Leichtathletik:Eine beeindruckende Aussicht jagt die nächste

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Keinen Blick für die Konkurrentinnen: Konstanze Klosterhalfen bei ihrem deutschen Rekord über die Meile. (Foto: Getty Images)
  • Mit Tatjana Pinto und Konstanze Klosterhalfen stechen in der Diamond League erneut zwei Athletinnen heraus.
  • Die beiden haben sich aus ihrem gewohnten Umfeld herausgewagt.
  • Im Deutschen Leichtathletik-Verband sollen nicht alle davon begeistert sein, dass sich manche Athleten ihren Blicken entziehen.

Von Johannes Knuth, Birmingham/München

Der Blick war eisern nach vorne gerichtet. Als interessiere sich Konstanze Klosterhalfen gar nicht dafür, was hinter ihr passierte, als sei sie ihr eigenes Maß.

Und es stimmte ja auch: Als die Mittelstreckenläuferin am Sonntag bei der Diamond League in Birmingham im Ziel eintraf, hatte sie den nächsten deutschen Rekord an sich gerissen. Diesmal über die Meile, die freilich nicht mehr ganz so sehr wie früher vom Glanz umweht wird. Und der alte Rekord von Ulrike Bruns aus dem Jahr 1985 (4:21,59), der war auch gar nicht so unerreichbar gewesen - zumindest wenn man bedenkt, welche Zeiten Klosterhalfen in diesem Jahr bereits in die Annalen gehämmert hatte: die 8:20,07 Minuten über 3000 Meter etwa, oder die 14:26,76 Minuten über 5000 Meter vor zwei Wochen bei den deutschen Meisterschaften in Berlin.

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Aber gut. Rekord ist Rekord, und in Birmingham windete es am Wochenende kräftig, weshalb Klosterhalfen auf den letzten Runden, die sie einsam und festen Blickes an der Spitze bestritt, "sehr viel Kraft" aufwenden musste. Die neue Bestmarke stimme sie daher "überglücklich", und nebenbei hatte sie auch noch zum ersten Mal ein Rennen in der höchsten Meeting-Serie der Leichtathletik gewonnen.

"Es geht den Trainern um jedes Detail", sagt Klosterhalfen

Man fühlt sich bei Klosterhalfen oft an eine Wanderung im Hochgebirge erinnert. Eine beeindruckende Aussicht jagt die nächste, und wenn man glaubt, dass es nicht mehr eindrücklicher werden kann, öffnet sich nach der nächsten Biegung ein noch spektakuläreres Panorama. Seit die 22-Jährige Anfang des Jahres nach Portland umgezogen ist, ins üppig alimentierte Ausdauer-Camp ihres Sponsors Nike, hat sie sich auf ein noch gewaltigeres Niveau gehoben.

"Das Training ist nicht nur intensiver, sondern auch schlauer strukturiert. Es geht den Trainern um jedes Detail", hatte Klosterhalfen zuletzt in Berlin bekräftigt. Sie schöpfe in Oregon halt noch besser aus, was ihr von Natur aus mitgegeben wurde, so sieht sie das, und wenn man betrachtet, wie tief der Topf ihres Talents ist, in den sie schon vor ihrem USA-Umzug gelangt hatte, wirkt das sogar schlüssig.

Auf den zweiten Blick schwebt da freilich weiter der Verdacht mit, den das Projekt auf sich gezogen hat, seitdem die amerikanische Anti-Doping-Behörde (Usada) Dopingvorwürfen nachgeht (die alle Beteiligten um Cheftrainer Alberto Salazar abstreiten). Sie könne allerdings nichts Negatives an ihrem neuen Lebensmittelpunkt finden, beteuert Klosterhalfen immer wieder, ansonsten scheint sie der Verdacht manchmal so sehr zu stören wie das Rennengeschehen hinter ihr. Aber gut.

Für den deutschen Verband (DLV) ist nicht nur diese Debatte unbequem - Klosterhalfen ist ja auch deshalb umgezogen, weil ihr der Standort in Leverkusen unter Bundestrainer Sebastian Weiß ein wenig zu klein geworden war. Wenn sie von Bedingungen in den USA schwärmt, erzählt das immer auch davon, was in Deutschland eben nicht möglich ist. Tatsächlich haben sich viele deutsche Leichtathleten ganz gut in ihren Vereinsbiotopen eingerichtet, wie Weitspringerin Malaika Mihambo beim beschaulichen TSV Oftersheim, aber es gibt halt auch Beispiele wie jene des Kugelstoß-Weltmeisters David Storl.

Der trainierte im Winter in einer Lagerhalle für Schneepflüge, weil die Stadt Leipzig seine beschädigte Wurfhalle nicht reparierte. Klosterhalfen profitiert derweil von Höhenkammern im Zimmer, die die Ausdauer ankurbeln sollen, oder von Trainingspartnern, die sie im DLV nie zusammenbekommen würden - auch, weil ihnen in der Breite zunehmend die Talente fehlen. Und mit ihrem Expansionsdrang ins Ausland ist Klosterhalfen mittlerweile nicht mehr allein.

Auch Tatjana Pinto trainiert in einem ganz neuen Umfeld

Vor der Saison schloss sich Tatjana Pinto dem Ensemble des Amerikaners Rana Reider an. Die 27 Jahre alte Sprinterin vom LC Paderborn hatte bis zum vergangenen Winter zwei nationale Einzel-Titel und EM-Gold mit der Sprintstaffel gewonnen, sie hatte gerade auch eine nervige Entzündung am Ischiasnerv auskuriert und wollte ihre Bestzeit über 100 Meter (11,00 Sekunden) nun weiter verbessern. Reider wiederum hatte sich Wattenscheid als neuen Standort für seine 20 Athleten große, internationale Trainingsgruppe ausgeguckt, darunter Dreisprung-Olympiasieger Christian Taylor, USA. Für Pinto war das eine große Chance; sie verließ dafür ihren langjährigen Trainer Thomas Prange, der sie in die erweiterte Weltelite geführt hatte ("Das werde ich ihm nie vergessen").

Und nun? "Ich will am Ende meiner Karriere mit mir im Reinen sein. Und das kann ich nur, wenn ich weiß, ich habe alles rausgeholt", sagte Pinto zuletzt, und das schaffe man nun mal besser in einer Gruppe, in der sie sich täglich mit starken Mitbewerbern messe. In Berlin siegte sie zuletzt über 100 (11,09) und erstmals auch über 200 Meter (22,65), in Birmingham gewann sie die 100 Meter bei Gegenwind in 11,15, sie schlug dabei US-Meisterin Teahna Daniels (11,24).

"Es ist immer begrüßenswert, wenn Athleten über den Tellerrand hinausschauen", findet Ronald Stein, Bundestrainer im DLV für das Ressort Sprint, auch wenn dem Vernehmen nach nicht alle im Verband begeistert sind, wenn sich Athleten ihren Einblicken entziehen. Aber letztlich, sagt Stein, helfe das wiederum der Sprintstaffel, die am Sonntag den nächsten Verlust erlitt: Laura Müller beendete ihre Saison wegen "gesundheitlicher Probleme", sie war in 11,15 Sekunden drittschnellste Deutsche über die 100 Meter in dieser Saison. Überhaupt ist noch immer nicht ganz klar, wie stark das DLV-Team für die späte WM Ende September in Doha einzuschätzen ist, viele Athleten bemühen sich noch immer um Normen oder stecken schon in der finalen Vorbereitung. Auch das erinnert an eine Wanderung - nur dass niemand weiß, wie gut am Ende die Aussicht sein wird.

© SZ vom 20.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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