Leichtathletik:"Heute lief alles schief bei mir"

Leichtathletik - DM

Gesa Felicitas Krause: Schwere Beine in Braunschweig

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Bei den Deutschen Meisterschaften merkt man vielen Athleten an, dass sie die Corona-Pause geprägt hat. Hindernis-Läuferin Gesa Felicitas Krause muss völlig überraschend aufgeben.

Von Johannes Knuth

So sieht also Social Distancing für Sprinter aus: Man entwischt der Konkurrenz am besten gleich am Start und wahrt bis zum Ziel stets den gebotenen Sicherheits- und Hygieneabstand. Deniz Almas erwies sich insofern als vorbildlicher Teilnehmer dieser Corona-Meisterschaften der deutschen Leichtathleten am Samstag in Braunschweig. Er lief dem Feld nach dem Zieleinlauf sogar noch ein bisschen weiter davon, berauscht von seiner Freude, als habe ihm diese Tat gerade eine dritte Luft verschafft: 10,09 Sekunden im Finale über 100 Meter, bei Windstille und weit über 30 Grad. Es war Almas' erster Titel im Freien, den viele dennoch erwartet hatten, nachdem der 23-Jährige zuletzt in Weinheim 10,08 Sekunden in die Bestenliste gehämmert hatte. In Braunschweig hatten sie ihn übers Stadionmikrofon bereits als "neue Sprintsensation" annonciert, da war Almas noch nicht mal sein Halbfinale gelaufen.

Wobei: Weinheim ist bekannt für seine schnelle Bahn und den Rückenwind, und nicht wenige Hochleister sind nach flotten Zeiten auf dieser Sprintautobahn an den folgenden Erwartungen zerschellt. So gesehen waren Almas' 10,09 Sekunden jetzt fast noch höher einzuschätzen. Der neue Freiluftmeister vom VfL Wolfsburg paarte in Braunschweig jedenfalls beides: schnelle Beine und einen frischen Kopf, was ihn entsprechend "super happy" stimmte. Joshua Hartmann, die 21-Jährige Hochbegabung vom ASV Köln, wurde in 10,23 Sekunden Zweiter, Julian Reus, der nationale Rekordinhaber, zog nach Rang drei und 10,26 Sekunden schon etwas zerknirscht von dannen.

Das war, mit Abstand, der Hingucker dieses ersten Tages der 120. Titelkämpfe in Braunschweig: Der Kleinste mit seinen 1,75 Metern war der Größte der Sprinter; nebenbei hatten er und Hartmann auch noch den Generationenwechsel in ihrem Gewerbe ordentlich vorangetrieben. Die Tagesbesten waren zunächst auch nicht nachhaltig enttäuscht, dass sie ihre Titel nicht vor Publikum zelebrieren konnten, das wegen der Corona-Restriktionen ausgesperrt war.

Betreuer, Kampfrichter und sonstige Anwesende gaben zwar ihr Bestes, ein wenig Stimmung zu entfachen, am Ende wirkte es aber doch sehr steril, wie dieser Sport, der sonst so sehr zum Anfassen ist, sich in der Blase bewegte, zwischen Desinfektionsspender und Fiebermessthermometer. Und so sehr die Sprinter überzeugt hatten, konnte das auch nicht verhüllen, dass der erste DM-Tag oft eine zähe Angelegenheit war. Auch wenn manch negative Überraschung schon wieder in schöne Momente mündete.

"Heute war ich absolut nicht frisch"

Eine dieser Überraschungen war Gesa Krause, die zweimalige WM-Medaillengewinnerin über 3000 Meter Hindernis. Sie hatte sich vorher lautstark dafür eingesetzt (letztlich mit Erfolg), dass die Langstreckenläufer trotz aller Corona-Restriktionen doch noch ins DM-Programm eingegliedert werden. Nun wirkte sie seltsam verkrampft, lief ein wenig im Hohlkreuz, man sah sofort: Da schwitzte jemand nicht nur wegen der 36 Grad, sondern auch in der Hitze seines eigenen Missbehagens. Sie musste entkräftet aufgeben.

