Leichtathletik:Ein Rekord für die Ewigkeit

Ein Mahnmal für die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit: Marita Kochs 400-Meter-Weltbestleistung hat seit 25 Jahren Bestand. Sind die Rekorde aus der Doping-Ära überhaupt zu brechen?

Joachim Mölter

Noch 79 Tage, dann kann Marita Koch von sich behaupten, sogar Jesse Owens überholt zu haben, den legendären Sprinter und Springer aus den USA. Im Jahr 1935 flog Owens 8,13 Meter weit, als Weltrekord stand diese Marke 25 Jahre und 79 Tage, bis vor gar nicht langer Zeit war das die langlebigste Höchstleistung der Leichtathletik überhaupt. Inzwischen ist das die 800-Meter-Zeit der Tschechin Jarmila Kratochvilova (1:53,28 Minuten), die seit mehr als 27 Jahren in den Rekordbüchern steht.

Marita Koch bejubelt Weltrekord in Canberra 1985

Die DDR-Leichtathletin Marita Koch bejubelt am 06.10.1985 ihren neuen 400-Meter-Weltrekord: 47,60 Sekunden. Bis heute war keine Läuferin schneller.

(Foto: dpa)

Marita Kochs 400-Meter-Bestleistung von 47,60 Sekunden ist der aktuell zweitälteste Weltrekord in einer olympischen Leichtathletik-Disziplin, an diesem Mittwoch jährt er sich zum 25. Mal. Und in 79 Tagen also wird das sogar der am zweitlängsten bestehende Rekord der gesamten Leichtathletik-Geschichte sein. In 79 Tagen ist zufällig auch Weihnachten, das Fest des Friedens.

Der Mythos des DDR-Sports

Es ist nur so, dass es hierzulande keinen Frieden und keine Ruhe geben wird in der Debatte um die alten Höchstleistungen aus DDR-Zeiten, von denen Marita Kochs 47,60 aus dem Jahr 1985, erzielt beim Weltcup in der australischen Hauptstadt Canberra, als der älteste noch gültige Weltrekord herausragt. Und der womöglich auf unabsehbare Zeit bestehen bleibt: Die zweitbeste jemals erzielte Zeit stammt ja von Kratochvilova, deren 47,99 Sekunden aus dem Jahr 1983 die damals 28 Jahre alte Koch um sagenhafte 39 Hundertstelsekunden verbesserte; und bis heute ist es keiner anderen Läuferin gelungen, sich der 48-Sekunden-Grenze bedrohlich zu nähern. Die beste Zeit nach Koch lief die Französin Marie-José Perec bei ihrem Olympiasieg 1996 in Atlanta - 48,25 Sekunden.

Im wiedervereinigten Deutschland spalten die Rekorde von Koch und Co. jedenfalls noch immer die Sportlandschaft, scheiden sich an ihnen noch immer die Geister. Auf der einen Seite, vornehmlich im Osten, wird weiterhin der Mythos des DDR-Sports verklärt; auf der anderen Seite, im Westen, wird auf das gut dokumentierte Dopingsystem im Sozialismus hingewiesen, dem wahrscheinlich eine ganze Reihe dieser Rekorden zu verdanken sind. "Die ganze Debatte ist verfahren", findet Günther Lohre, der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV): "Sie führt in eine Sackgasse."

"Mahnmal für den Rekordwahn"

Das Problem ist, dass etliche Rekorde, national wie international, aus den achtziger Jahren stammen, einem Jahrzehnt, in dem ziemlich hemmungslos gedopt wurde, nicht nur in der DDR, sondern weltweit, wie man heute weiß. Doch diese Rekorde sind nicht so einfach zu annullieren, weil der Generalverdacht nicht reicht, sondern jeder Fall einzeln nachgewiesen werden muss, was ein, zwei Jahrzehnte später schwierig ist. Der DLV hat zwar mal auf verschiedenen Wegen versucht, diese Leistungen aus den Rekordlisten streichen zu lassen, ist dabei aber an juristischen Bedenken und drohenden Schadenersatzforderungen gescheitert. Der Weltverband IAAF schmetterte 1999 jedenfalls einen entsprechenden Antrag des deutschen Verbandes ab.

"Gentechnische Optimierer"

Wenn man die verdächtigen Leistungen also nicht tilgen kann, was fängt man dann mit ihnen an? "Man ignoriert sie", sagt Günther Lohre: "Für die heutigen Athleten sind das Leistungen, an denen sie sich nicht messen." Für Lohres Vorgänger als DLV-Vize, den Soziologie-Professor Eike Emrich, taugen die Rekorde aus den achtziger Jahren immerhin als "Mahnmal für den übersteigerten Rekordwahn des Menschen". Emrich findet, die Leistungen zeigten, dass die Menschen im Sport, ebenso wie in der Ökonomie, irgendwann einfach an die Grenzen des Wachstums stoßen; er fordert eine "Rückbesinnung auf andere Werte des Sports - den Wettkampf und seine ihm innewohnende Spannung".

Günther Lohre glaubt zwar, dass "alle Rekorde irgendwann gebrochen werden", aber auch er stellt sich die Frage: "Kann man sie brechen, ohne zu manipulieren?" Wenn man die Szene der Sportbetrüger kennt und die Entwicklung in Sachen Gendoping, ist zu befürchten, dass die Rekorde von Koch und Co. nicht nur Mahnmal für die menschlichen Leistungsgrenzen sein werden, sondern womöglich auch Herausforderung "für gentechnische Optimierer" (Emrich), in den nächsten 25 Jahren zu zeigen, was noch alles möglich ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: