Die Helfer hatten das Meiste schon aus dem Innenraum geschafft, Startblöcke, Sprungmatten, die mobilen Fontänen, die zuvor noch Feuer gespuckt hatten. Man übersah fast die Läuferin, die inmitten der Aufräumarbeiten in blauem Shirt und blauer Hose über die blaue Bahn im Berliner Olympiastadion sauste. Gesa Krause hatte zwei Stunden zuvor die 2000 Meter Hindernis in 5:52,80 Minuten hinter sich gebracht, so schnell wie zuvor noch niemand in einem vergleichbaren Rennen, weltweit.
Und jetzt noch ein knackiges Training? Naja, sie sei eher intensiv ausgelaufen, sagte Krause später, so halte sie das nach jedem Rennen - bis aufs Berliner Istaf, aber das bilde ja traditionell den Jahresabschluss der Leichtathleten. Nur eben nicht in diesem Jahr, da rollt die WM im Wüstenemirat Katar erst Ende September los. So lag über allem auch der tiefe Ernst, dass etwas Größeres noch bevorsteht.
Das spätsommerliche Berlin hatte am Sonntag sogar sein Bestes getan, um die Athleten schon mal ins Schwitzen zu bringen. Und die deutschen Vertreter, die sich auch in Doha Großes ausrechnen können, präsentierten sich durchaus ansprechend. Weitspringerin Malaika Mihambo gewann mit 6,99 Metern und schonte sich noch ein wenig für den zweiten Teil des Diamond-League-Finales am Freitag in Brüssel, sie ist in dieser Freiluft-Saison noch immer unbesiegt. Der 4x100-Meter-Staffel der Frauen gelang in 41,67 Sekunden eine Weltjahresbestzeit.
Für Olympia 2020 nimmt sie in Kauf, dass sie oft ihr "ganzes Leben in zwei Koffern" mit sich trägt
Mateusz Przybylko, der Hochsprung-Europameister von 2018, der zuletzt so verkrampft aufgetreten war, dass er seine Saison hatte beenden wollte, schaltete diesmal "den Kopf aus", wie er sagte - schon gewann er, mit 2,30 Metern. Und selbst wenn ein Unterfangen missriet, ging es doch auf, wie bei Alina Reh, die über 5000 Meter stürzte, sich aufrappelte und spontan als Tempomacherin für Hanna Klein einsprang. Die lief so zur WM-Norm, in 15:19,74 Minuten. Aber der größte Hingucker war natürlich Gesa Krause.
"Das Können schlummert ja oft lange in einem", sagte sie am Tag darauf in einem Berliner Hotel, und um dieses Können zu erwecken, muss man "manchmal eine Barriere brechen". Das war ihr schon am Donnerstag in Zürich gelungen, als sie ihren deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis auf 9:07,51 Minuten gedrückt hatte. Und dann, drei Tage später: Weltbestzeit über die kürzere Nebenstrecke, zehn Sekunden unter der alten Marke.
Die Istaf-Macher hatten die Distanz spontan ins Programm genommen, weil Krause das besser in die WM-Vorbereitung passte. Und auch wenn ihre Zeit nicht als Weltrekord in die Geschichtsbücher eingehen wird, weil die Distanz nicht zum Standardrepertoire der Leichtathletik zählt (und die Kenianerin Beatrice Chepkoech die Strecke bei ihrem unwirklichen Weltrekord über 3000 Meter Hindernis sogar in 5:49,81 geschafft hatte) - "so etwas hat man in seinem Leben nicht so oft", sagte Krause feierlich, ehe sie mit angemessener Seriosität hinzufügte: "Ich habe sicher noch nicht alles ausgeschöpft. Ich bin noch nicht satt."
Die 27-Jährige steckt, wie alle Leichtathleten, ja tief in einer Saison, die sich über zwei volle Jahre spannt. Olympia in Tokio prangt wie ein heller Stern am Horizont, es ist der eine Wettkampf, der alles, was war und kommt, in eine wohlig-warme Decke hüllen soll. Krause hat sich deshalb seit Oktober 2018 nicht einen trainingsfreien Tag gegönnt, sie wird bis Tokio im kommenden August wohl rund ein Jahr in dünner Höhenluft trainiert haben, das soll den Sauerstofftransport in der Ebene ankurbeln. Bis zur WM wird sie in Davos in der Schweiz trainieren, davor war sie im Hochland in Kenia und Äthiopien, in Südafrika und Arizona. Na und? "Ich bin dankbar dafür, dass ich die Chance habe, hart arbeiten zu dürfen", sagte sie in Berlin. Dürfen wohlgemerkt, nicht müssen.
Sie sei eben nur einmal jung und könne nur einmal so schnell laufen, sagte Krause, das wolle sie nicht vergeuden. Sie nehme dafür in Kauf, dass sie oft ihr "ganzes Leben in zwei Koffern" mit sich trage. Dass sie fast überfordert ist, wenn sie in ihre Wohnung nach Frankfurt zurückkehrt, weil sie sich so ans Leben im Hotel gewöhnt hat. Dass das Trainingspensum, bis zu 170 Kilometer pro Woche in der Höhe, "schon krass" ist und die Arbeit oft einsam. Dass man einen Pfad beschreitet, von dem man erst Jahre später wirklich weiß, wohin er einen führt. Aber letztlich, findet Krause, "klingt das nach mehr Entbehrung als es wirklich ist."
Wenn man einmal im Stadion stehe wie am Sonntag "und 40 000 Zuschauer rasten aus", dann entschädige das für manches. Auch sonst seien ihr "ja schon ein paar tolle Sachen widerfahren", zwei EM-Titel, vier deutsche, auch das Malheur bei der WM 2017, als ihr eine Konkurrentin unabsichtlich in die Hacken trat und alle Medaillenhoffnungen früh verdampften. Krause wurde damals Neunte und rang mit den Tränen - später staunte sie, wie sie mit Fairplay-Ehrungen überhäuft wurde, sie sei ja eigentlich nur aufgestanden und weitergelaufen. Aber das sagt sich ja oft leichter als es ist.
In Doha sind andere favorisiert, vor allem die Kenianerinnen und Titelverteidigerin Emma Coburn aus den USA. Aber bei Meisterschaften läuft jeder für sich, ohne Tempomacher, und mit einer 9:07 im Rücken kann Krause schon vorne mitmischen, wenn das Tempo zunächst nicht zu flott ist. In Peking 2015 hatte das geklappt, da spurtete sie am vorletzten Wassergraben davon und gewann WM-Bronze. Und sonst? Die neun Minuten mal zu unterbieten, sei "schon ein Traum und Ziel", sagte sie. Und nach Doha, da wolle sie auch mal eine Woche urlauben.