Leichtathletik-EM:Legenden in der Sandgrube

European Championships - Leichtathletik

Die ehemalige deutsche Weitspringerin Heike Drechsler ist bei der EM als Kampfrichterin im Weit- und Dreisprung im Einsatz.

(Foto: dpa)

Weitspringerin Heike Drechsler und andere Sportler des DDR-Dopingsystems sind in Berlin immer noch präsent. So lange die Leichtathletik ihre Vergangenheit nicht sauber aufarbeitet, wird der Aufbruch in eine neue Ära schwierig.

Kommentar von Johannes Knuth

Der eine oder andere Besucher erkennt die Frau vielleicht wieder, die in diesen Tagen bei der Leichtathletik-EM in Berlin an der Weitsprunggrube den Sand harkt, wälzt, glättet. Sie trägt ein blaues T-Shirt, eine weiße Schirmmütze, unter der ihre blonden Haare hervorfallen - klar, das ist doch Heike Drechsler. Anstrengend sei die Arbeit als Kampfrichterin, wie Gartenarbeit, hat sie jetzt erzählt, aber sie bringe ihre Erfahrung gerne ein. Die Weitsprung-Legende, die ihrem Sport etwas zurückgibt, das ist ja auch eine tolle Geschichte.

Nur, dass die ganze Wahrheit hinter diesen unbeschwerten Bildern dann halt doch ein bisschen komplizierter ist.

Drechsler hat nach der Wende zwei Mal olympisches Weitsprung-Gold gewonnen, die Dopingtests haben bei ihr nie angeschlagen. Aber sie war davor auch ins DDR-Dopingprogramm eingebunden, Staatsplan 14.25, wie rund 15 000 andere Athleten. Tausende leiden heute an den Spätfolgen, viele sind daran verreckt. Es gibt Protokolle, in denen steht, wie viel Oral-Turinabol Drechsler nehmen sollte, den "blauen Blitz", wie die DDR-Athleten den Schnellmacher nannten. Drechsler hat später zugegeben, dass sie in dieses System eingebettet war und vielleicht unwissentlich gedopt wurde, Fehlverhalten stritt sie stets ab: Sie habe damals nichts hinterfragt, weil sie so jung war. Die Praktiken verurteile sie heute aufs Schärfste. Und jetzt?

Bei der EM in Berlin ist Drechsler auch auf der Liste der Ehrengäste vermerkt, das hat der Spiegel zuletzt berichtet. Auch ein paar andere Hochleister aus dieser hochanabolen Phase des Sports sind geladen, Marita Koch und Marlies Göhr etwa, die stets ihre Sauberkeit beteuerten - obwohl auch für sie Turinabol-Protokolle existieren. Andere Ehemalige wirken bis heute als Trainer im deutschen Verband, wie Jürgen Schult, der in Berlin die Werfer betreut. Was das für eine Nachricht sendet, wenn man diejenigen hofiert, die beteuern, man habe nie gedopt und überhaupt nur viel härter trainiert? Das hat der Heidelberger Dopingforscher Werner Franke zuletzt gefragt und sich die Antwort selbst gegeben: "Das ist eine scheinheilige Show krimineller Taten."

382 Leichtathleten sind gerade weltweit gesperrt - darunter drei deutsche

Die Leichtathletik hat finstere Jahre hinter sich, das will einiges heißen bei der dunklen Vergangenheit dieses Sports. Vor drei Jahren flog die alte Führung des Weltverbands IAAF auf; die Entourage von Lamine Diack soll Proben vertuscht und Doper gegen Geld starten haben lassen (was Diack bestreitet). Die neue Führung unter dem Briten Sebastian Coe hat mittlerweile einiges unternommen; sie hat den massiv belasteten russischen Verband bis heute suspendiert - anders als das Internationale Olympische Komitee, das Russland nach den Winterspielen hastig resozialisierte. Coe installierte auch eine neue Anti-Betrugs-Einheit, die nicht mehr allein Dopingproben nimmt, sondern auch auf Kronzeugen setzen will. Die Abteilung listet mittlerweile auf, wie viele Leichtathleten derzeit gesperrt sind - 382 weltweit, darunter drei deutsche - und gegen wen sie gerade ermittelt.

Es ist ein verdienstvoller, ja überfälliger Schritt. Aber zur ganzen Wahrheit zählt halt auch, dass IAAF-Boss Coe seine Lehrjahre unter der alten Führung nie schlüssig erklärt hat. Wie er zum Beispiel in acht Jahren als Vizepräsident unter Diack nie etwas von den merkwürdigen Vorgängen mitbekommen haben will, obwohl ihm E-Mails über den russischen Dopingsumpf zugespielt wurden. Es sei schwer zu glauben, dass Coe von all dem Ungemach nichts wusste, bilanzierte der britische Sportausschuss im vergangenen März - Coe widersprach heftig.

Das ist der Konflikt, der auch diese EM begleitet: Dass die Leichtathletik schwer in eine neue Ära aufbrechen kann, bevor sie nicht die Altlasten abgetragen hat.

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