Deutsche Meisterschaften:Drei Wege zum Olymp

Deutsche Meisterschaften: Malaika Mihambo, Gina Lückenkemper und Konstanze Klosterhalfen.

Malaika Mihambo, Gina Lückenkemper und Konstanze Klosterhalfen.

(Foto: dpa/dpa/getty)
  • Weitspringerin Malaika Mihambo, Sprinterin Gina Lückenkemper und Läuferin Konstanze Klosterhalfen prägen die deutsche Leichtathletik.
  • Sie sind sehr erfolgreich, aber jede auf unterschiedliche Art und Weise.
  • Drei Porträts über drei Sportlerinnen, die bei den deutschen Meisterschaften in Berlin im Fokus stehen.

Von Joachim Mölter

Gina Lückenkemper

Die 200 Meter haben Gina Lückenkemper und ihr Trainer Uli Kunst nun auch für diese Saison aus dem Programm gestrichen. Jene Strecke, über die der Sprinterin 2016 der internationale Durchbruch gelang als EM-Dritte und Olympia-Halbfinalistin in Rio. "Wir sind beide sehr lustvoll auf die 200 Meter", versichert Kunst, "aber dafür braucht man Wettkampferfahrung, man muss ein Gefühl kriegen für die Kurve, die Gerade. Wir basteln jedes Jahr an den 200 Metern, aber die Zeit ist einfach zu knapp."

Gina Lückenkemper ist viel unterwegs, nicht nur auf den Kunststoffbahnen dieser Welt. Die 22-Jährige gilt als Gesicht der deutschen Leichtathletik und eilt deshalb auch zu ziemlich vielen Werbe- und Medienterminen, um ihren Sport voranzubringen. Weil Lückenkemper die 200 Meter also ruhen lässt, wird das Publikum sie bei den Meisterschaften in Berlin nur kurz zu sehen bekommen, über 100 Meter eben; mit dem Finale wird der erste Wettkampftag am Samstag (19.45 Uhr) beendet. "Endlich mal wieder eine Meisterschaft, wo Feuer gemacht wird", sagt Uli Kunst.

Gina Lückenkemper ist Titelverteidigerin, Tatjana Pinto (Paderborn/bislang 11,12 Sekunden) und Laura Müller (Rehlingen/11,15) sind gut in Form in diesem Sommer, auch die Weitspringerin Malaika Mihambo (LG Kurpfalz/11,21) will mitmischen. "Das finden wir alle super", sagt Kunst, "die Konkurrenz stachelt alle an. Ich erhoffe mir einen Leistungssprung."

In dieser Saison ist Lückenkemper bei 11,14 angelangt; ihre Bestzeit stammt aus dem Jahr 2017 (10,95), als EM-Zweite kam sie im Vorjahr in Berlin auf 10,98. "In der europäischen Spitze ist sie schon", sagt ihr Trainer, "aber sich in der Weltspitze zu etablieren, ist schwierig. Da gibt's noch zehn, zwölf andere vor ihr." Aber in die Weltspitze will die Athletin hinein, ihr Trainer traut ihr durchaus mal ein Olympia-Finale zu, ihr Wettkampfkalender ist auf die Diamond-League-Meetings ausgerichtet, auf denen sie sich schon mal mit den schnellsten Frauen der Welt messen kann.

Auch deswegen ist Gina Lückenkemper ständig auf Achse, "von den 365 Tagen im Jahr ist sie die Hälfte unterwegs", schätzt ihr Trainer. Die Athletin hat zwei Basislager: in Soest bei ihrer Familie und in Bamberg bei ihrem Freund. Aber im Grunde kann sie überall trainieren, als Mitglied des Olympiakaders hat sie jederzeit Zugang zu den Olympiastützpunkten, sie muss nur organisieren, dass jemand da ist und aufmacht. Vorsichtshalber hat sie fürs Training immer einen Startblock im Kofferraum dabei.

