Leichtathletik:Glücklich im Gewitterregen

Leichtathletik: Emotionale Heimspiele: Die Stimmung im Olympiastadion während der EM hat nicht nur den Athleten (vorne Christina Hering) geholfen.

Emotionale Heimspiele: Die Stimmung im Olympiastadion während der EM hat nicht nur den Athleten (vorne Christina Hering) geholfen.

(Foto: Flatemersch/Beautiful Sports/Imago)

Lange Zeit war unklar, ob die Stadtwerke die LG München auch weiterhin als Hauptsponsor stützen. Dann kamen die European Championships in die Stadt und ließen die Leichtathletik glänzen. Vieles spricht dafür, dass gerade diese Woche im August den nun geschlossenen neuen Vertrag erst möglich machte.

Von Andreas Liebmann

Sie hatten sich überaus schick gemacht für diesen besonderen Abend im April. Durchtrainierte Körper steckten in Abendkleidern, Sakkos, Businesshemden. Pailletten funkelten, Gläser klapperten. Die Liste der Ehrengäste aus Politik und Sport war lang, der Innenminister schickte eine Grußbotschaft, das Fernsehen war da, und das Dreigängemenü schmeckte ausgezeichnet. Fast wäre es wirklich ein perfekter Abend gewesen.

Wenn da nicht jemand gefehlt hätte. Ausgerechnet derjenige, der all das hier in seiner vollen Pracht hätte sehen sollen.

Man muss diese Szene aus dem vergangenen April in einer Lounge des Münchner Olympiastadions vielleicht ein bisschen umdeuten, um den Abend und alles, was seither passiert ist in der Münchner Leichtathletik, besser verstehen und einordnen zu können. Am besten stellt man sich dazu eine Ehe vor, die der Alltag ein wenig überrollt hat, nach 15 Jahren zum Beispiel. Die Frau macht sich also hübsch, bucht einen Tisch beim Lieblingsitaliener, will bei Kerzenschein an die schönen Zeiten erinnern, gemeinsam neue Pläne schmieden für einen romantischen Neuanfang - der Mann aber taucht nicht auf. Wichtiger Geschäftstermin.

Die LG Stadtwerke München, um zurück ins Bild zu kommen, hatte diese erste, durchaus glanzvolle "Munich Athletics Night" damals veranstaltet; doch wer fehlte von all den geladenen Ehrengästen, waren ausgerechnet die Vertreter der Münchner Stadtwerke, des Haupt- und Namenssponsors. Diejenigen, denen man so gerne zeigen wollte, dass die Münchner Leichtathletik-Gemeinschaft jeden Euro wert ist, der in sie investiert wird, und dass sie gerade auch marketingmäßig einen Schritt nach vorne gemacht hat. Raus aus der Nische, rein ins Scheinwerferlicht. Mit einem neuen Präsidenten und einer neuen Geschäftsführerin, die voller Tatendrang gestartet waren, die erstmals ein Meeting mit World-Athletic-Status in die Stadt geholt hatten, in dem es um Weltranglistenpunkte ging. Doch auch wenn das damals niemand aussprach, und auch wenn die durch den Krieg Russlands beginnende Energiekrise jedes Fernbleiben eines Energieunternehmens erklären konnte: Ein bisschen merkte man manchem Gesicht doch an, dass die Laune durch dieses Detail getrübt war.

Den letzten Vertrag hatte noch Kurt Mühlhäuser unterschrieben, der Geburtshelfer der LG Stadtwerke

Denn die Münchner Leichtathletik stand womöglich gerade am Scheideweg. Der Vertrag mit dem Hauptsponsor lief mal wieder aus, und die bevorstehenden European Championships in der eigenen Stadt könnten zwar gute Argumente liefern, die Zusammenarbeit fortzusetzen - aber sie könnten nach 15-jähriger Kooperation ebenso gut als krönender Abschluss dienen. Die Signale waren nicht eindeutig, und im Verhältnis zwischen den Partnern hatte sich etwas Entscheidendes geändert: Kurt Mühlhäuser, der große Leichtathletik-Förderer, der einst sowohl Chef der Münchner Stadtwerke war als auch Präsident der LG und damit Bindeglied zwischen beiden Welten, war im April 2020 gestorben. Den letzten Vertrag mit den Stadtwerken hatte er noch unterschrieben, "der Geburtshelfer der LG", wie ihn der heutige Präsident Jochen Schweitzer nennt.

Leichtathletik: Finale im Scheinwerferlicht: Katharina Trost bei der EM.

Finale im Scheinwerferlicht: Katharina Trost bei der EM.

(Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon/Imago)

Erst heute weiß man, dass die European Championships tatsächlich eine Krönung wurden - aber kein Abschluss. Die Stadtwerke haben ihr Engagement verlängert. Fast zwölf Monate sollte es noch dauern seit jenem Abend, inzwischen fand sogar schon eine zweite Athletics Night statt. Nun aber ist ein neuer Vertrag besiegelt.

