Leichtathletik-EMKolosseum mit Röckchen

Lesezeit: 3 Min.

Das offizielle EM-Maskottchen sieht, nun ja: etwas anders aus. Doch in Wahrheit ist ohnehin Hochspringer Gianmarco Tamberi das Gesicht der Wettkämpfe in Rom.
Das offizielle EM-Maskottchen sieht, nun ja: etwas anders aus. Doch in Wahrheit ist ohnehin Hochspringer Gianmarco Tamberi das Gesicht der Wettkämpfe in Rom. (Foto: David Ramos/Getty Images)

Hochspringer Gianmarco Tamberi packt die Sprungfedern aus, Österreich kann jetzt auch Speerwerfen: Szenen aus einem wilden Leichtathletik-Abend in Rom.

Von Saskia Aleythe, Rom

Wenn es sein muss, wird alles passend gemacht, da kennen die Italiener keine Gnade. Für die Leichtathletik-EM in Rom hatten sie halt diesen Plan: Das Maskottchen muss an das Kolosseum erinnern! Nun ist das Original-Amphitheater allerdings breiter als hoch, das sind nicht die besten Proportionen für ein bewegungsfähiges Kostüm. Aber irgendwie haben sie es trotzdem geschafft, und nur die unwissenden Beobachter erkennen in dem bunten Gefährten eher den Schiefen Turm von Pisa. Rosa obenrum, unten mit lila Röckchen, es ist auf jeden Fall ein Original geworden.

Im Stadio Olimpico hält sich das Maskottchen angenehm zurück, ein bisschen Winken, ein bisschen Schunkeln, das war’s. Originale haben die Italiener ja auch unter den Athleten. Am Dienstagabend übernahm Hochspringer Gianmarco Tamberi die Bühne – und was soll man sagen? Es eskalierte. Szenen aus einem wilden Abend.

Sprungfedern im Schuh

Das Geheimnis seines Erfolgs? Als sein Sieg im Hochsprung feststeht, zaubert Entertainer Gianmarco Tamberi ein paar Sprungfedern aus seinem Schuh.
Das Geheimnis seines Erfolgs? Als sein Sieg im Hochsprung feststeht, zaubert Entertainer Gianmarco Tamberi ein paar Sprungfedern aus seinem Schuh. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Im Grunde hätte der Gastgeber auch Gianmarco Tamberi zum Maskottchen machen können, der Hochspringer ist für die Italiener ein Held. Schon beim Einlaufen holte er sich herzerwärmenden Applaus ab, musste dann aber zittern: Bei 2,29 Metern schien dem 32-Jährigen schon die Kraft auszugehen, vor dem dritten Versuch hielt das ganze Stadion den Atem an. In der größten Dramatik blüht Tamberi allerdings auf, kurz gesagt: Später standen 2,37 Meter in den Büchern, die ihm Gold bescherten.

Und weil er weiß, wie er die Massen unterhält, ging Tamberi zwischenzeitlich zu Boden und versuchte eiligst aus seinem linken Schuh zu kommen – da fürchteten die Fans schon, er hätte sich verletzt. Aber nein, er präsentierte nur ein paar Sprungfedern, die er zuvor versteckt hatte. Olympiasieger, Weltmeister, und nun zum zweiten Mal nacheinander Europameister – Tamberi lässt Italien jetzt schon von Paris träumen. Dort soll seine Show im August bei Olympia weitergehen. Die EM ist für das italienische Team ein voller Erfolg: 20 Medaillen hatten sie bis zu den letzten Entscheidungen am Mittwoch abgeräumt – so viele wie noch nie.

Gold für den Faulen

"Nichts war perfekt", sagt Johannes Erm nach seinem Zehnkampfsieg, aber eine echte Schwäche hat der Este auch nicht erkennen lassen.
"Nichts war perfekt", sagt Johannes Erm nach seinem Zehnkampfsieg, aber eine echte Schwäche hat der Este auch nicht erkennen lassen. (Foto: David Ramos/Getty Images)

„Nichts war perfekt, aber alles war sehr, sehr gut“ – Johannes Erm war in Rom nicht nur der beste Zehnkämpfer, er fand auch die besten Worte dafür, wie man es in dieser Aneinanderreihung von Disziplinen zum Titel schafft. Der 26-jährige Este schnappte sich mit 8764 Punkten Gold, seine überraschende Selbstanalyse: „Viele Zehnkämpfer trainieren zweimal am Tag, aber ich bin der Faule.“ Erwärmung sei nicht so sein Ding, deswegen gibt es bei ihm nur eine Trainingseinheit am Tag– über fünf Stunden. Wie man als Spitzensportler halt „faul“ definiert.

