Leichtathletik:Coe verliert die Geduld

Lange war Weltverbandschef Sebastian Coe mit Russlands Leichtathleten nachsichtig. Nun verweigert deren Verband die Zahlung einer Geldstrafe aufgrund fortgesetzten Dopings - und sogar eine Verbannung aus dem Weltverband ist möglich.

Von Joachim Mölter

Sebastian Coe weiß, wie man sich auf diplomatischem Parkett bewegt, spätestens seit er im Jahr 2000 in den Adelsstand erhoben wurde und als Baron von Ranmore lebenslang einen Sitz im britischen Oberhaus erhielt. Auch als Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes World Athletics (WA) war der zweimalige 1500-Meter-Olympiasieger stets redegewandt; die Zeitung Independent erfand sogar mal den Begriff "weasel words" für ihn, "Wiesel-Worte", weil schwer zu greifen war, was er sagte. Nun hat der wendige Lord Coe aber ungewohnt deutlich formuliert, was er vom russischen Leichtathletik-Verband (Rusaf) hält: "Wir sind sehr enttäuscht."

Bis zum Mittwoch hätte die Rusaf fünf Millionen Dollar Strafe sowie 1,3 Millionen Dollar Verfahrenskosten zahlen sollen, die der Weltverband im März verhängt hatte wegen fortgesetzter Doping-Vergehen. "Wir haben das Geld leider nicht auftreiben können", sagte der Rusaf-Präsident Jewgeni Jurtschenko der russischen Nachrichtenagentur Tass. Womöglich hätte er Coe und Co. besänftigt, wenn er das auch ihnen erklärt hätte, doch das hat er offensichtlich nicht, wie die WA am Donnerstag mitteilte: Sie habe weder das Geld bekommen, "noch eine Information, wann es gezahlt werden könnte, trotz mehrerer Erinnerungen".

Nun hat der Weltverband alle Maßnahmen auf Eis gelegt, die er für die Resozialisierung des seit 2015 suspendierten russischen Verbandes eingeleitet hatte - inklusive des Programms, das bislang einzelnen, neutralisierten Sportlern die Teilnahme an internationalen Großereignissen ermöglichte, sofern sie unbelastet waren und unabhängige Dopingkontrollen nachweisen konnten. Wenn sich Ende Juli der Rat der WA trifft, soll über das weitere Vorgehen beraten werden. Die vollständige Verbannung der Rusaf aus der WA erscheint jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen - es wäre ein Novum im Weltsport.

Die Leichtathleten hatten ohnehin am strengsten reagiert, als Russlands Staatsdoping-System aufgedeckt worden war. Seit November 2015 ist die Rusaf suspendiert, seitdem haben ihre Funktionäre viel abgestritten und viel versprochen, aber nur wenig getan. Erst als Jurtschenko als neuer Präsident installiert worden war und Manipulationen unter seinem Vorgänger Dmitrij Schljachtin zugegeben hatte, schien eine Besserung in Sicht zu sein. Im März verzichtete die WA daher auf den erwogenen Rauswurf der Russen, hielt aber die Suspendierung aufrecht und verhängte eine Rekordstrafe von zehn Millionen Dollar, die Hälfte davon ausgesetzt zur Bewährung: "Die bisherigen Maßnahmen haben offensichtlich nicht ausgereicht, um die Kultur im russischen Verband zu ändern", sagte Coe damals. Um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, hatte sein Gremium die Zahl der sogenannten "autorisierten neutralisierten Athleten" bei Olympia in Tokio auf zehn beschränkt - bei der WM 2019 in Doha waren noch 29 Russen unter dem Kürzel "ANA" am Start. Nun sind es null, und wenn es dabei bleibt, droht Weltmeisterinnen wie Marija Lassizkene (Hochsprung) und Anschelika Sidorowa (Stabhoch) das Olympia-Aus. "Wir haben versucht, die sauberen Athleten von einem schmutzigen System zu trennen", sagte Coe, nun findet er: "Die Rusaf lässt ihre Athleten schmählich im Stich."

Der Lord ist offensichtlich mit seiner Geduld am Ende. "Wir haben alles mögliche getan, um die Rusaf bei ihrer Wiedereingliederung zu unterstützen", ließ er am Donnerstag wissen, "aber anscheinend ohne Erfolg."

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