Leichtathletik:Gedimmter Ton, klares Anliegen

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Wieder erstaunlich flott: Matthias Bühler sprintet in Regensburg über 110 Meter Hürden in 13,60 Sekunden zur deutschen Jahresbestzeit. (Foto: Imago/Beautiful Sports)

Der streitbare Hürdensprinter Matthias Bühler, der vor zwei Jahren seine Karriere beendet hatte, ist zurück in seinem Sport: Er kritisiert die Förderung noch immer deutlich, hat aber auch neue Motivation gefunden.

Von Johannes Knuth, Regensburg

Und dann war da wieder dieses Gefühl, das ihn am Morgen immer mehr umschloss wie ein etwas zu warmer Mantel und ihn wissen ließ: Alles ist gut. Es war dieses Kribbeln, das der Hürdensprinter Matthias Bühler aber gar nicht verteufelte, weil es ihm signalisierte, dass er bereit war für eine neue Herausforderung. In gewisser Weise verlieh ihm die Aufregung sogar eine gewisse Ruhe, denn aufgeregt sei er ja immer, wie Bühler nach dem Rennen im Schwarzwälder Idiom sagte, "weil der Nervenkitzel isch einfach so hoch bei mir". Es gab dann noch einen weiteren Moment nach seinem Auftritt in Regensburg, da war Bühler nicht aufgeregt, sondern bloß sprachlos: 13,60 Sekunden, damit habe er nicht gerechnet, sagte er, nicht mal unter diesen Bedingungen: Sonne, Wärme, 1,3 Meter pro Sekunde Rückenwind.

Sprachlos erlebt man Bühler wahrhaftig nicht allzu oft.

Viele der wenigen, zugelassenen Betrachter in Regensburg wunderten sich zuletzt ein wenig, als sie sahen, wie dieser hoch aufgeschossene Mann im blauen Trikot vor den 110 Meter Hürden in den Startblock kletterte. Doch, das war tatsächlich Matthias Bühler, 33, TV Haslach. Hatte der nicht seine Karriere stillgelegt? Der Abtritt war vielen durchaus noch präsent, Bühler hatte sich 2018 mit einem scheppernden Beitrag in den sozialen Medien abgemeldet, der Titel: "Karriereende - oder warum ich mich nicht länger verarschen lasse".

Nun, sein Comeback war kein Scherz: Er war schon Anfang Juli mit 13,95 Sekunden in die Saison gestartet, seine 13,60 sind derzeit sogar deutsche Jahresbestzeit, und weil in Gregor Traber der beste deutsche Hürdensprinter bei den nationalen Titelkämpfen in einer Woche wohl verletzt fehlen wird, eröffnet das Bühler nun ganz neue Perspektiven. Wenn man sich in Regensburg mit ihm unterhielt, fühlte man sich zumindest an die Erkenntnis erinnert, dass ein Ende manchmal auch der Anfang von etwas Neuem sein kann.

Bühler war bis vor drei Jahren einer der verdientesten Mitarbeiter der Leichtathletik, sieben deutsche Meistertitel, Olympiafahrer 2012 und 2016, EM-Neunter 2014 sowie WM-Elfter 2015, Bestzeit 13,34 Sekunden. Er stand nur nie so recht im grellen Licht der Öffentlichkeit, weil WM-Elfte außerhalb der Szene eher selten Jubelstürme entfachen, auch wenn sie im internationalen Sprint fast genauso hoch einzuschätzen sind wie Finalteilnehmer in anderen Bewerben. Bühlers Bekanntheitswerte änderten sich erst bei der WM 2017, als er nach seinem Halbfinal-Aus einen kalkulierten Wutausbruch im ZDF hatte: Es könne nicht angehen, polterte er, dass viele Olympiasportler von der Förderung kaum ihre Miete bezahlen können oder, wie er, im Kinderzimmer bei den Eltern wohnen müssen. Bühler erhielt viel Zuspruch, manche Kollegen vor Ort aber fanden, dass er sich einfach anpassen müsse. Und überhaupt, so der Tenor, solle Bühler erst mal Leistung bringen. Wobei das schon damals merkwürdig klang: Weil ihm ein Lauf misslungen war, sollte er jetzt schweigen?

Ein Jahr später trat Bühler zurück, sein Körper war mürbe von 15 Jahren Spitzensport: Becken, Rücken, Füße, Muskeln, alles schmerzte. Für eine Manöverkritik war aber noch Kraft da. Die Kritik der Kollegen in London? Da habe er "direkt Kotzreiz" bekommen, schrieb Bühler, bei so viel "Arroganz". Der Status quo? Die Sportfördergruppen von Bund und Polizei seien ja eine gute Idee, aber er sei bei Lehrgängen durch den Schlamm gerobbt und habe sich anschreien lassen, während die internationale Konkurrenz von Grundförderung und Stipendien profitiere - das sei "absolut lächerlich". Auch sonst könne man kaum noch Sponsoren gewinnen, die Leichtathletik sei weit an den Rand gerutscht (was sie durch Betrugsaffäre auch selbst verschuldet hat). Und bei Instagram für Sponsoren "wie ein Affe vor dem Handy rumzuspringen", das könne es ja auch nicht sein.

Wenn man heute mit Bühler spricht, hat er seinen (zu?) scharfen Ton etwas gedimmt, nicht aber seine Anliegen. Er habe 2017 versucht, etwas zu bewegen, "da ging es mir auch um die nächste Generation, aber es hat sich nichts getan". Die Corona-Krise habe die Sparzwänge bei Verbänden und Sponsoren noch verschärft. Er wolle damit aber nicht den Deutschen Leichtathletik-Verband kritisieren. Es müsse vonseiten der Politik einfach eine "Grundförderung für Athleten geben, die gewisse Leistungen erbracht haben", etwa zwei Jahre Grundsicherung für alle Olympiastarter: "Weil sie ihr Land repräsentieren und auch gewisse Werte vorleben", findet Bühler. Und so ist man wieder bei der Kernfrage angelangt, welchen Spitzensport sich eine demokratische Gesellschaft leisten will. Einen, der auf mehr Medaillengewinner aus ist, die später aber oft eher erkranken und sterben, wie der Sportwissenschaftler Lutz Thieme zuletzt in einer Studie betonte? Oder einen, der auch Hürdensprinter fördert, die ohne Chemie wohl nie eine Olympiamedaille gewinnen werden - die aber für die Vielfalt einer Sportszene stehen?

Bühlers Antwort lautet fürs Erste so: "Ich liebe meinen Sport noch immer." Und weil die körperlichen Beschwerden im vergangenen Herbst plötzlich verschwanden ("Ich fühle mich wie mit 25") stellte er seinen Job als IT-Systemkaufmann hinten an und bestellte bei seinem langjährigen Trainer Andreas Brehm wieder Trainingspläne, die er in Stuttgart umsetzt. Auch die Förderung sei wieder die alte, "von Mama und Papa", anders gehe es nicht. Olympia 2021 in Tokio, das sei noch mal ein "großer, großer Traum", aber er würde ihn nicht angehen, wenn er es nicht für möglich hielte. Das alte Kribbeln ist ja immerhin schon wieder zurück.

© SZ vom 31.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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