medaillengewinner von 2018 bei der WM auf ein ganz anderes Niveau prallen werden. Und Athletinnen wie Konstanze Klosterhalfen werden von unbequemen Debatten begleitet. Die 22-Jährige verkündete vor Kurzem, dass sie sich fest der Trainingsgruppe von US-Coach Alberto Salazar in Portland angeschlossen hat. Dort ermittelt noch immer die US-Anti-Doping-Behörde, weil Salazar gegen diverse Vorschriften verstoßen haben soll.

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