Leichtathletik:Das Lächeln des Großmeisters

Der London-Marathon steht im Zeichen des Kenianers Eliud Kipchoge - und vieler Nebengeräusche.

Von Johannes Knuth, London/München

Und dann war es wieder soweit, nach knapp zwei Stunden und 40 Kilometern in den Beinen: Eliud Kipchoge lächelte. Man kennt das ja vom Marathon-Weltrekordmann aus Kapsabet in Kenia, er lächelt immer dann, wenn die Qualen im Rennen richtig lästig werden. Aber Schmerz, hat Kipchoge einmal gesagt, sei auch nur eine Geisteshaltung. Er knipse in diesen dunklen Momenten einfach ein Lächeln an, denke an schöne Dinge, ans Überqueren der Ziellinie etwa oder wie herrlich das Laufen doch sei. Dann verdampfe der Schmerz von allein. Schon praktisch. Kurz nachdem Kipchoge am Sonntag gelächelt hatte, hat er jedenfalls auch seine letzten Verfolger abgeschüttelt, weggelächelt auf dem Weg zu seinem Sieg beim größten Marathon des Frühlings in London.

Dominanz kann ein Publikum irgendwann ermatten, aber so wie manche Großmeister über ihren Sport herrschen, übt das auch eine eigene Faszination aus. Kipchoge gewann am Sonntag zum vierten Mal in London - das hatte bislang nur die Norwegerin Ingrid Kristiansen geschafft - diesmal in 2:02:37 Stunden, es war der offiziell zweitschnellste je gelaufene Marathon. Den schnellsten hatte der 34-Jährige im vergangenen Herbst in Berlin in die Rekordlisten eingetragen, in unwirklichen 2:01:39. Kipchoge hat in mittlerweile sechs Jahren auf der Straße noch immer keinen schlechten Marathon dargeboten - kaum vorstellbar in einem Gewerbe, in dem es die Ausnahme ist, wenn ein Plan aufblüht.

Auch das starke Feld der Frauen erfüllte am Sonntag die Erwartungen, die Kenianerin Brigid Kosgei gewann in 2:18:20, avancierte damit zur siebtschnellsten Frau der Historie. Wobei: Ein wenig fühlte sich London diesmal wie eine Hochzeitsfeier an, bei der sich der Bräutigam auf dem Weg zum Altar den Fuß bricht und der Ex der Braut seine Liebe gesteht - die Feier geht schon noch weiter, aber die Gespräche drehen sich längst um unappetitliche Debatten.

Leichtathletik: Ein Lächeln, diesmal vor Erleichterung: Eliud Kipchoge läuft in London den zweitschnellsten Marathon der Geschichte.

Ein Lächeln, diesmal vor Erleichterung: Eliud Kipchoge läuft in London den zweitschnellsten Marathon der Geschichte.

(Foto: Alastair Grant/AP)

Zunächst zum offiziellen Londoner Festprogramm: Die Frauen ließen sich 25 Kilometer Zeit, dann ging es richtig zur Sache. Kosgei und Vivian Cheruiyot, die Vorjahressiegerin, rissen aus, ihre hochgehandelte Landsfrau Mary Keitany hielt schon nicht mehr mit. Dann verschrieb Kosgei sich einem noch fiebrigeren Tempo: Die 25-Jährige schüttelte erst Cheruiyot ab, die spätere Zweite (2:20:14), veredelte ihre zweite Rennhälfte dann in 66:42 Minuten - eine Zeit, auf die viele Halbmarathon-Läuferinnen stolz wären. Dritte wurde Roza Dereje, 21, aus Äthiopien (2:20:51); es war ein weiterer Beleg dass bei den Frauen eine hochklassige Marathon-Ära anbricht.

Bei den Männern war zunächst die Frage: Wie lange kann Mo Farah, der Lokalheld und überragende Bahnläufer der vergangenen Jahre, in seinem vierten Marathon mit den Besten mithalten? Die Antwort: Kaum länger als eine halbe Stunde. Da zeigte sich, was Kipchoge vorher höflich verkündet hatte: Schon nett, so ein Europarekord, den Farah zuletzt in Chicago geschafft hatte; aber die Besten sind doch noch in einer anderen Preisklasse. Kipchoge trieb das Tempo nun immer höher, erst entspannt wie ein Jogger, der seinen Hund ausführt; dann lächelte er, schüttelte zwei Äthiopier ab, die sich in seinem Sog zu famosen Zeiten ziehen ließen: Mosinet Geremew (2:02:55) und Mule Wasihun (2:03:16). Farah? Verfehlte seinen Europarekord nur um rund eine halbe Minute, in 2:05:39, womit er seine Woche zumindest halbwegs versöhnlich beendete.