Vor zwei Jahren hatte sich noch Niklas Kaul den Titel gesichert, diesmal klappte es bei seinem ersten Zehnkampf der Saison nur mit Platz vier. Fehler, etwa im Hürdenlauf und beim Hochsprung, will er bis Paris beseitigen. Ein Kuriosum war die Teilnahme des Franzosen Kevin Mayer, der ohne EM-Norm mithilfe einer Wildcard antreten durfte, um sich noch für Olympia empfehlen zu können. Eine Ausnahmeregelung, die in der Szene hitzig diskutiert wurde. Der Weltrekordler nutzte seine Chance: Mayer holte 16 Punkte mehr, als er für die Olympianorm gebraucht hätte – eine perfekt kalkulierte Punktlandung.

Fliegende Holländerin

Eine Buslänge Vorsprung: Femke Bol läuft über 400 Meter Hürden ihr ganz eigenes Rennen.
Eine Buslänge Vorsprung: Femke Bol läuft über 400 Meter Hürden ihr ganz eigenes Rennen. (Foto: Michael Steele/Getty Images)

Am Eingang des Olympiastadions prangt ein riesiges Plakat, darauf zu sehen, als eine von vier ausgewählten Stars: die Niederländerin Femke Bol. Es ist ein Status, den sich die 24-Jährige mit drei Goldmedaillen bei der EM in München erarbeitet hat. Nun in Rom lief Bol über 400 Meter Hürden wieder so, als wären ihr die Beine nur dafür gewachsen: 52,49 Sekunden, Meisterschaftsrekord. Ein ganzer Teambus hätte da zwischen sie und die zweitplatzierte Louise Maraval gepasst, so dominant ist sie in Europa.

Klar, beim Hürdenlauf über die Stadionrunde denken die meisten zuerst an Karsten Warholm, der sich in 46,99 Sekunden ebenfalls unbedrängt mit Meisterschaftsrekord den Titel schnappte. Aber Bol ist noch umtriebiger unterwegs: Mit der Mixed-Staffel gewann sie am Freitag schon Bronze, am Mittwochabend mit der 4x400-Meter-Staffel die zweite Goldmedaille. Wie Bol ihre Rennen bestreitet, wird von der außereuropäischen Konkurrenz durchaus beobachtet: Nur Weltrekordlerin Sydney McLaughlin-Levrone aus den USA ist in diesem Jahr schon schneller unterwegs gewesen.

Tränen für Österreich

Nach dem Erfolg im Speerwurf fließen die Tränen: Victoria Hudson aus Österreich.
Nach dem Erfolg im Speerwurf fließen die Tränen: Victoria Hudson aus Österreich. (Foto: Andrew Medichini/AP)

53 Jahre ist es her, dass Österreich zuletzt EM-Gold bejubeln durfte – doch die Wintersportnation kann jetzt auch Sommer. Am Dienstag krönte sich Speerwerferin Victoria Hudson zur Europameisterin, gleich der erste Versuch segelte auf 64,62 Meter – als die Goldmedaille feststand, liefen ihr unaufhörlich die Tränen.„Normalerweise sind Österreicher nicht ganz vorn“, sagte Hudson dann ehrlich, „aber jetzt fangen sie an, an sich selbst zu glauben.“ Mit Lukas Weißhaidinger ist Hudson in einer Trainingsgruppe, einer sehr erfolgreichen: Der Diskuswerfer hatte zuvor schon Silber in Rom gewonnen. Das beflügelt.

Während auf der Gegenseite Tamberi das Publikum bespaßte und im Dreisprung gleich zwei Weltklassesätze über 18 Meter gelangen (Spaniens Jordan Alejandro Díaz Fortun gewann Gold mit 18,18 Metern, Pedro Pichardo aus Portugal Silber mit 18,04 Meter), drehte Hudson beseelt ihre Runden durchs Stadion. Große Emotionen brauchen ja nicht immer große Gesten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gesa Krause bei der Leichtathletik-EM
:„Mama hat dich lieb“

Nach der Geburt ihrer Tochter gewinnt Hindernisläuferin Gesa Krause bei der EM in Rom Silber. Kurzzeitig wurde die französische Siegerin zwar disqualifiziert, doch Krause ist froh, dass sie nicht durch einen Juryentscheid den Titel bekommt.

SZ PlusVon Saskia Aleythe

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: