Leichtathletik:Gatlin vor Gatlin und Gatlin

Athletissima IAAF Diamond League

Gefallener Sünder, wiederauferstanden: Justin Gatlin (Mitte) dominiert im Jahr 2014 die Konkurrenz.

(Foto: dpa)

Justin Gatlin, der 100-Meter-Olympiasieger von 2004, ist der dominierende Sprinter einer seltsamen Saison. Seine Doping-Vergangenheit hat der Amerikaner erfolgreich ausgesessen - jetzt ist er wieder so schnell wie zu den Zeiten, in denen er sich seine zweite Sperre einhandelte.

Von Thomas Hahn

Die Dinge haben sich eingespielt bei Justin Gatlin, und zwar auf höchstem Niveau, wer hätte das gedacht. War da nicht was? War der schnelle Gatlin aus Amerika nicht mal ein entzauberter Sprint-Olympiasieger? Ein gefallener Sünder, den die Leichtathletik-Betrachter auf Nimmerwiedersehen in die Anonymität seines Privatlebens verabschiedet hatten?

Sein positiver Doping-Befund auf Testosteron 2006 war damals schon der zweite Fall in seiner Sportler-Vita, nachdem er als ganz junger Kerl mit Amphetaminen im Körper aufgefallen war. Eins plus eins ist normalerweise lebenslänglich in der Anti-Doping-Politik des Weltsports. Es gab dann einen Achtjahresbann, den Gatlin mit Erfolg anfocht. 2010 durfte er wieder starten, schlich Schritt für Schritt in die Weltspitze zurück, wurde Olympia-Dritter 2012 in London. Wurde WM-Zweiter 2013 in Moskau.

Und jetzt? Steht er einsam ganz vorne in der Weltjahresbestenliste über 100 Meter. Am Montagabend in Linz ist er wieder allen davongerannt. 9,82 Sekunden. Meeting-Rekord bei den Gugl-Games. Es ist wirklich bemerkenswert, wie sich die Dinge wieder eingespielt haben bei Justin Gatlin, 32.

Athletics Track and Field Gugl Games - Men's 100 meters

Rekord bei den Gugl-Games: Justin Gatlin (Mitte) siegt in Linz über 100 Meter mit 9,82 Sekunden.

(Foto: Roland Hackl/dpa)

Es ist eine seltsame Saison im Sprint. Eine Art Ruhe ist eingekehrt in der eingängigsten Disziplin der Leichtathletik, nachdem vor Jahresfrist noch eine helle Aufregung herrschte, weil zwei der schnellsten Männer der Geschichte, Tyson Gay und Asafa Powell, positiv getestet worden waren. Mit großer Selbstverständlichkeit ist die Szene zur Tagesordnung übergegangen.

Der Amerikaner Gay rennt wieder: 9,93 brachte er neulich in Lausanne zustande im ersten Rennen nach seiner Sperre wegen Steroid-Dopings, die wegen seiner Mithilfe bei den Ermittlungen ein Jahr kürzer ausfiel als üblich. Der Jamaikaner Powell ist auch wieder frei, nachdem der Sportgerichtshof Cas am Montag bestätigte, dass er wegen des positiven Tests auf das Stimulans Oxilofrin nur sechs statt 18 Monate absitzen müsse.

Bei seinem ersten Start, am Dienstagabend in Luzern, kam der 31-Jährige freilich nur auf mäßige 10,30. Andere Spektakelsprinter der vergangenen Jahre sind noch gar nicht zu sehen gewesen oder kommen auch nicht richtig in Gang. Nach einer Fußverletzung hat sich Weltrekordler Usain Bolt erst für die Commonwealth Games in Glasgow später im Juli angekündigt. Sein jamaikanischer Landsmann, der Olympia-Zweite Yohan Blake, wirkt in seiner Comeback-Saison nach überstandener Muskelverletzung längst nicht mehr so spritzig wie zu seinen besten Zeiten. Nur einer rennt zuverlässig vornweg: Gatlin.

Gatlin ist so schnell wie früher

Die aktuelle Weltrangliste sieht gerade tatsächlich aus wie eine Liga, in der die ganze Zeit nur Gatlin auf Gatlin trifft. Mit viel Rückenwind hat Richard Thompson aus Trinidad in Port of Spain vor drei Wochen auch eine 9,82 erzielt. Aber sonst: Gatlin führt mit 9,80 vor Gatlin (9,82), Gatlin (9,86), Gatlin (9,87) sowie Gatlin (9,91) und Gatlin (9,92).

So sehr hat man sich daran gewöhnt, dass der Ü30-Amerikaner auf sein altes Niveau zurückgefunden hat, dass man fast vergessen könnte, wie gut seine Zeiten sind. 9,80 wären im Vor-Bolt-Zeitalter nahe am Weltrekord gewesen, den Justin Gatlin ja auch mal innehatte. Seine 9,77 wurden dann aber wegen der Testosteron-Affäre gestrichen. Seine gültige Bestzeit liegt bei 9,79, erzielt bei Olympia 2012. Grundsätzlich kann man also feststellen: Gatlin ist praktisch wieder so schnell wie zu den Zeiten, in denen er sich seine zweite Sperre einhandelte.

Selbstverschulden hat er immer von sich gewiesen

Gatlin selbst lässt sich natürlich nicht mehr anfechten. Seine Vierjahressanktion ist abgesessen, sein Comeback startete er 2010 ohne viel Tamtam bei einem estnischen Provinzsportfest. Die Kontrollroutine hat er seitdem ohne Auffälligkeiten überstanden. Jetzt ist er wieder ganz der freundliche US-Profi, der sich hinter beredter Unverbindlichkeit verschanzt und ansonsten sein Pensum runterspult. Der amerikanischen Anti-Doping-Agentur half er bei den Ermittlungen gegen seinen mittlerweile lebenslang gesperrten Coach Trevor Graham.

Selbstverschulden an seinen Positivtests hat Gatlin von sich gewiesen, und auch sonst erfährt die Öffentlichkeit von ihm wenig darüber, wie das damals war im Training bei Graham, der eine Hauptfigur im vielbeachteten, fast epischen Dopingskandal um den Nahrungsergänzungshersteller Balco war und als eifriger Leistungsmanipulierer überführt ist.

Als Tyson Gay neulich zurückkehrte, hat Justin Gatlin was dazu gesagt. Er weiß ja wie das ist, wenn man eine Doping-Affäre hinter sich herziehen muss. "Da lastet immer noch viel Druck auf ihm als Rückkehrer", hat er gesagt, "und zwar nicht nur auf dir als Person, sondern auch auf deiner Familie, deinen Freunden und Partnern." Und dann hat er sogar selbst ein bisschen gestaunt darüber, dass Gay nur ein Jahr aussetzen musste.

"Die Leute haben mehr Fragen als Antworten - warum war seine Auszeit so kurz?" Gute Frage. Aber Justin Gatlin hat bestimmt viel Verständnis dafür, dass sein US-Staffel-Kollege Gay in der Öffentlichkeit keine genauen Angaben zu seinem Fall macht.

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