Begonnen hatte das Theater am Mittwoch, als Farah ungefragt erzählt hatte, wie ihm während seines Trainingslagers in Äthiopien 3000 Dollar und eine wertvolle Uhr aus dem Hotelzimmer entwendet worden waren. Er garnierte das mit Vorwürfen an Haile Gebrselassie, Äthiopiens einstigen Überläufer, der mittlerweile unter anderem besagtes Hotel besitzt. Gebrselassie wies alles zurück; Farah und dessen Entourage, konterte er, hätten während ihres Aufenthalts unter anderem Hotelgäste attackiert. Farahs Trainer stritt das wiederum ab, das Ganze sei aus Notwehr geschehen und überhaupt gar nicht so schlimm. So ging das ein wenig hin und her, bis Gebrselassie ein weiteres pikantes Detail vortrug.

DM-Titel für Scherl und Gröschel

Tom Gröschel (Rostock) und Anja Scherl (Regensburg) haben am Sonntag in Düsseldorf die deutschen Meistertitel im Marathon gewonnen. Vorjahressieger Gröschel, 27, blieb in 2:13:49 Stunden erstmals unter der 2:14er-Marke. Scherl, 33, die erst vor drei Wochen den Hannover-Marathon absolviert hatte, sicherte sich in 2:32:55 Stunden den Titel. Überschattet wurde die Veranstaltung vom Zusammenbruch eines 32 Jahre alten Läufers, der noch an Ort und Stelle reanimiert werden musste. Über seinen genauen Zustand war zunächst nichts bekannt. Beim zeitgleich ausgetragenen Marathon in Hamburg gewannen die Äthiopier Tadu Abate (2:08:26) und Dibabe Kuma (2:24:42), beste Deutsche waren Frank Schauer (Tangermünde/ 2:16:55) sowie Thea Heim (Regensburg/2:36:10).

Farah, sagte er dem Guardian, sei seit etwas mehr als zwei Jahren sauer auf ihn, weil er damals einem Begleiter des Briten den Zutritt zum Hotel verwehrt habe. Dabei habe es sich um Jama Aden gehandelt. Der war im Juni 2016 bei einer Razzia in Spanien verhaftet worden, Ermittler hatten im Umfeld seiner Trainingsgruppe - darunter Weltrekordhalterin Genzebe Dibaba - Spritzen mit dem Blutbeschleuniger Epo gefunden. Der britische Verband teilte damals hastig mit, dass man mit Aden nicht verbandelt sei, der Somali habe bei Farahs Training nur ein paar Mal eine Stoppuhr gehalten. Farah erklärte zudem, er stünde seit 2015 mit Aden nicht mehr in Kontakt. Merkwürdig nur, dass beide im Februar 2016 auf einem Gruppenfoto zu sehen waren, einträchtig lächelnd.

Und jetzt? Farah und Aden auf gemeinsamer Äthiopien-Reise? Der britische Verband richtete am Freitag aus, Farah habe bei einer Unterredung versichert, dass Gebrselassies Angaben falsch seien. Nach dem Rennen am Sonntag fiel Farah nun plötzlich ein, dass er "2016" letztmals Kontakt zu Aden hatte. Die spanischen Behörden ermitteln übrigens noch immer gegen den Trainer, der bis zuletzt eng mit Katars Leichtathletik-Verband vernetzt war, Gastgeber der kommenden WM. Aden streitet alle Vorwürfe ab.

Was da beinahe unterging: Die Organisatoren in London hatten am Freitag den Kenianer Abraham Kiptum ausgeladen, wegen Auffälligkeiten im Blutprofil. Kiptum hält seit einem halben Jahr den Halbmarathon-Weltrekord (58:18), jetzt rückt er fürs Erste in die Galerie von namhaften kenianischen Positivfällen: Zuletzt waren Sarah Chepchirchir, Tokio-Siegerin 2017, und Asbel Kiprop, Peking-Olympiasieger über 1500 Meter, gesperrt worden. Was ihnen auch Kipchoges Tadel einbrachte, der in London sinngemäß sagte, das Pharmaproblem im Sport zeuge von moralischen Defiziten.

Wenn sich alles bloß so weglächeln und wegmoderieren ließe.

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