Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik:"Dinge, die man besser privat regelt"

Will Adidas nicht mehr? Der Sportartikel-Konzern erwägt einen Ausstieg aus den Verträgen mit dem Weltleichtathletik-Verband.

Von Thomas Kistner und Uwe Ritzer

Sebastian Coe war in seiner Karriere schon oft mittendrin in den Untiefen der Sportpolitik. Dem inzwischen gesperrten Fifa-Chef Sepp Blatter diente Coe einst als erster Vorzeigechef für dessen handverlesenes Ethikkomitee. Auch darf man annehmen, dass die Hinterzimmer-Deals, die bei olympischen Städteküren üblich sind, nicht völlig an dem englischen Lord vorübergegangen sind.

Immerhin war er es ja, der die Sommerspiele 2012 gegen stärkste Konkurrenz aus Paris, Moskau und New York nach London holte. Aber fragt man Coe, hat er nie etwas mitbekommen von den Schmutzgeschäften der Branche. Und am wenigsten mitbekommen hat er in den vielen Jahren in den Spitzengremien des Leichtathletik-Weltverbands IAAF - deren Präsident er heute ist.

Sponsoren werden nervös, Adidas prüft den Vertrag

Kann das sein? Soeben attestierte eine Prüfkommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada dem IAAF-Council, dem Coe seit 2007 als Vizepräsident angehört, es könne "nicht unwissend gewesen sein über das Ausmaß des Dopings und der Regelverletzung" in der russischen Leichtathletik - ebenso wenig wie "über das Ausmaß der Vetternwirtschaft" an der IAAF-Spitze. Die hatte Doping jahrelang gedeckt und war sogar in Bestechungszahlungen in Millionenhöhe verwickelt. In Paris ermittelt die Staatsanwaltschaft, Coes Amtsvorgänger Lamine Diack darf das Land nicht verlassen. Interpol jagt Diacks Sohn, der jahrelang das Marketinggeschäft der IAAF betreute. Die Mitwisserschaft der Funktionäre ist also klar ausformuliert. Nur Coe will der olympische Sport ein notorisches Nichtwissen bescheinigen; samt der Kompetenz, den jahrelang mitverwalteten Augias-Stall auszumisten.

Wie riskant dieses Spiel des alten Kameradschaftssystems ist, dem Coe angehört, zeigen jüngste Vorgänge. Sponsoren werden nervös, Werbepartner Adidas prüft den Vertrag. Zum anderen liegen neue Fragen zu Coe selbst auf dem Tisch.

Die Agentur AP hat auf Basis des Informationsfreiheits-Gesetzes Mails erhalten, die zeigen, wie Coe die Hilfe der britischen Diplomatie in Anspruch nahm, als er im IAAF-Thronbewerb den Widersacher Sergei Bubka (Ukraine) ausstach. Im Sommer 2015 gewann Coe mit 115:92 Voten. Zuvor waren die britischen Botschaften gebeten worden, pro Coe auf IAAF-Mitglieder einzuwirken. In einem Telegramm von Außenminister Philip Hammond am 21. Mai 2015 heißt es: "Wir bitten alle Stellen, für Lord Coe zu werben." Dies sei "eine wichtige Berufung für das Vereinigte Königreich, und er hat die persönliche Unterstützung des Premierministers".

Just in Afrika, wo der Senegalese Diack beheimatet ist, soll besonders heftig lobbyiert worden sein. Ebenso in Singapur: Die Internet-Fachpostille insidethegames präsentiert eine Mail vom 17. Juni, in der Coes Vertreter einen Mitarbeiter David Camerons so aufklärt: "Es ist die Art Dinge, die man besser privat von Premierminister zu (Singapur; d. Red.) Premierminister Lee regelt als beim Essen vor allen anderen." Im Juli traf Cameron seinen Kollege Lee Hsien Loong. Wie Singapurs Mitglied votierte, ist nicht bekannt, wohl aber, dass der Stadtstaat große Sympathie für Bubka hegte: Der Ukrainer war Chef von Bewertungs- und Koordinierungskommission für die olympischen Jugendspiele, die 2010 erstmals in Singapur ausgetragen wurden.

Ernst nehmen muss Coe auch den Druck der Sponsoren. Die Glaubwürdigkeit seiner Sportart ist ramponiert, Partner Adidas macht Druck auf die IAAF, das Dopingproblem schnell zu lösen. In diesem Sinn wurde der Sportartikelhersteller in London vorstellig. Eine Entscheidung, sich vorzeitig aus dem bis 2019 laufenden Ausrüstervertrag zurückzuziehen, sei aber noch nicht gefallen, heißt es in Herzogenaurach. Ein entsprechender Bericht der britischen BBC sei insofern falsch. "Adidas ist gegen Doping in jeglicher Form", so ein Firmensprecher. "Wir sind deshalb in engem Kontakt mit der IAAF, um mehr über den Reformprozess der IAAF zu erfahren."

Eugene erhielt die Leichtathletik-WM ohne Bewerbung

Vom Resultat will der Konzern abhängig machen, ob der Vertrag früher gekündigt wird. Man rechnet in Herzogenaurach nicht mit einem kurzfristigen Entscheid. Jedoch steht Adidas unter Zugzwang, weil die Firma in der Vergangenheit bei Dopingverdacht einzelnen Sportlern sofort die Ausrüsterverträge gekündigt hat. Auch für den Konzern geht es um Glaubwürdigkeit.

Für Coe sind Probleme mit Werbepartnern nicht neu. 2015 musste er im Londoner Parlament sogar selbst einen Interessenskonflikt erklären: Als bezahlter Nike-Botschafter hatte er für die Vergabe der Leichtathletik-WM 2021 an Eugene (USA) lobbyiert. Mails zeigen, wie er dies bei seinem sinistren Vorgänger Diack tat. Eugene erhielt die WM ohne Bewerbungsprozess, die Stadt ist Stammsitz von Nike.

Der deutsche Leichtathletik-Chef Clemens Prokop fordert eine Prüfung der WM-Vergabe. Einleiten müsste die: Sebastian Coe.

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SZ vom 26.01.2016/schm
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