Leichtathletik:Der richtige Lauf am falschen Ort

ISTAF in Berlin

Fahne für die Rekord-Läuferin: Gesa Krause beim Istaf in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Beim Istaf in Berlin läuft Gesa Felicitas Krause deutschen Rekord über 3000 Meter Hindernis.
  • Bei der Leichtathletik-WM in London stürzte sie im Finale über eine Gegnerin und hatte früh keine Chance mehr auf eine Medaille.
  • "Das war eine Erfahrung, die mich als Athletin ein Stück größer gemacht hat", sagt sie heute.

Von Johannes Knuth, Berlin

Am Ende war eigentlich alles so, wie Gesa Krause sich es ausgemalt hatte. Sie hatte sich mit ihren Konkurrentinnen mutig in diesen Wettstreit über 3 000 Meter Hindernis geworfen. Die spätere Siegerin, Norah Tanui aus Kenia, nabelte sich ab. Aber Krause heftete sich in den Windschatten, es wurde immer lauter im Berliner Olympiastadion, und in diesem Sog trieb es Krause zu Platz zwei und zum deutschen Rekord, 9:11,85 Minuten. Die 25-Jährige hüllte sich in eine deutsche Flagge, die so lang war, dass Krause, 1,67 Meter, den Stoff problemlos als Bettdecke zweitverwerten könnte. Sie weinte Tränen der Freude, und nur die wenigen Tränen des Frusts, die sie auch verdrückte, erinnerten daran, dass sie dieses Skript gern früher abgearbeitet hätte: bei der Weltmeisterschaft in London vor zwei Wochen. Jetzt war ihr doch noch der richtige Lauf gelungen. Nur am falschen Ort.

Das Istaf in Berlin ist für gewöhnlich ein Saisonausstand, wo die Leichtathleten ihre Gewinner hochleben lassen, aber ein paar versöhnten sich diesmal auch mit einem Sommer, der es nicht so gut mit ihnen gemeint hatte. Krause war "auf den Tag fit" zur WM angereist. Und dann: Stolperte sie über eine Läuferin, die vor ihr verunfallt war, das Rennen war vorbei, bevor es begonnen hatte. Krause fühlte sich als Versagerin, obwohl sie nichts falsch gemacht hatte. Sie lief in der vergangenen Woche beim Finale der Diamond League in Zürich, verbesserte dann in Berlin um vier Sekunden jenen nationalen Rekord, den sie sich schon für die WM vorgenommen hatte. Sie sei "sehr erleichtert" nach diesem "versöhnlichen Ende", sagte sie. Aber man spürte, dass selbst ein Rekord nicht alles vergessen macht.

Wenn Krause ihre Gedanken teilt, redet sie leise, aber mit großer Aufgeräumtheit, so, wie sie ihrer Arbeit nachgeht: Jeder Tag steht im Dienst des nächsten. Kein Wunder, wenn man sich im Ausdauergewerbe mit den Mitbewerbern aus Ostafrika und Amerika misst. "Man muss etwas verrückt sein", sagt Krause, "diesen harten Trainingsalltag mögen." Trainingslager im kenianischen Iten etwa, auf 2 400 Meter, wo es keine Einkaufsmeile gibt, nur Laufbahnen aus Staub. Und Konkurrentinnen, die einem davonlaufen, wie vor sieben Jahren, als Krause zum ersten Mal in Iten hospitierte. Der Alltag eines Leichtathleten ist ein dunkler Ort; der Athlet ist allein mit seinen Qualen, der Körper muss viel einstecken, ehe er bereit ist auszuteilen. Aber wer dranbleibt, wird entlohnt, so sieht Krause das, und bislang hatte es bei den großen Messen ja oft geklappt: WM-Bronze 2015, EM-Gold 2016, deutscher Rekord bei Olympia in Rio. Nur dass der Sport einen weit zurückwirft, obwohl alles voranging, das kannte Krause noch nicht.

Man kann ein Rennen nicht ändern wie ein Bild, aus dem man etwas Unliebsames herausradiert. Nach der Weltmeisterschaft in London habe sie "erst mal nur das Negative gesehen", sagt Krause heute. Aber sie akzeptierte schnell, dass die WM etwas "sehr Besonderes war, das nun mal zu mir gehört"; dass es gut war, der Enttäuschung Raum zu geben, statt sie zu verdrängen. Weil man nur so wieder Platz für Neues schafft. Sie sei ein ehrgeiziger Mensch, wenn etwas schlecht war, "will man es danach besser machen". Zudem habe sie beim Istaf gespürt, dass sie noch nicht alle Kräfte gehoben habe, dass der Tag, der in London verdampfte, noch in ihr steckt. Mittlerweile findet sie: "Das war eine Erfahrung, die mich als Athletin ein Stück größer gemacht hat."

So redete Krause in Berlin über das Gute, das aus dem Schlechten wuchs, und irgendwann hatte man das Gefühl, dass es so etwas tatsächlich gibt: die Schönheit einer Niederlage. Krauses Rekord von Berlin hatte noch mal unterstrichen, was passiert, wenn ein Athlet gegen die scheinbar bessere Konkurrenz aus Ostafrika seine Chance sucht, statt zurückzustecken und sich in Hoffnungslosigkeit zu fügen, wie es manchmal in der deutschen Laufszene der Fall war. "Da haben wir sicher eine gewisse Vorbildfunktion", sagt Krause; sie meinte auch Konstanze Klosterhalfen, die ihre beachtliche Saison in Berlin mit 3:58,92 Minuten über 1500 Meter versüßte. "Konstanze hat ja gesagt, sie sieht mich als Vorbild", sagte Krause, fünf Jahre älter als Klosterhalfen, "wobei ich mittlerweile eher Konstanze als Vorbild sehe."

Vorbild zu sein - das heißt für Gesa Krause auch, für die Leichtathletik zu werben

So wird aus der Zukunft langsam die Gegenwart, aber Krause dachte in Berlin sogar noch weiter. "Ich glaube, dass wir hier auch eine Vorbildfunktion haben, junge Leute für einen Sport zu begeistern, der nicht mehr so einen Stellenwert hat wie früher", sagte sie. In der Spitze sieht es ja nicht schlecht aus, aber in der Breite erodiert das Niveau in Deutschland seit Jahren. In einem Jahr richtet Berlin die Leichtathletik-EM aus, Krause wird dort ihren Titel verteidigen, "das kann sicher noch mal für einen Aufschwung sorgen", glaubt sie. "Ich hoffe einfach, dass der Sport nicht ausstirbt, er ist so vielseitig, es ist für jeden was dabei."

Ein verspäteter Rekord reicht nicht, um zu vergessen. Aber er hilft.

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