Dass beide Seiten wieder wissen, was sie aneinander haben, dürfte schon etwas länger der Fall sein, vermutlich auch im November schon, als die LG in einer Pressemitteilung verkündete, dass sie die Zusammenarbeit mit ihren drei Topathleten verlängert, mit den Mittelstreckenläuferinnen Christina Hering und Katharina Trost und dem Hochspringer Tobias Potye. Wobei Hering, 28, die in München über 800 Meter im Finale lief, trotz Vertragsverlängerung etwas Neues probiert: Im Dezember zog sie nach Berlin, zur Trainingsgruppe von Sven Bugel. "Raus aus der Komfortzone" wolle sie, um im Sommer in Budapest auch ein WM-Finale zu erreichen.

Die Verlängerung des Engagements ist auch für den bayerischen Verband "eine echte Befreiung", sagt Präsident Neubauer

Wer eine Nachwuchsarbeit betreibt, die ihn zuletzt mehrmals in die Top 3 des bundesweiten Vereinsrankings brachte, der braucht einen potenten Geldgeber, und wer das in der Nachbarschaft zum alles überstrahlenden FC Bayern München versucht, der Geldgeber rund um die Landeshauptstadt anzieht wie ein überdimensionierter Industriestaubsauger, dem ist auch klar, dass er bei aller Euphorie nicht mal eben einen neuen Sponsor fände, falls der alte aussteigt. Es ging also um viel für den Zusammenschluss aus elf Münchner Vereinen, dessen Anfänge bis ins Jahr 1987 zurückreichen.

Wie das alles begann damals mit den Stadtwerken, das erzählte Gerhard Neubauer während jener ersten Athletics Night. Der Präsident des Bayerischen Leichtathletik-Verbands, der in München viele Jahre lang als Kugelstoßtrainer aktiv war, wirkte durchaus sentimental, als er sich in seiner Rede an die Achtziger erinnerte. An die ersten drei Vereine, die sich damals zusammenschlossen, weil ihnen der Unternehmer Ulrich Backeshoff dafür seine Unterstützung versprochen hatte - ehe er doch lieber in Milbertshofens Handball investierte; und daran, wie das ganze Konstrukt fortan im Dornröschenschlaf versank, erst 2007 wieder wachgeküsst, als die Stadt beschloss, durch ihre Stadtwerke Schwimmen und Leichtathletik zu fördern.

Leichtathletik: Sein Körper mag keinen Leistungssport: EM-Silber im Hochsprung gab es trotzdem für den Münchner Tobias Potye bei den European Championships.

Sein Körper mag keinen Leistungssport: EM-Silber im Hochsprung gab es trotzdem für den Münchner Tobias Potye bei den European Championships.

(Foto: Kai Peters/Jan Huebner/Imago)

Dass das Sponsoring in München nun weitergeht, in der gleichen Höhe wie vor der EM 2022, das sei auch für den bayerischen Verband "eine echte Befreiung", sagt Neubauer fast ein Jahr nach seiner Rede. "Jetzt können wir vieles weiterstrukturieren." Das Zugpferd LG Stadtwerke ist nun mal wichtig für die gesamte bayerische Leichtathletik. Letztlich ist auch der Bundesstützpunkt an Erfolge von Athleten und die Existenz eines "leistungssporttragenden Vereins" geknüpft - in München ist das die LG.

Zu verdanken sei die Fortsetzung des Sponsorings sicher dem Einsatz des LG-Präsidenten Schweitzer, sagt Neubauer. Der habe es geschafft, die Laufzeit sogar von bislang zwei auf drei Jahre zu verlängern. Auch "die Kommunalpolitik hat das ordentlich unterstützt". Schweitzer sagt, so sei nun gesichert, dass man das gesamte Angebot im Leistungs- und Breitensport beibehalten könne.

Vielleicht hätten alle Mühen trotzdem nicht gereicht, wäre da nicht diese eine Woche Mitte August gewesen: als sich anlässlich der EM im Olympiastadion eine Euphorie aufbaute, von der an jenem Abend im April wohl noch niemand zu träumen gewagt hätte; die vermutlich nach 1972 in dieser Stadt überhaupt niemand für möglich gehalten hätte. Mittendrin feierten zwischen Armand Duplantis und Niklas Kaul, zwischen Konstanze Klosterhalfen und Gina Lückenkemper die Athleten der LG Stadtwerke ihre emotionalen Heimspiele: Neben Hering über 800 lief auch Trost über 1500 Meter ins Finale, und dann war da ja noch Hochspringer Tobias Potye, der sich nach einem Gewitterguss mit Olympiasieger Gianmarco Tamberi maß und nach dem Gewinn der Silbermedaille diese coolen Interviews gab. Von seinem Körper, der "keinen Leistungssport mag", weshalb er seit zwei Jahren keine Technikeinheit absolviert habe.

Auch die Politiker hätten seitdem "Lust auf mehr", sagt Schweitzer und meint: auf mehr große Leichtathletik-Veranstaltungen in der Stadt. Das entscheidende Scheinwerferlicht hing wohl an den Flutlichtmasten im Olympiapark.

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