Leichtathletik:Glanz der Zweitklassigkeit

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Das Berliner Istaf ist kleiner geworden. Dank David Rudishas 800-Meter-Weltrekord und den Erfolgen deutscher Leichtathleten trauert niemand der alten Zeit hinterher.

Claudio Catuogno

Die Schilder draußen vor dem Olympiastadion erinnern noch an die alte Zeit: Überall ist mit Folie der Schriftzug des einstigen Hauptsponsors überklebt. Das Internationale Stadionfest heißt jetzt wieder Istaf, ohne Internetbank im Namen. Drinnen ist am frühen Nachmittag der Oberrang noch fast leer, auch das ist neu, in den letzten Jahren hat man die Zuschauer mit 800 Bussen herbeigefahren, und dann wusste niemand, warum sie eigentlich hier waren: wegen der Leichtathletik oder wegen der Schirmmütze, die es gratis dazu gab.

Liebling der Berliner: Ariane Friedrich gewinnt in Abwesenheit ihrer Konkurrentin Blanca Vlasic den Hochsprung. (Foto: AP)

Jetzt hört sich schon dieses halbvolle Olympiastadion an, als sei jede Sitzschale von Liebhabern des Frauen-Speerwurfs belegt: Christina Obergföll hat ihr Arbeitsgerät gerade auf 67,57 Meter geworfen. Und ein bisschen später am Nachmittag, als über 40.000 Leute versammelt sind, geschieht dann das, wovon viele Meeting-Direktoren träumen, und was sie doch oft genug vergeblich zu arrangieren versuchen: "Weltrekord", steht auf der Anzeigetafel, 1:41,51 Sekunden, gelaufen vom 21-jährigen Kenianer David Lekuta Rudisha über 800 Meter. Spätestens da hat sich die 69. Auflage des Istaf hinein katapultiert in die Welt jener Bestleistungen, die mehr Staunen hervorrufen als unbeschwerte Begeisterung. Dabei hat das neue Konzept so ziemlich das Gegenteil vorgesehen.

Kuschelige Veranstaltung

Der Reihe nach. "Sehen Sie", sagt Gerhard Janetzky, der Meeting-Direktor, gut zwei Stunden vor dem Rekordrennen, unten läuft noch das Speerwerfen der Frauen: In der alten Zeit "wäre dieser Wettkampf gar nicht möglich gewesen". Er meint das Wiedersehen der Europameisterin Linda Stahl, 24, mit Christina Obergföll, 29, der ihr zweiter Rang bei der EM in Barcelona immer noch zu schaffen macht - und die diesen Wurf auf 67,57 Meter nun als Genugtuung empfindet. In der alten Zeit hätte Janetzky stattdessen Männer-Speerwerfen anbieten müssen. Und auch den 100-Meter-Lauf der Frauen, bei dem die Europameisterin Verena Sailer, 24, Dritte wird in 11,24 Sekunden, hätte er nicht unterbekommen.

Und schon deshalb kommt jetzt niemand auf die Idee in Berlin, der alten Zeit hinterherzutrauern, der Zeit, in der das Istaf noch in der ersten Liga der Leichtathletik-Meetings gespielt hat. Warum auch? Man schreibt das Jahr eins nach der Berliner Jubel-WM, die deutsche Leichtathletik hat in Barcelona gerade ein paar neue Ausrufezeichen gesetzt - und in dieser Gemengelage hat es sich Janetzky nun erlaubt, eine kuschelige Veranstaltung um die Bedürfnisse der hiesigen Athleten herum zu planen. Diese Freiheit hat er jetzt, da das Istaf nur noch zu IAAF World Challenge zählt.

Im Weitsprung gibt es die neue Rivalität zwischen Sebastian Bayer, 24, und Christian Reif, 25, dem Goldmedaillengewinner von Barcelona? Sehr schön - Janetzky hat für sie einen Wettkampf gestrickt; Reif jubelt über 8,06 Meter. Ariane Friedrich ist sowieso Publikumsliebling, in Abwesenheit ihrer Konkurrentin Blanca Vlasic gewinnt sie den Hochsprung (1,97 Meter). Und natürlich darf auch Robert Harting, der Diskus-Weltmeister von 2009, sich ein Jahr danach wieder eine Goldmedaille umhängen lassen für seinen Istaf-Sieg (68,24 Meter).

Früher hat Janetzky die deutschen Athleten bisweilen in Cabrios ins Stadion hinein und gleich wieder hinaus gefahren. Draußen beschwerten sie sich dann über fehlende Wertschätzung, und Janetzky musste sich rechtfertigen, das Istaf sei nun mal kein deutsches Meeting, sondern ein Welt-Meeting auf deutschem Boden. Heute lebt Janetzky ganz gut mit der Fokussierung auf nationale Aushängeschilder. "Dem Publikum", hat er inzwischen verstanden, "ist es doch völlig egal, ob das hier jetzt World Challenge heißt oder Golden League oder Diamond League." Hauptsache schön viel Schwarzrotgold bei den Siegerehrungen. Früher hat Janetzky, auch aus Marketing-Erwägungen, genau das Gegenteil behauptet.

"Gut trainiert, gutes Wetter"

Aber die Golden League, jener exklusive Sechser-Klub, zu dem das Istaf bisher zählte, ist eben abgeschafft. Der Weltverband IAAF hat sie aufgeblasen zur Diamond League mit 14 Meetings weltweit - mit der Folge kompletter Unübersichtlichkeit. Viele Beschränkungen und hohe Kosten bei wenig Gegenwert, "da müssen wir nicht dazugehören", sagt Janetzky. Es lebt sich gut in der Zweitklassigkeit, zumal ja ohnehin niemand mehr den Überblick hat, welches Meeting nun zu welcher Serie zählt. Den Weltrekord? Den nimmt Janetzky mehr als Zugabe einer ohnehin gelungenen Veranstaltung.

Wohingegen sich die Leichtathletik-Gemeinde jetzt natürlich auch im Detail dafür interessieren muss, wie das möglich war: dass dieser David Rudisha aus Kenia Wilson Kipketers Bestmarke aus dem Jahr 1997 (1:41,11) pulverisierte. Nun, sagt Rudisha, angekündigt habe er die Marke ja schon öfter, "aber wirklich angegriffen habe ich sie heute das erste Mal". Bei der WM 2009 ist Rudisha noch im Halbfinale ausgeschieden, "da war es mir hier zu kalt, das Wetter ist ganz wichtig". Seither hat er sich Stück für Stück herangetastet an die 1:42-er Zeiten. Und am Sonntag schaute er morgens aus dem Fenster und sagte zu Sammy Tangui, seinem "Hasen": Heute ist der Tag. "Gut trainiert, gutes Wetter, gut gefühlt, gutes Wetter." Und natürlich gutes Wetter. Das sind jetzt die ersten Erklärungen, die Rudisha zu bieten hat, während draußen die Deutschen ihre kleinen Erfolge bejubeln.

© SZ vom 23.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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