Zu Lückenkempers Stärken zählt, dass sie alleine trainieren kann, "sie kann sich selbst in den Hintern treten", sagt Kunst. Manchmal wünscht er seiner Athletin trotzdem eine starke Trainingsgruppe wie beim Staffeltraining des DLV, um "die Stärke von anderen für sich zu nutzen", bei Startübungen, Tempoläufen oder generell bei hohen Intensitätsspitzen. "In der Regel braucht sie das nicht", sagt Kunst, "aber es könnte die letzten paar Prozente bringen."

Die letzten Hundertstelsekunden, die noch zur Weltspitze fehlen.

Die magische Marke ist überquert

Malaika Mihambo

Alle Wege führen nach Rom, besagt ein Sprichwort, selbst in der 12 000-Einwohner-Gemeinde Oftersheim in Nordbaden findet man Wege, die einen hinausbringen in die große, weite Welt. Zumindest Malaika Mihambo gelingt das. Die 25 Jahre alte Leichtathletin gehört dem TSV 1895 Oftersheim an, einem von acht Klubs, die sich zur LG Kurpfalz zusammengeschlossen haben, und sie hat ihren Heimatverein unlängst tatsächlich in Rom repräsentiert, Anfang Juni beim Diamond-League-Meeting. Da übertraf die Weitspringerin sogar erstmals die Sieben-Meter-Marke. Mit 7,07 führt sie seitdem die Jahresbestenliste an, noch vor Olympiasiegerin und Weltmeisterin Brittney Reese, 32, aus den USA, die bei exakt 7,00 gelandet ist.

Mihambo hat die magische Marke seither noch zweimal überquert, in Dessau (7,05) und London (7,02). Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin dürfte sie unangefochten sein im Finale am Sonntag (17.20 Uhr): Ihre nächstbeste Landsfrau liegt fast einen halben Meter zurück. Um einen Reiz zu schaffen, startet sie auch über 100 Meter am Samstag (Finale: 19.45 Uhr); im Sprint hat sie sich unlängst ohne viel Starttraining auf 11,21 Sekunden gesteigert und die Spezialistinnen aufgeschreckt.

Malaika Mihambo steht mit ihrem Trainer Ralf Weber für eines der vielen Erfolgsmodelle, die in der facettenreichen Leichtathletik zu finden sind. Die wird ja nicht nur in Großklubs betrieben oder zentral von Bundestrainern gesteuert; sie gedeiht auch prächtig in Nischen, auf individuellen Pfaden, in kleinen, behaglichen Nestern, wie Mihambo und Weber sich eins gebaut haben in Oftersheim und im Nachbarort Schwetzingen. "Ich habe alles, was ich brauche", stellte Mihambo einmal fest: "Meine Familie, meine Freunde, der Trainer ist super. Was will man mehr?" Nun, vielleicht eine stärkere Lobby im Verband?

Als sich Mihambo Anfang 2017 eine Fußverletzung zuzog und nicht mehr ganz so weit kam, flog sie jedenfalls umgehend aus dem Olympiakader. Weber hat das sehr gewurmt. "Das ist nicht die richtige Botschaft an die Athleten", kritisierte er, nachdem seine Athletin vor einem Jahr in Berlin als Europameisterin ein grandioses Comeback gefeiert hatte: "Wenn Athleten nach drei Jahren mit internationalen Top-Ten-Platzierungen nach einem Jahr Verletzung die Förderung gestrichen wird, muss ich schon am System zweifeln."

Tatsächlich ist Malaika Mihambo in ihrem nordbadischen Biotop ja zu einer außergewöhnlich konstanten Athletin gereift. Europameisterin bei den Junioren (2013), bei der U23 (2015) und bei den Frauen (2018), Olympiavierte in Rio 2016; bis auf 2017 legte sie jedes Jahr Weiten um die 6,90 Meter hin, eher noch darüber. "Es gibt Sportlerinnen und Sportler, die sind extrovertiert, haben aber wenig Erfolg. Bei Malaika ist das umgekehrt", sagte Weber kürzlich dem Tagesspiegel. Malaika Mihambo gehört zu den eher Stillen im Land, das verhindert wohl eine größere Prominenz außerhalb der Sandgrube. Aber sie zeigt jedes Jahr aufs Neue, wohin die Wege aus Oftersheim führen können: in diesem Jahr nach Doha zur WM, im nächsten vermutlich zu Olympia nach Tokio.

