Leichtathletik:Der neue Harting kämpft gegen sein altes Ich

German Championships In Athletics - Day 2

Robert Harting nach seinem Wurf, der zur Deutschen Meisterschaft gereicht hat.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Ein Kreuzbandriss und 15 Monate Pause haben Diskuswerfer Robert Harting nachdenklich werden lassen. Er erkennt die Schwächen seines Körpers.

Von Saskia Aleythe, Kassel

Über allem, was Robert Harting in seinem Sport macht, liegt ein Schatten. Er begleitet ihn im Training, im Wettkampf sowieso. Es ist ein Schatten, den er selber erschaffen hat. Der Schatten ist er selbst, nur besser: Es ist der Robert Harting von früher, der Olympia-Sieger, der 70-Meter-Diskuswerfer, der Leibchen-Zerrupfer. Der Robert Harting von heute sagt: "Es ist erschütternd zu merken: Jeden Tag, an dem man sich selber prüft, weiß man: Das konnte man früher besser."

Gerade noch war Harting Autogramme schreiben im Aue-Stadion von Kassel, gerade noch hatte er sich die Hände ungläubig vors Gesicht geschlagen und war jubelnd vornüber auf den Rasen gesunken: Mit 68,04 Metern wurde er Deutscher Meister, im letzten Versuch haute er die Scheibe über zwei Meter weiter als sie bisher bei ihm in dieser Saison geflogen war. Sechster Versuch, es ist die Situation, die Harting liebt. "Da glüht mir der Hintern, vor allem wenn ich nicht vorne bin", sagt er. Durch den Titel hat er sich direkt für die Olympischen Spiele qualifiziert. Doch dieser Nachmittag bedeutete viel mehr für Harting: "Für mich ist das heute wiederauflebende Identität."

Was macht ein Sportler, wenn er seinen Sport nicht mehr so ausüben kann wie er will? Wer bleibt da als Mensch übrig, wenn es ganz mit der Karriere zu Ende geht? Es sind Fragen, die sich Harting gestellt hat in den vergangenen Monaten, ja schon über ein Jahr lang. Im September 2014 zog er sich einen Kreuzbandriss im linken Knie zu, bestritt 15 Monate lang keinen Wettkampf. Ein Desaster in der Zeit vor Olympia, "das hat mich das Ende meiner Karriere berühren lassen". Anfang Februar meldete er sich in Berlin beim Istaf Hallenmeeting zurück, es war ein Comeback nach 531 Tagen. Mit einer guten Weite für einen, dem viel Training fehlt. Aber gut ist eben nicht zufriedenstellend für Harting.

Es ist eine Situation, die ihn hadern lässt, "wenn du plötzlich nicht mehr das kannst, was du jahrelang gezeigt hast und du dich selber fragst, wer du eigentlich bist, jetzt mit 31." Er, der seinen Sport seit 2009, als er in Berlin erstmals Weltmeister wurde - im letzten Versuch -, so dominiert hat, musste sich nun fragen, ob er auch ein Harting ist, der sich zurückkämpfen will, der nicht ganz oben steht in der Welt und andere jubeln lassen muss. Der damit leben kann, dass er früher eben besser war. "Was man damals erreicht hat, kippt dann ins Gegenteil", sagt er. Es wird zur Last.

Wenn Robert Harting über seinen Körper spricht, spricht er über einen neuen Körper. "Ich fahre jetzt eine G-Klasse, kein Formel-1-Auto mehr", sagt er, "ich brauche ein Gelände, um Vorteile zu haben." Mit Gelände meint er äußere Bedingungen. Die Weite in Kassel sei eine gewesen, "die ich eigentlich nicht werfen kann". Doch der Wind war günstig, als Harting an der Reihe war, "das habe ich gesehen und bin schnell in den Ring gestiegen." Leistungsmäßig sieht er noch diesen Rückstand, den er durch die Verletzung angesammelt hat, im Training landeten seine schlechten Würfe bei 60 Metern. Das ist sein Maßstab für das, was er Leistungsstandard ansieht. Nicht etwa die guten Würfe. Fünf Meter fehlten ihm im Vergleich zu diesem Schatten von früher, drei glaubt er noch aufholen zu können bis Olympia. Und selbst dann sei der Sieg abhängig vom Glück.

Das Knie tut ja immer noch weh, das hat er auch in Kassel gemerkt. Das Adrenalin, das im sechsten Versuch seinen Körper durchspült hat, habe die Schmerzen verdrängt, gleich war der Bewegungsfluss ein anderer. Harting weiß das alles einzuschätzen, er weiß, dass er noch Arbeit vor sich hat, auch wenn er nun auf Platz drei der Weltjahresbestenliste steht: "Ich muss meinen eigenen Wurf wiederfinden. Das konnte ich bisher nicht wegen der Schmerzen im Knie." Die Europameisterschaft in Amsterdam wird er auslassen, um sich wieder völlig ins Training zu stürzen.

Doch es ist ja nicht nur seine Technik, seine Kraft oder sein Wurf, die Robert Harting zum Olympia-Sieger gemacht haben, es ist vor allem: Sein Kopf. Die mentale Stärke, notfalls im letzten Versuch ein noch besserer Harting zu werden und damit nicht weniger als der beste Diskuswerfer überhaupt. Seinen Kopf vergleicht er mit einer Software und die müsse nun neu programmiert werden, dafür hat er professionelle Hilfe bei einem Sportpsychologen gesucht. "Das war vorher nie notwendig, weil ich nur meinen Kalenderzettel abreißen musste und warten, dass ich dran bin", sagt er. Früher halt.

Die Identitätsfindung ist bei Robert Harting noch nicht abgeschlossen, das Erlebnis aus Kassel hat ihn ja auch wieder ein bisschen herangeführt an diesen Schatten, der ständig über ihm schwebt, neben ihm im Ring steht und die Scheibe weit von sich wirft. Ganz andere "Selbstbewusstseinsdimensionen" hätten sich nun für ihn eröffnet, sagt Harting noch und: "Adern, die verkalkt sind, sind jetzt wieder durchblutet." Es scheint, als hätte er denjenigen wiedergefunden, der er immer noch sein will. Robert Harting ist jetzt halt der Geländewagen mit neuer Software.

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