Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:Kleine Oper von Mihambo

Den Leichtathleten wird beim Diamond-League-Finale vor dem Zürcher Opernhaus eine beeindruckende Bühne geboten. Für Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo bleibt dabei nur eine Nebenrolle übrig.

Von Johannes Knuth

Das Zürcher Opernhaus hat in seiner 130-jährigen Historie manchen Granden eine wirklich schöne Bühne geboten, so wurde dort etwa Richard Wagners "Parsifal" zum ersten Mal außerhalb von Bayreuth aufgeführt. In den kommenden Tagen nimmt das Haus nach langer Corona-Pause endlich wieder den Betrieb auf, mit Richard Strauss' "Salome"; am Mittwoch standen aber erst mal die Körperkünstler im Spielplan. Die Organisatoren des Zürcher Leichtathletik-Meetings, der letzten Station der Diamond-League-Serie, hatten sieben Disziplinen in ein kleines Stadion vor das Kunsthaus verpflanzt, ehe am Donnerstagabend die restlichen 25 Wettbewerbe in der Letzigrund-Arena stiegen. Kleine Oper vor der großen gewissermaßen. Eine Million Euro hat das mobile Areal gekostet, das sie dafür am Sechseläutenplatz hochgezogen hatten. Ob solche Projekte die um Aufmerksamkeit ringende Traditionssportart vitalisieren können?

Immerhin hatten die Organisatoren vollbracht, was nicht vielen Direktoren gelingt, die mit der Leichtathletik in die Städte ziehen: Sie hatten eine kleine Auswahl an Disziplinen geboten und zugleich der Vielfalt ihres Sports Tribut gezollt. Die Zuschauer sahen, wie sich die Hochsprung-Olympiasiegerin Marija Lassizkene aus Russland über 2,05 Meter hob und zur Gesamtsiegerin der höchsten Meeting-Serie kürte; sie sahen die 22,67 Meter des Kugelstoß-Olympiasiegers Ryan Crouser (USA) - und auch, wie Francine Niyonsaba aus Burundi auf einer 563 Meter langen Rundbahn ihre Karriere auf der Mittelstrecke forcierte. Niyonsaba war 2016 noch Olympia-Zweite über 800 Meter, hinter einer gewissen Caster Semenya. Seitdem sie wegen ihrer intersexuellen Veranlagung nicht mehr über die kürzeren Distanzen starten darf, gewinnt sie nun eben auf den längeren. In Zürich war sie über 5000 Meter am schnellsten, in 14:28,98 Minuten.

Welch schöne Kulisse auch für Malaika Mihambo, Klavierspielerin, Freundin der klassischen Künste, nebenbei amtierende Europameisterin, Weltmeisterin und neuerdings auch Olympiasiegerin im Weitsprung. Am Mittwoch war es allerdings die Serbin Ivana Spanovic, die mit 6,96 Metern nicht nur am weitesten sprang, sondern vor der klassizistischen Opernfassade auch die schönsten Sprungformen in die Luft malte. Mihambo wirkte etwas überfordert, die Deutsche wurde am Ende Fünfte mit 6,56. (Das umstrittene Format, wonach die drei Tagesbesten im letzten Sprung den Sieger ermitteln, ist für Zürich außer Kraft gesetzt.) Sie habe nach den Spielen nur eine Sprungeinheit absolviert, machte Mihambo geltend, ihr habe zuletzt eine Fersenprellung zu schaffen gemacht. Ihr Fazit: "Ein sehr hartes Jahr." Dank des Olympiasieges sei es dann aber doch ganz "okay" gewesen.

Das war natürlich auch eine Botschaft: Die Kunst, beim Höhepunkt voll da zu sein, reicht der 27-Jährigen längst nicht mehr. Das aktuelle Jahr glich da freilich eher einer mehrstündigen Oper, bei der ihr das wichtigste Solo hervorragend gelungen war - 7,00 Meter im letzten Versuch in Tokio -, davor und danach hatten sich aber einige Dissonanzen eingeschlichen. Mihambo läuft seit dieser Saison wieder mit voller Anlauflänge an, nach Rückenbeschwerden im Corona-Sommer 2020, sie fand aber lange nicht zu ihrem Rhythmus. Das lag offenbar auch daran, dass sie sich nach 16 Jahren unter ihrem Trainer Ralf Weber erst mit dem neuen Dirigenten einspielen musste, dem Bundestrainer Ulrich Knapp, der auch nur eingesprungen war, weil Mihambo nicht wie geplant zu ihrem neuen Trainer-Gespann nach Houston ziehen konnte, dem neunmaligen Olympiasieger Carl Lewis und Leroy Burrell. Mittlerweile, sagte Mihambo zuletzt, seien Knapp und sie "auf einer Wellenlänge".

Weil ihr Umzugsprojekt nach Houston weiterhin stockt, wegen der Corona-Beschränkungen, hat Mihambo mittlerweile entschieden, ihre Karriere fürs Erste mit Knapp in der Heimat voranzutreiben. Ziele habe sie noch genug, versicherte sie zuletzt: Sie wolle schon noch herausfinden, "wie weit ich meine Grenzen noch verschieben kann". Kein schmales Unterfangen bei einer Bestweite von 7,30 Metern. Aber jetzt, sagte Mihambo in Zürich, wolle sie erst einmal ihre Saison ausklingen lassen, am Sonntag beim Istaf in Berlin. Und die nächste Spielzeit, mit der WM in Eugene und der EM in München, wolle sie in erster Linie stimmiger gestalten als die zurückliegende. Manchmal liegt die beste Veränderung ja darin, nicht allzu viel auf einmal zu verändern.

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