Leichtathletik-DM:Rund mit Ecken

Im Jahr nach der Heim-WM in Berlin zeigt die deutsche Leichtathletik-Elite bei den nationalen Meisterschaften nur vereinzelte Symptome eines vollzogenen Aufbruchs.

Joachim Mölter

Die beste Nachricht gab's gleich am Anfang der nationalen Titelkämpfe in Braunschweig. Da verkündete der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV), dass er den Vertrag mit seinem Hauptsponsor Nike verlängert hat - um zehn Jahre, bis nach Olympia 2020. Wegen der "großartigen Resonanz auf die WM 2009 in Berlin", wie Ulrike Köhler im Namen des amerikanischen Sportartikelherstellers erklärte; weil es hierzulande eine Menge "neuer Gesichter gibt, die der Leichtathletik ein positives Image geben können", wie Frank Lebert hinzufügte, der Geschäftsführer der für Promotion zuständigen DLV-Tochter DLP.

Leichtathletik DM - Ariane Friedrich

Neuerdings Medaillenhoffnung für die EM in Barcelona: Hürdensprinterin Carolin Nytra (vorne) auf dem Weg zum deutschen Meistertitel.

(Foto: dpa)

Aufbruchstimmung war also angesagt in Braunschweig, aber an den beiden Wettkampftagen im Eintracht-Stadion war dann wenig zu spüren von einem Schub durch die Heim-WM und wenig zu sehen von neuen Gesichtern. Als der für die Laufdisziplinen zuständige DLV-Cheftrainer Rüdiger Harksen von einer "neu erschlossenen Leistungsdimension" sprach, meinte er nur die 100-Meter-Hürdenmeisterin Carolin Nytra (Bremer LT), die sich unlängst auf 12,57 Sekunden und an die Spitze der europäischen Rangliste verbessert hatte.

In Braunschweig lief sie 12,71, angesichts eines Gegenwindes von fast einem Meter pro Sekunde eine beachtliche Leistung, die man auf eine gute 12,60er-Zeit bei Windstille herunterrechnen kann. "Das war wichtig, dass sie gezeigt hat, dass die 12,57 kein Ausrutscher waren", sagte ihr Trainer Jens Ellrott. Die Athletin fand ihren Lauf "insgesamt rund, aber nicht perfekt. Ich bin froh, dass ich weiß: Das war noch nicht ausgereizt".

Sprünge und Hüpferchen

In knapp zwei Wochen muss sie bei den Europameisterschaften in Barcelona antreten, dort gehört sie nun zu den Medaillenkandidatinnen im vermutlich 70 Starter umfassenden DLV-Aufgebot. Das können nicht viele Athleten von sich behaupten, die nicht schon im vorigen Jahr zu den Medaillenaspiranten bei der WM in Berlin gehört haben. Die Diskuswerferin Nadine Müller (Halle) ist eins der neuen Gesichter dieses Sommers, die Weltjahresbeste mit 67,78 Meter und deutsche Meisterin mit 63,07, oder der Weitsprung-Titelträger Christian Reif (Ludwigshafen), der mit seinen 8,18 Meter von Braunschweig nur neun Zentimeter unter seiner Saisonbestleistung blieb, mit der er wie Nytra den Spitzenplatz in Europa einnimmt. "Das Ziel bei der EM muss jetzt eine Medaille sein", sagte Reif.

Nytra, Müller, Reif - das sind die drei DLV-Athleten, die in diesem Sommer einen großen Sprung nach vorne gemacht haben. Ansonsten blieb es bei Hüpferchen wie den Fortschritten der Stabhochsprung-Gruppe um Titelverteidigerin Silke Spiegelburg (Leverkusen/4,65 Meter) oder der Dreisprung-Meisterin Katja Demut (Jena/14,15), die sich ein paar Zentimeterchen vorwärts bewegt haben. Überbewerten darf man das freilich nicht: "Mit 14,15 kann man bei der EM durch die Qualifikation kommen", sagt Demut.

Stagnation auf hohem Niveau

Natürlich verfügt der DLV immer noch über eine Reihe weiterer Medaillenkandidaten, die auf hohem Niveau stagnieren: Diskus-Weltmeister Robert Harting (Berlin) blieb mit seiner Siegerleistung von 68,67 Meter ebenso nur knapp unter seiner Bestleistung wie die WM-Zweite im Hammerwerfen, die Frankfurterin Betty Heidler, die mit 75,82 Meter immerhin einen Meisterschaftsrekord aufstellte. Auch von Hochspringerin Ariane Friedrich (Frankfurt) kann man nicht jedes Jahr einen neuen deutschen Rekord erwarten (2,06 Meter), mit ihrem besten Sprung über 2,00 Meter zeigte sie aber, dass mit ihr auch bei der EM zu rechnen ist.

Diese Spitzenleistungen überdecken indes mehrere Schwächen: In vielen Disziplinen klafften deutliche Lücken zwischen Platz eins und zwei. Und auf den Spitzenrängen vermisste man einige vielversprechende Gesichter, die im WM-Jahr neu waren: 400-Meter-Sprinterin Sonia Nwachukwu (Leverkusen) und 1500-Meter-Läufer Stefan Eberhadt (Erfurt) zollen offenbar der vieldiskutierten Belastung Tribut, die von den Athleten über die vergangenen Jahre hinweg gefordert wurden; sie fehlten. Andere wie der Hochspringer Raul Spank (22, Dresden), immerhin WM-Dritter, oder 200-Meter-Talent Robert Hering (20, Jena), Halbfinalist von Berlin, kommen nicht in die Form von 2009 und werden in Barcelona wohl fehlen.

Bayer verpasst EM-Norm

Prominentester Abwesender bei der EM dürfte aber Weitspringer Sebastian Bayer (Hamburg) sein, der Hallen-Europameister und -rekordler von 2009. Nach diversen Verletzungen im Sommer, Herbst und Winter kam er bei seinem zweiten Wettkampf in diesem Jahr nicht über 7,71 Meter hinaus. Dabei war er so zuversichtlich gewesen, die EM-Norm von 8,00 Meter noch zu schaffen.

Bayer konnte sich nicht einmal über den Erfolg seiner Freundin Carolin Nytra freuen. "Ich glaube, in Partylaune bin ich nicht", sagte er niedergeschlagen. Dabei sollte gerade er eines der neuen, strahlenden Gesichter sein, die der Leichtathletik und ihrem Hauptsponsor hierzulande ein positives Image geben.

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