Leichtathletik:Der schnellste Sohn der Stadt

Leichtathletik: "Ich hatte schon Bock, mit diesen Leuten zu laufen": Aleksandar Askovic, eingerahmt von Weltrekordhalter Christian Coleman (links) und Lokalmatador Aleksa Kijanovoc.

"Ich hatte schon Bock, mit diesen Leuten zu laufen": Aleksandar Askovic, eingerahmt von Weltrekordhalter Christian Coleman (links) und Lokalmatador Aleksa Kijanovoc.

(Foto: Axel Kohring/Beautiful Sports/Imago)

Sprinter Aleksandar Askovic gelangt bei seiner ersten Weltmeisterschaft in Belgrad ins Halbfinale. Für den Münchner ein ganz besonderer Moment: Er ist gebürtiger Belgrader.

Von Andreas Liebmann

Er hatte das nicht ganz alleine geschafft, ein bisschen hatte auch noch der Zufall mitgeholfen. Nun jedenfalls stand Aleksandar Askovic vor seinem Startblock, er wirkte entspannt, lächelte, vielleicht weil er wusste, dass er rein vom Erlebniswert her schon mit diesem Vorlauf über 60 Meter eine Menge herausgeholt hatte aus dieser für ihn so besonderen Veranstaltung. Es war das internationale Debüt des 24-jährigen Sprinters von der LG Stadtwerke München, und nun stand unmittelbar zu seiner Linken ausgerechnet Aleksa Kijanovic, der serbische Rekordhalter, Lokalmatador bei dieser Hallenweltmeisterschaft in Belgrad, der vom Publikum laut bejubelt wurde. Und zu seiner Rechten: Christian Coleman, USA, der Weltrekordhalter in dieser Disziplin. Eine perfekte Konstellation also. Als die Kamera Askovic während der Begrüßung einfing, deutete er lässig auf seinen Namen auf der Brust: Seht her, ich bin dabei!

Aber natürlich war Askovic, der erst seit Jahresbeginn für München startet, nicht als Tourist gekommen. Das sollte er gleich in diesem Vorlauf zeigen, der nach einem Fehlstart des Pakistaners Umar Hameed erst im zweiten Versuch klappte. Er kam gut aus dem Startblock, hielt gut 40 Meter lang sogar einigermaßen mit Coleman mit, ehe es der große Favorit doch mit einigem Vorsprung Richtung Ziellinie austrudeln ließ. Askovic aber kam als Zweiter an, war damit direkt fürs Halbfinale qualifiziert. Seine persönliche Bestzeit von 6,61 Sekunden hatte er eingestellt, den Spanier Bernat Canet damit ebenso hinter sich gelassen wie den Slowaken Jan Volko, den Halleneuropameister von 2019. Lokalmatador Kijanovic wurde Fünfter. "Es war ein sehr gut besetztes Rennen", sagte er später, "ich hatte schon Bock, mit diesen Leuten zu laufen." Zu verlieren, das wusste er, hatte er ohnehin nichts, wollte nur genießen.

Zuletzt bei den deutschen Meisterschaften, da war Aleksandar Askovic Vierter, damit hätte er trotz erfüllter Norm das Ticket für Belgrad knapp verpasst. Doch er war der einzige deutsche Sprinter, der in Belgrad starten wollte. In diesem Sommer steht die Weltmeisterschaft in Eugene an (15. bis 24. Juli), danach die Europameisterschaft in München (15. bis 21. August), die anderen konzentrierten sich eben mehr auf die Freiluftsaison. Der Termin für den Hallenhöhepunkt war vergleichsweise spät, "eigentlich sollte man jetzt schon in der Vorbereitung sein". Nur 18 deutsche Athletinnen und Athleten nahmen letztlich an dieser WM teil.

Seine jüngste Leistungssteigerung im Sprint erstaunt: Nach München war er dem Weitsprung zuliebe gewechselt

Askovic setzte seine Prioritäten etwas anders. Es war schließlich seine erste WM, klar. Aber noch wichtiger: Sie fand in Belgrad statt, seiner Geburtsstadt. Als er vier war, zogen die Eltern mit ihm nach Augsburg, der Vater begann in München zu arbeiten. Zahlreiche Onkel und Tanten leben noch in Serbien, bis zur Pandemie habe es sehr regelmäßige Heimatbesuche gegeben. Und er könne sich auch noch gut daran erinnern, erzählte er, wie er bei der Hallen-EM in Belgrad 2017 im Publikum saß und sich vornahm: Das nächste Mal werde er hier als Teilnehmer auf der Bahn laufen. Nun also war er dabei, landete knapp hinter Coleman, für den es ebenfalls ein besonderes Rennen war - das erste nach Ablauf einer 18-monatigen Anti-Doping-Sperre, die er wegen zu vieler verpasster Kontrollen kassiert hatte. Im Publikum viele Verwandte und Freunde in weißen Fanshirts, "das gibt einem die letzte Schippe Kraft", sagte Askovic.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass er zuletzt im Sprint noch einmal eine deutliche Leistungssteigerung geschafft hat. Denn sein Antrieb, vom LC Top-Team Thüringen, für das er vor einem Jahr die LG Augsburg verlassen hatte, nach München weiterzuziehen, war ein ganz anderer. Er wollte seine alte Leidenschaft, den Weitsprung, wiederbeleben, die ihn nie ganz losgelassen hatte. So kam es, dass er zwar nach München wechselte, wo es eine Reihe guter Nachwuchssprinter gibt, mit denen er sich in den zurückliegenden Jahren auch oft gemessen hatte - aber dort nun Sebastian Kneifel sein Trainer ist, der Bundesstützpunkttrainer Sprung. "Ich kenne ihn schon lange", erzählt Askovic, die Idee, dass er wieder mit dem Springen anfangen könne, hätten beide "cool" gefunden, und offenbar hat ihm das neue Training mit der Sprungkraft auch für den Sprint ein paar wichtige Impulse gegeben.

Im Halbfinale von Belgrad führte ihn der Zufall dann einmal mehr mit Coleman zusammen, der auch diesen Lauf gewann, später in einem Herzschlagfinale dann aber nur Zweiter wurde, nach Auswertung des Zielfotos um drei Tausendstelsekunden hinter dem italienischen Olympiasieger Lamont Marcell Jacobs. Der zweite Lauf habe sich noch etwas besser angefühlt als der erste, sagte Askovic nach dem Halbfinale, war tatsächlich allerdings um eine Hundertstel langsamer und reichte nicht mehr zum Weiterkommen. Mit Rang vier in diesem Lauf und seiner Leistung sei er dennoch sehr zufrieden gewesen.

Das Schönste war kurz zuvor passiert. Da setzte der Hallensprecher die Zuschauer davon in Kenntnis, dass hier ein gebürtiger Belgrader am Start sei. "Das Publikum hat sofort reagiert, applaudiert und viel Lärm gemacht", freute sich Askovic. Zu verlieren hatte er immer noch nichts - diesmal aber mit Gänsehaut.

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