Leichtathletik:Die Dopingfälle umzingeln Bolt

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Nesta Carter und Usain Bolt (re.): In Peking zusammen zu Gold gerannt (Foto: AP)

Usain Bolt ist der einzige Sprinter, der die 100 Meter unter 9,78 Sekunden lief und nie in Konflikt mit den Anti-Doping-Regeln kam. Dass nun ein Teamkollege erwischt wurde, fördert das Vertrauen nicht.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Nesta Carter war den Leuten eigentlich immer egal. Wer ist schon Carter? Einer dieser unscheinbaren Schnellläufer aus dem jamaikanischen Sprinter-Reservoir, Staffel-Olympiasieger, Staffel-Weltmeister, Staffel-Weltrekordler. Na und? Carter, 31, ist doch auch nur einer von denen, die Usain Bolt groß gemacht hat. Als bekannt wurde, dass Carter zu denen gehörte, aus deren eingefrorenen Dopingproben von Olympia 2008 in Peking sich bei Nachtests ein Verdacht ableiten ließ, dachte deshalb kaum einer an Carter selbst. Alle dachten an Bolt.

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An dessen makellose Bilanz als bester Sprinter der Leichtathletik-Geschichte. Und jetzt, da klar ist, dass Carter tatsächlich wegen eines positiven Nachtests auf das Stimulans Methylhexanamin nachträglich disqualifiziert wird, ist es immer noch nicht wirklich eine Carter-Geschichte. "Doping-Betrüger", hat ein Fan auf Carters schlecht besuchter Facebook-Seite geschrieben: "Du hast Bolt mindestens eine Goldmedaille gekostet. Wie lange hast du betrogen?"

Es hat sich eine gewisse Routine eingestellt bei den großen Dopingfällen. Die Empörung ist kraftlos geworden. Resignation greift um sich, weil man nach den vielen Positivbefunden gar nicht mehr hinterherkommt mit den Streichresultaten. Schon die prominenten Fälle fallen kaum noch auf. Zu den enttarnten Peking-Startern gehört immerhin auch die frühere Dauergewinnerin Tatjana Lebedewa aus Russland, die bei den Spielen 2008 das Kunststück geschafft hatte, Silber im Weit- und im Dreisprung zu gewinnen. Es überrascht keinen mehr, dass sie dafür das Anabolikum Turinabol verwendete, den Klassiker des DDR-Staatsdopings.

Ein Fall Bolt würde gerade schlecht passen

Aber wenn die Einschläge dem Meistersprinter Bolt näher kommen, wächst die Nervosität doch. Das ist spürbar gewesen am Tag nach der Ankündigung des IOC, dass Carters Ergebnisse bei Olympia 2008 infolge des jüngsten Befundes ungültig werden und damit auch Jamaikas Staffelsieg seinen Wert verliert, den Carter mit Michael Frater, Asafa Powell und Bolt in der damaligen Weltrekordzeit von 37,10 Sekunden errungen hatte.

Die Erkenntnis, dass in Russland ein System die Staatssportler mit leistungssteigernder Chemie päppelte, hat die Leichtathletik im vergangenen Jahr schon sehr gebeutelt. Aber wenn Bolt fiele, dann würde sie ihren einzigen echten Weltstar verlieren, ihre wichtigste Attraktion. Vor allem mit Blick auf die diesjährige WM in London würde ein Fall Bolt sehr schlecht passen. Es soll Bolts letzte WM werden. Und die Briten lieben ihn. Das Boulevardblatt Mirror stellte deshalb in seiner Berichterstattung noch mal klar, dass Carter der Schurke sei: "Bolt hat sich keines Fehlverhaltens schuldig gemacht."

Nach den offiziellen Erkenntnissen ist das richtig. Aber was heißt das schon? Dass sich aus offiziellen Erkenntnissen eines Dopingtestsystems nicht immer die volle Wahrheit ableiten lässt, weiß man spätestens seit dem US-Radprofi Lance Armstrong. Sieben Tour-de-France-Titel konnte der sammeln, ehe Aussagen von Kollegen ihn zum Sturz brachten.

Nach Nesta Carters Positivbefund ist Bolt nun der einzige Sprinter, der die 100 Meter unter 9,78 Sekunden lief und nie in Konflikt mit den Anti-Doping-Regeln kam - ausgerechnet der Weltrekordler Bolt (9,58), der in Peking 2008 so gut drauf war, dass er die 100 Meter trotz offenem Schnürsenkel und Abbremsen in der damaligen Weltrekordzeit von 9,69 gewann. Und Bolts verbandsnaher Trainer Glen Mills gewährt keine tieferen Einblicke in dessen Trainingsalltag. Keiner weiß so genau, wie der Coach seinen hochbegabten Spitzensportler seit Jahren immer wieder zuverlässig zum richtigen Zeitpunkt in Goldform bringt.

Wie nervös das Bolt-Lager jetzt selbst ist, ist von außen schwer zu sagen. Zum ersten Mal in seiner Karriere ist Bolt direkt betroffen von einem Dopingfall. Seine makellose Bilanz von neun Olympiasiegen bei drei Olympischen Spielen hat einen Kratzer bekommen, den jeder sehen kann. Auf dem Markt der Eitelkeiten fällt es auf, wenn ein dreimaliger Triple-Gewinner auf einmal nur noch ein zweimaliger Triple-Gewinner mit Zusatz-Double ist. Und dass es einen Nationalteamkollegen erwischt hat, fördert das Vertrauen auch nicht.

Andererseits gehört Nesta Carter nicht zur Bolt-Gruppe. Er trainiert beim Glen-Mills-Konkurrenten Stephen Francis, einem Selfmade-Trainer, der mit seinem Club MVP in den vergangenen Jahren enorme Medaillengewinne zu verzeichnen hatte. Die aktuelle 100-Meter-Olympiasiegerin Elaine Thompson kommt zum Beispiel aus dem Francis-Team oder deren Vorgängerin Shelly-Ann Fraser-Pryce. Glen Mills findet es vielleicht sogar ganz lustig, dass der Kollege mal wieder einen Stimulans-Fall in seinen Reihen hat. Und Bolt ist so sehr auf Gleichmut getrimmt, dass er sich ohnehin nicht anfechten lässt.

"Es bricht mein Herz, weil man über die Jahre so hart gearbeitet hat"

Nachdem er in Rio seinen nächsten Dreifacherfolg bei Olympia sichergestellt hatte, wurde er nach Carter gefragt und nach der Aussicht, eine seiner Goldmedaillen zu verlieren. "Es bricht mein Herz, weil man über die Jahre so hart gearbeitet hat, um Goldmedaillen anzuhäufen - aber so ist das halt", sagte Bolt, "wenn es bestätigt wird und ich meine Goldmedaille zurückgeben muss, dann gebe ich sie halt zurück. Das ist kein Problem für mich." Die französische Sportzeitung L'Équipe zitierte ihn am Mittwoch mit den Worten: "Das ändert nichts an meinem Vermächtnis."

Und Nesta Carter? In der britischen Zeitung The Telegraph sagte Carters Anwalt Stuart Stimpson: "Mr. Carter wird vor dem Sportgerichtshof Cas Berufung einlegen." Substanzen wie Methylhexanamin waren schon 2008 verboten, aber damals stand das Mittel nicht namentlich auf der Dopingliste. Außerdem kann es auch ohne Doping-Absicht über Nahrungsergänzungsmittel in den Körper gelangen. Carter will um seine Medaille kämpfen. Die Bolt-Fans drücken ihm sicher die Daumen.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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