Leichtathletik:Ordnung im Werkzeugkasten

22.08.2020, xkaix, Leichtathletik, Deutsche Mehrkampfmeisterschaften - 2020 emspor, v.l. Carolin Schaefer (LG Eintracht

„Ich brauchte einen neuen Anfang“: Die frühere WM-Zweite Carolin Schäfer übt jetzt in der Gruppe des aktuellen Zehnkampf-Weltmeisters.

(Foto: Jan Huebner/imago)

Für Siebenkämpferin Carolin Schäfer zahlt sich der riskante Wechsel in eine neue Trainingsgruppe schon jetzt aus.

Von Johannes Knuth, Vaterstetten

Der Regen hatte sich gerade verzogen, eine schwere, schwarzblaue Dunkelheit legte sich über das Sportzentrum im kleinen Münchner Vorort Vaterstetten, und Carolin Schäfer lächelte. Sie hatte gerade den ersten Tag des Siebenkampfes hinter sich gebracht; die 100 Meter Hürden, der Hochsprung und die 200 Meter waren ihr ganz ordentlich gelungen, das Kugelstoßen weniger, aber für eine Athletin, die sich eher rudimentär auf diese deutschen Mehrkampfmeisterschaften vorbereitet hatte, konnte sie sich jetzt zumindest in ihrer Zufriedenheit sonnen. Blieb nur noch die Frage nach dem zweiten Wettkampftag; und diese Nachfrage hatte Schäfer in der Vergangenheit gerne mal die Freude aus dem Gesicht getrieben. Weitsprung, Speerwurf, 800 Meter, das schmeckte ihr ja nicht so sehr. Aber jetzt? "Komischerweise muss ich echt sagen", sagte Schäfer, "dass ich mich eher auf den zweiten Tag freue." Und tatsächlich beendete auch diesen zweiten Tag mit einem Lächeln, auch wenn sie die erhofften Bestleistungen klar verfehlte.

Na und?

Es ist mittlerweile etwas abgegriffen, wenn man in der Corona-Zeit ständig nach dem Zauber eines Neuanfangs fahndet, aber im Fall von Carolin Schäfer von der LG Eintracht Frankfurt geht das gerade noch so in Ordnung. Auch ihr waren zuletzt zwei große Ziele weggebrochen, nach der Vertagung der Olympischen Spiele und der Absage der Europameisterschaften, aber Schäfer besann sich schnell auf das Geschenk, das ihr durch diese Umstände zugefallen war. Sie hatte sich erst im vergangenen Winter der Trainingsgruppe von Niklas Kaul angeschlossen, dem Zehnkampf-Weltmeister von 2019, nicht mal ein Jahr vor den Sommerspielen 2020 - ein mutiges Projekt. Aber Schäfer hat das Risiko selten gescheut - "Arsch oder König", sagt sie gerne - und nun, mit dem 2021er-Termin, könne man "viel mehr ausprobieren und sich noch besser kennenlernen", erklärte sie in Vaterstetten. Die deutschen Titelkämpfe am Wochenende, die für gewöhnlich im Schatten der Großereignisse und ohne nationale Prominenz stattfinden, waren da auch ein willkommenes Zwischenziel, um den neu eingeübten Lernstoff abzufragen. Was Schäfer mit 6319 Punkten und ihrem zweiten Titel nach 2013 gut meisterte. Schließlich, gab die 28-Jährige noch mal zu bedenken, habe sich "wirklich mein gesamtes Training und mein Umfeld um 180 Grad gedreht".

Das scheint zu passen: Schäfers dynamische Art und die Ruhe der Kauls

Eines sei ihr dabei wichtig, sagte Schäfer: Dass sie "wirklich acht super erfolgreiche Jahre" mit Jürgen Sammert hatte, ihrem alten Trainer. Es waren Jahre voller Höhen und auch Tiefen, 6836 Punkte in Götzis vor drei Jahren - der beste Wert einer Deutschen seit Sabine Brauns Rekord von 1992 (6985) -, der Unfalltod ihres Freundes, WM-Silber 2017 in London, EM-Bronze 2018 in Berlin. Sammert und Schäfer, das war bis zuletzt die erfolgreichste Combo im deutschen Siebenkampf, so etwas lässt man nicht einfach hinter sich. Aber Schäfer fand auch, dass es zuletzt risikobehafteter war, im Vertrauten zu verharren: Die internationale Elite um die Britin Katerina Johnson-Thompson (6981 Punkte) hatte bei der Doha-WM, wo Schäfer mit Knieproblemen ausgesetzt hatte, noch mal einen Schub erlebt; und nach diesem sehnte sich auch Schäfer, damit es für Olympia in Tokio mit einer Medaille klappt, nach Platz fünf 2016. "Ich brauchte einfach einen neuen Anfang", sagte sie nun, "ein paar neue Reize." Das alles fand sie in Mainz, bei Stefanie und Michael Kaul.

Wenn man Michael Kaul fragt, der seinen Sohn seit Jahren mit seiner Frau betreut, trifft man auf einen dieser Menschen, dessen Ego im fundamentalen Widerspruch zu seinen Verdiensten steht. Das Schöne am Mehrkampf, sagte Kaul in Vaterstetten im sanften Mainzer Idiom, sei ja das: "Man ist ständig unzufrieden. Man schiebt einen Schieberegler hoch, dann geht der Regler einer anderen Disziplin wieder runter." Aber dieses "Spiel", das reize ihn. Der Ansatz der Kauls vertraut dabei "ein bisschen mehr auf die allgemeine Athletik": viel Stabilisation, viele kleine Sprünge und zuletzt, nachdem klar war, dass Olympia erst 2021 steigt, sogar ein paar 400-Meter-Hürdenläufe, "einfach um im Training mal ganz andere Ziele zu haben", so Kaul. Sie trainieren auch die Ausdauer gewissenhaft, für die von Schäfer lange verschmähten 800 Meter, die bei vielen eher nebenbei laufen, weil sie sich lieber in die schnellkraftbasierten Disziplinen knien. Aber die Kauls halten das für zu kurz gedacht: Zum einen, sagt Michael Kaul, beeinträchtigen die längeren Ausdauereinheiten das Mehrkampftraining nicht so sehr wie die harten Tempoläufe für die 200 bzw. 400 Meter; zum anderen stärke die Ausdauer auch die allgemeine Regeneration und senke den Muskeltonus. Schäfers langwierige muskuläre Beschwerden seien jedenfalls verschwunden, sie habe zuletzt "voll durschträniert". Überhaupt sei man mit der Zusammenarbeit "subbärzufrieden". Die Kauls hatten das bis zuletzt ja auch noch nie getan: eine Siebenkämpferin zu betreuen.

Für Schäfer scheint das jedenfalls prächtig zusammenzupassen: ihr zupackender, dynamischer Arbeitsethos und die Ruhe der Kauls, die trotz aller frühen Erfolge ihres Sohnes stets alles in den Dienst der Langfristigkeit stellten. Sie spüre "endlich mal wieder Substanz" in ihrem Körper, sagte Schäfer, er sei nun noch etwas besser sortiert, wie ein Werkzeugkasten. Manchmal, wenn sich etwas dem Ende entgegen neigt, kann es ja genauso gut der Anfang von etwas Neuem sein.

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