Leichtathletik:Schnelle Brüder, eine rasende Studentin und deutsche Techniker, die dominieren

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Ausgezeichnet in Sport und Wissenschaft: Dina Asher-Smith (rechts). (Foto: Shaun Brooks/imago)

Die EM in Berlin wird zum Beleg, wie vielfältig die europäische Topleichtathletik ist. Sechs Kurzporträts.

Von Christian Brüngger

Familie Ingebrigtsen: Drei Brüder im Wettlauf

Dass es Geschwister in die Spitzenleichtathletik schaffen, ist kein neues Phänomen. Dass allerdings gleich drei Brüder die europäischen ­Bestenlisten prägen, ist hingegen einzigartig. Beim Diamond-League-Meeting in Monaco stürmte Filip Ingebrigtsen über 1500 Meter in herausragenden 3:30,01 Minuten. Der WM-Dritte ist nun der Schnellste in der Familie: Zuvor ­hatte Henrik, der Europameister von 2012, mit 3:31,46 den familiären Spitzenplatz inne. Mittlerweile aber ist der Schnauzbartträger bloß noch die Nummer 3.

Denn mit Jakob, dem 17-jährigen, hat sich der Zweitjüngste einer Großfamilie aus dem Südwesten von Norwegen noch vor ihn geschoben. Unfassbare 3:31,18 lief Jakob ebenfalls in Monaco und folgt damit in der europäischen Bestenliste hinter Bruder Filip. Zumindest rangmäßig kann Henrik ihn allerdings noch bezwingen: Er ist der Jahresschnellste über 5000 Meter. Aussichtsreich ist darum die Perspektive, dass die Familie mit einem kompletten Medaillensatz von Berlin heimreisen wird.

Dina Asher-Smith: Das smarte Talent

Wenn es einen logischen Weg an die Spitze gibt, ist Dina Asher-Smith das Vorzeigebeispiel: Stets war die Britin ein bis zwei Schritte schneller als ihre Gegnerinnen. Mit 13 war sie die Weltbeste über 300 Meter, mit 17 debütierte sie bei einer WM. ­Mit 18 war sie Olympiafünfte über 200 Meter und mit 19 über dieselbe Distanz Europameisterin.

Selbst ein Fußbruch 2017 konnte die Frohnatur nur kurzzeitig in ihrer Entwicklung bremsen, auch wenn sie den Fuß weiter spürt: Als Jahresschnellste über 100 und 200 Meter reist die mittlerweile 22-Jährige an. Asher-Smith ist doppelt begabt: Sie studiert neben dem Sport am renommierten King's College in London Geschichte. Den Bachelor schloss sie mit Topnoten ab. In Berlin könnte sie die große ­Figur werden - und über 100 und 200 Meter sowie mit der Staffel dreimal siegen.

Ramil Guliyev: Der Unübersehbare

Ramil Guliyev ist zwar nicht gerade das bestgehütete Geheimnis der europäischen Topleichtathletik, aber für einen Athleten seines Formats ein international doch ­relativ Unbekannter. Dabei hat sich der 28-jährige Türke ausgerechnet in einer Disziplin an die Weltspitze hochgearbeitet, die von dunklen Athleten dominiert wird: 200 Meter. Im vergangenen Jahr holte sich ­Guliyev, der in Aserbaidschan aufgewachsen ist und seit 2011 für die Türkei startet, etwas überraschend WM-Gold. Mit einer Bestzeit von 19,88 Sekunden - diese Saison 19,90 - ist der Kahlkopf mit den auffälligen Tattoos der unangefochtene Favorit bei dieser EM.

Dass man im Zusammenhang mit Guliyev beziehungsweise dessen Leistungen rasch ins Zweifeln kommt, ist verständlich. Er lief die 200 Meter bereits als 19-Jähriger in 20,04. Er zählte also schon als Teenager zur Weltklasse - was kaum ein hellhäutiger Sprinter je von sich sagen konnte. Dass Guliyev dann jedoch gleich fünf Jahre benötigte, ehe er sein goldenes Niveau der Jugendtage wieder erreichte, war schon etwas erstaunlich. Was danach auch ­immer passierte: Seit 2015 ist der schlanke Großgewachsene in Europa über die halbe Bahnrunde der Topathlet.

Sandra Perkovic: Der Wurf der Kroatin

Sandra Perkovic muss man anlasten, dass das Diskuswerfen der Frauen einseitiger kaum sein könnte: Denn wo auch immer die 28-jährige Kroatin normalerweise antritt, gewinnt sie auch. Viermal hat sie ­bereits eine EM für sich entschieden (2010 bis 2106), hinzu kommen zwei WM-Titel (13/17) und zwei Olympiasiege (12/16). In Europa wirft sie so viel weiter als ihre Mitstreiterinnen, dass sie selbst an einem Tag, an dem sie nicht einmal ansatzweise ihr Durchschnittsniveau erreicht, noch locker gewinnt.

Perkovic müsste sich also schon selber schlagen, wollte sie sich um ihren fünften Einzeltitel bei ­Kontinental-Meisterschaften bringen - und damit in puncto Goldmedaillenzahl zu Mo Farah (Langstrecken) und Heike Drechsler (Sprint/Weit) aufschließen.

Vetter und seine Kollegen: Die deutsche Speerwand

Lange waren die Finnen die führenden Speerwerfer, diesen Ruf aber haben sie seit ein paar Jahren ­verloren. Denn die deutschen Techniker dominieren die Szene in einer zuvor nie gesehenen Breite: Mit ­Johannes Vetter (92,70 Meter), ­Andreas Hofmann (92,06) und Thomas Röhler (91,78) führen nicht nur drei Deutsche die Weltbestenliste an, sondern alle diese Athleten haben in dieser Saison auch gleich die magischen 90 Meter locker übertroffen.

Das Überraschende dabei: ­Sowohl von Olympiasieger Röhler, 27, Weltmeister Vetter, 25, sowie U-20-Europameister Hofmann, 26, konnte man diese Sonderwürfe erwarten. Sie hatten die Distanz alle schon im Vorjahr locker geknackt. Wenn die Deutschen bei ihrer Heim-EM also in einer Disziplin die großen Favoriten stellen, ist es diejenige mit dem 800-Gramm-Gerät.

Kevin Mayer: Der König auf Abwegen

Wer bei Olympischen Spielen 8834 Punkte erreicht, wird in neun von zehn Fällen Olympiasieger. Doch der Franzose Kevin Mayer hatte das Pech, neben Zehnkampf-Gigant Ashton Eaton groß zu werden. Seit dem Rücktritt des Weltrekordhalters aber ist der 26-jährige Blondschopf sein unbestrittener Nachfolger. Der Weltmeister von 2017 hat sich speziell auf den ­Saisonhöhepunkt vorbereitet, indem er sich auf Einzeldisziplinen konzentrierte und damit einen Zehnkampf ausließ. Vier Bestleistungen stellte er auf und verbesserte sich stark in seinen "schwachen Disziplinen" wie den 110 Metern Hürden oder dem Kugelstoßen. Kurz: Kevin Mayer ist fit für seinen ersten EM-Titel. Zumal sich zurzeit kein europäischer Gegner auf Augenhöhe befindet.

© SZ vom 05.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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