Leichtathletik-EM in Zürich:Heidlers Hammer fliegt nicht mehr

Leichtathletik-EM 2014

Athletin in der Sinnkrise: Hammerwerferin Betty Heidler kommt in Zürich nur auf Rang fünf.

(Foto: dpa)

Betty Heidler war mal Hammerwurf-Weltmeisterin, sie hält noch immer den Weltrekord. Doch bei der Leichtathletik-EM erreicht sie nur den fünften Platz. Damit reiht sich Heidler in eine Auswahl verdienter Athleten, die gerade eine Sinnkrise durchmachen - ohne so recht zu wissen, warum.

Von Johannes Knuth, Zürich

Die Hammerwerferin Betty Heidler drehte sich im Kreis. Wenn auch nicht im Ring. Heidler stand in der Interviewzone im Züricher Letzigrund, sie sollte nun darüber referieren, warum sie nicht mehr herausgepresst hatte aus diesem Hammerwurf-Finale bei der Leichtathletik-EM als einen fünften Rang mit 72,39 Metern. "Ich habe es jetzt schon fünfmal gesagt", sagte Heidler, sie legte eine Pause ein, dann sagte sie zum sechsten Mal: "Ich weiß echt nicht, was ich hätte anders machen sollen. Der Hammer ist einfach nicht geflogen."

Das war eigentlich schade. Für Heidler, für den Deutschen Leichtathletik-Verband, der seine verdiente Führungskraft an diesem nasskalten Freitagabend gewissermaßen als Haupt-Act aufgeboten hatte und nun ganz ohne Medaille in die Nacht ging. Und auch Anita Wlodarczyk, die siegreiche Polin, hatte sich gewünscht, dass Heidlers Hammer zumindest ein wenig weiter segeln würde. "Ich dachte, dass ich mit Betty Heidler um die Medaillen kämpfen würde", sagte Wlodarczyk, dann stellte sie fest: "Am Ende musste ich nur mit mir selbst kämpfen."

Wlodarczyk ging zumindest aus diesem internen Duell als Siegerin hervor. Drei Versuche lang tat sie sich schwer, aber dann flog ihr Hammer mit jedem ein wenig weiter. Am Ende landete er bei 78,76 Metern, das war EM-Rekord, Landesrekord, Weltjahresbestleistung - nur Heidlers Weltrekord (79,42) blieb unversehrt. Gold also für Wlodarczyk, gefolgt von der Serbin Martina Hrasnova (74,66) und Joanna Fiodorow.

Heidler ist eine von acht Weltmeistern

Die Polin hatte sich im letzten Versuch auf 73,67 Meter verbessert und der Frankfurterin Kathrin Klaas die Bronzemedaille weggeschnappt. Heidler beschloss den Wettkampf als zweitbeste Deutsche auf Rang fünf. Zweitbeste Deutsche, das war ihr bei Großveranstaltungen zuletzt nicht allzu häufig widerfahren. Auch wenn die 30-Jährige beteuerte: "Ist mir ehrlich gesagt ziemlich scheißegal."

So blieb am Ende die Frage: Was ist eigentlich mit der Form von Betty Heidler, der Weltmeisterin von 2007 und Weltrekordhalterin, passiert?

Heidler ist eine von acht Weltmeistern, die der DLV nach den besorgniserregenden Spielen 2004 in Athen hervorgebracht hat. Sechs sind noch aktiv, mal mehr, mal weniger: Diskuswerfer Robert Harting, Kugelstoßer David Storl, die Speerwerfer Matthias de Zordo und Christina Obergföll, Stabhochspringer Raphael Holzdeppe und eben Betty Heidler.

Der Weltrekord wackelt

Zieht man Harting, Storl (EM-Gold) und Obergföll (Elternzeit) ab, muss man festhalten: Der eine oder andere Hochdekorierte im DLV-Team steckt in einer leichten Midlife-Crisis. De Zordo hat sich 2013 die Achillessehne gerissen, seitdem arbeitet er (noch) erfolglos an einer Rückkehr. Holzdeppe ist derzeit überwältigt von den technischen Herausforderungen, die der Stabhochsprung auch einem Weltmeister immer wieder stellt, er hatte seine Saison vor der EM beendet. Und Heidlers Hammer, der fliegt einfach nicht mehr.

Heidler fällt am ehesten in die Holzdeppe-Kategorie. Sie trägt keine Verletzungen mit sich herum, schafft es aber nicht, die vier Drehungen mit ihrer Athletik gewinnbringend in Einklang zu bringen. Erfolg und Misserfolg hängen in den technikbetonten Leichtathletik-Disziplinen oft von Winzigkeiten ab. Es gibt Phasen, da hat der Athlet sein System richtig kalibriert, er kann sich dann unbeschwert in den Wettkampf aufmachen, ohne von Fehlerquellen belastet zu sein. Bei Heidler dauerte es Jahre, ehe sie alles so weit eingestellt hatte, dass sie den Weltrekord verbessern konnte. Doch sobald sich Ungenauigkeiten einschleichen, wird das System instabil. Dann verflüchtigt sich erst die Selbstverständlichkeit des Werfens, dann das Selbstvertrauen, irgendwann der Spaß am Wettkampf.

Bei Heidler stimmt wenig, dann sagt sie bedenkliche Sätze

Heidler hat vor drei Jahren in Halle den Weltrekord im Hammerwerfen auf 79,42 Meter gesteigert, ein Schild im Ring erinnert daran. Im vergangenen Mai kehrte sie wieder nach Halle zurück. Die Werfer stimmten sich bei den Werfertagen auf die kommenden Aufgaben ein, aber bei Heidler stimmte wenig. Sie warf weniger als 70 Meter, anschließend sagte sie bedenkliche Sätze wie: "Es hat sich überhaupt nicht wie ein Wettkampf angefühlt, sondern wie gar nichts."

Zumindest das Gefühl bei der EM in Zürich war ein anderes: "Ich habe alles reingelegt in meine Würfe, ich war richtig sauer." Wesentlich besser wurden die Weiten dadurch nicht. Heidler steigerte sich zwar in jedem Versuch, sie musste aber auch einsehen: "Egal, was ich heute gemacht habe, es hat nicht gelangt." Wenn der Blick ins Jetzt ein trüber ist, muss man die Perspektive erweitern, mit dieser Einstellung beschloss Heidler den Abend: Ihr Ziel sei langfristig gesehen wieder der Weltrekord. Sie sagte: "Ich habe alles für die 80 Meter, ich kann das. Aber im Moment brauche ich darüber wohl eher nicht reden."

Das Reden übernahmen andere. Anita Wlodarczyk kündigte an, dass sie den Weltrekord durchaus im Hier und Jetzt werfen könne, am liebsten beim Meeting in Warschau nach der EM. Sollte es tatsächlich klappen mit dem Rekord, dann hätte Heidler nicht nur ihre Form verloren - sondern auch die größte Statistik-Marke aus der Zeit, als der Hammer noch flog.

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