"Heute war ich absolut nicht frisch, vom ersten Meter an, ich konnte meine Beine nicht mehr heben", bestätigte Krause später. Sie war zwei Tage zuvor erst aus dem Höhentrainingslager angereist, im kühlen Davos. Dieser Klimawechsel habe ihr (und ihren Muskeln) wohl am meisten zu schaffen gemacht. "Und wenn im Ausdauerbereich etwas nicht stimmt, dann geht es gleich steil bergab", sagte Krause in ihrer gewohnt offenen Art, "heute lief alles schief bei mir, was schief laufen kann."

Überhaupt hatten die Ausläufer der Pandemie dann doch viele Startfelder ausgedünnt. Über die 100 Meter der Frauen, die die Lisa-Marie Kwayie in 11,30 Sekunden gewann, hatten sechs Athletinnen zurückgezogen, auch in den technischen Disziplinen spürte man, dass viele Athleten noch an der längeren Trainingspause litten, weil sich Stabhochsprung oder Dreisprung nun mal schwer im Corona-Lockdown trainieren hatten lassen.

Speerwurf-Europameisterin Christin Hussong war mit ihren 63,93 Metern noch eine der Besten, Pamela Dutkiewicz, die erst kurzfristig vom Verband und Verein für einen DM-Start "sensibilisiert" worden war, stolperte im Vorlauf kurz vor dem Ziel in eine Hürde und schied aus. Im Diskuswurf der Männer reichten schon 62,97 Meter von Clemens Prüfer zum Sieg, im Kugelstoßen der Frauen 17,96 Meter Alina Kenzel, im Stabhochsprung der Frauen teilten sich Ria Möllers und Stefanie Daubner mit 4,40 Metern den ersten Platz. Wobei Daubner ohne Kaderzugehörigkeit noch viel später das Training hatte aufnehmen können als manche Konkurrentin.

Und manchmal gab die Abwesenheit der Arrivierten auch den Blick auf die zweite Reihe frei, die trotz limitierter Startfelder auch zu dieser DM dazugehört und nun ihre Chance nutzte. Maria Purtsa etwa, die mit 13,65 Metern den Dreisprung gewann, ihren Sport ohne Kaderzugehörigkeit bestreitet, dafür mit einem Psychologiestudium an der TU Chemnitz und einem Trainerjob im Kinderbereich im Rücken. Oder der 21-Jährige Mohamed Mohumed aus Dortmund, der auf der Langstrecke irgendwann sogar mal eine Olympiamedaille gewinnen will, am Samstag schon mal die 5000 Meter der Männer gewann (in 14:02,75 Minuten).

Oder auch Elena Burkhard, die Krauses Abwesenheit nutzte, ihren ersten Titel auf der Bahn zu sichern (9:50,31 Minuten). "Ich war letztes Jahr lange verletzt", sagte sie, "ich bin froh, wieder verletzungsfrei laufen zu können und dass wir überhaupt hier laufen können. Das ist etwas ganz Besonderes." Da sprach sie wohl stellvertretend für viele Athleten.

Auch ein Altmeister nutzte die Braunschweiger Bühne noch mal für einen besonderen Auftritt: Matthias Bühler gewann zwei Jahre nach seinem Karriereende tatsächlich seinen achten nationalen Meistertitel über die 110 Meter Hürden, in 13,62 Sekunden. Und nun: Urlaub? Gleich in die Olympia-Vorbereitung für 2021 eintauchen? Nein, nein, sagte Bühler, er wolle diese verkürzte Wettkampfsaison schon noch ein bisschen auskosten, auch mal über 100 und 200 Meter starten. Er sagte: "Es macht mir gerade einfach unheimlich viel Spaß."

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