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Leichtathletik:Russland droht Olympia-Bann

Sebastian Coe wird die Post aus Moskau genau studiert haben - doch die Bitte um die nächste Gnadenfrist für Russlands skandalumwitterte Leichtathleten dürfte den Präsidenten des Weltverbandes und seinen Kollegen im Council wohl kaum erweichen. Viel zu lang ist die Liste der Verfehlungen, zuletzt blieb auch noch die Zahlung einer verhängten Strafe in Höhe von fünf Millionen US-Dollar (rund 4,25 Millionen Euro) aus.

"Wir sind sehr enttäuscht", sagte Coe deshalb, die Geduld des Briten scheint endgültig aufgebraucht zu sein. Und so drohen den Russen um Hochsprung-Weltmeisterin Marija Lassizkene, Hürdensprinter Sergej Schubenkow und Stabhochsprung-Weltmeisterin Anschelika Sidorowa noch drastischere Sanktionen. Das Council des Weltverbands (World Athletics) könnte bei seiner Videokonferenz am Donnerstag beschließen, dass Russland gänzlich aus dem Weltverband ausgeschlossen wird. Dies würde auch einem Olympia-Aus gleichkommen, für Tokio im nächsten Jahr - dem zweiten nach Rio vor vier Jahren.

Und deshalb flehte der russische Verband, bei dem zuletzt Jewgeni Jurtschenko nach nur fünf Monaten als Präsident schon wieder zurücktrat, in dem jüngsten Schreiben an Coe, die anstehende Entscheidung doch bitte zu vertagen. Man konnte die Strafe mit der Frist am 1. Juli schlicht nicht tilgen, weil der Verband nicht über "ausreichende Mittel" verfüge. Man sei aber bemüht, "externe Finanzmittel" zu beschaffen. Überhaupt sei man entschlossen, wieder "ein vertrauenswürdiger Verbündeter der Welt-Leichtathletik" zu werden.

Seit der Suspendierung Russlands im November 2015 wegen des massiven Doping- und Betrugsskandals wurden immer wieder Versprechungen gemacht und neue Skandale offenbart, mutmaßlich unbelastete Athleten konnten aber unter neutraler Flagge bei internationalen Wettkämpfen starten. Diese Privilegien könnten nun endgültig einkassiert werden. Lassizkene bat zuletzt sogar Wladimir Putin um Hilfe: Der allmächtige Staatspräsident möge die "katastrophalen Zustände" in der russischen Leichtathletik beenden. Viele Topathleten sind mittlerweile so frustriert, dass sie Russland den Rücken kehren und für andere Länder starten wollen.

Egal was Coe und seine Kollegen entscheiden: Für Doping-Whistleblower Grigorij Rodtschenkow wird die Strafe noch nicht weit genug gehen. Der 61-Jährige forderte zuletzt den Ausschluss aller russischen Sportler von den Spielen in Tokio. "Es sollte ein Pauschalverbot ohne Ausreden und ohne Zulassung für die Athleten geben", sagte der ehemalige Leiter des Moskauer Dopinglabors, der im Zeugenschutzprogramm des FBI in den Vereinigten Staaten lebt, der britischen BBC.

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SZ vom 30.07.2020 / sid
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