Die Stepanows hatten das damals ähnlich artikuliert. Mittlerweile geben sie sich defensiv. Bach hatte ihnen im Oktober Unterstützung angeboten, ein Stipendium für Julija, einen Beraterjob für Witalij, sie nahmen beides an. "Wir versuchen, nach vorne zu blicken", sagte Witalij in Berlin. Er berate das IOC derzeit in "großen und kleinen Fragen", zuletzt über die Rolle von Whistleblowern.
Man solle das nicht schlechtreden, so Gäb, aber das IOC könne sich die Hilfe ja leisten, nachdem Russland in Rio besänftigt worden war. "Das Verbrechen ist schon geschehen", sagte Gäb. Deutlicher wurden die Stepanows am Dienstag, als sie nach dem Mentalitätswandel im russischen Sport gefragt wurden. Alle Aussagen aus Russland, die Reformen versprächen, würden von den "Urvätern des staatlichen Dopingsystems stammen. Das sind Lügen", sagte Witalij. Julija assistierte: "Die Trainer, die damals gedopt haben, trainieren weiter. Sie sind die Personen, die das System am Leben halten."
Das sei der vielleicht größte Verdienst Stepanowas, sagte Geipel: Die Erinnerung, dass der systemische Betrug im Sport nicht versunken sei, sondern im Jetzt wurzele. Geipel verwies auf die Wunde des DDR-Dopings, die jeden Tag wieder aufgehe, 30, 40 Jahre später. Und nach allem, was man von den Stepanows wisse, werde man ähnliches "zunehmend auch im internationalen Raum" bezeugen. Auch Gäb erinnerte an die Erfolgszucht der DDR, die er in der just beschlossenen Reform des deutschen Sports wiedererkenne, bei der Fokussierung auf Medaillen. "Ob das den Zwang zum Dopen reduziert?", fragte er.
Stepanowa hat sich vorgenommen, ihre zweite Karriere ohne Doping voranzutreiben. Sie hat, nach vielen Absagen, einen deutschen Trainer aufgetrieben, er betreut sie per Email, über die Zeitzonen hinweg. Sie will die 800 Meter noch einmal in weniger als zwei Minuten laufen. Ohne Doping sei das unmöglich, hatten sie ihr in Russland gesagt. Es ist eine Reise ins Ungewisse. Stepanowas Dopinglaufbahn begann als Jugendliche.