Training beim umstrittenen Projekt in Oregon

Konstanze Klosterhalfen

Unterwasserlaufbänder gibt es in Deutschland natürlich auch, freilich nicht so viele wie Physiotherapeuten, die für gewöhnlich damit arbeiten. Ernährungsberater und Mentalcoaches lassen sich ebenfalls finden, Trainer, Laufbahnen und Krafträume sowieso. Aber eine Ballung von all dem, wie es sie in der Nähe von Portland im US-Bundesstaat Oregon gibt, sucht man hierzulande vergebens, selbst bei Bayer Leverkusen, einem der wohl am besten ausgestatteten Leichtathletikklubs Deutschlands. Die paradiesisch klingenden Rahmenbedingungen, die der US-Sportartikelhersteller bei seinem "Nike Oregon Project" einem kleinen Kreis von Läufern an seinem Firmensitz bietet, haben auch Konstanze Klosterhalfen angelockt, das größte Mittelstreckentalent des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV): Im Herbst zog die 22-Jährige in die USA, erst mal nur, um zu schauen, ob es ihr dort taugt; seit diesem Frühjahr ist sie festes Mitglied des Projekts.

"Ich bin super dankbar, dass ich da sein kann", erzählte sie im Winter nach ihrem deutschen Hallenrekord über 3000 Meter in Leipzig (8:32,47 Minuten): "Es ist wie jeden Tag Trainingslager. Sie helfen mir super, auf einem neuen Level zu trainieren." Nike umsorgt die derzeit zwölf auserwählten Läufer und Läuferinnen mit einem personellen und logistischen Aufwand, der im hiesigen Sportsystem kaum zu finanzieren ist. Und Klosterhalfen machte schnell Fortschritte. Bereits im Winter erreichte sie persönliche Bestleistungen auf allen Strecken von 1500 bis 5000 Meter; den DLV-Rekord im Freien über 3000 Meter hat sie jüngst in Stanford auf 8:20,07 Minuten verbessert.

"Ich möchte noch bis ganz in die Weltspitze"

Bei den deutschen Meisterschaften in Berlin präsentiert sich Klosterhalfen am Wochenende wieder einmal dem deutschen Publikum, im Trikot ihres Heimatklubs Bayer Leverkusen. Sie wird indes nicht ihren Titel über 1500 Meter verteidigen, den sie drei Mal gewonnen hat, sondern über 5000 Meter starten (Samstag, 18.20 Uhr). Dort ist die Konkurrenz stärker, in Person von Alina Reh (Ulm), der U23-Europameisterin über 10 000 Meter.

Neben den hochprofessionellen Rahmenbedingungen war das ein weiterer Beweggrund für die 1,74 Meter große und knapp 50 Kilo leichte Klosterhalfen, in die USA zu wechseln: Dort kann sie täglich mit Weltklasse-Läuferinnen trainieren, hat sie täglich einen stärkeren Antrieb. "Ich möchte noch bis ganz in die Weltspitze", erklärt sie, "und die trainieren einfach super hart hier."

Um ihr Ziel zu erreichen, nimmt Klosterhalfen in Kauf, dass das "Nike Oregon Project" nicht den besten Ruf genießt, dass ihm durchaus Skepsis entgegenschlägt: Gegen Gründer und Chefcoach Alberto Salazar ermittelt die amerikanische Anti-Doping-Agentur bereits seit einigen Jahren. Klosterhalfen verweist darauf, dass sie vom Assistenzcoach Pete Julian angeleitet wird, und der DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska sagt dazu: "Konstanze ist eine Athletin, die in unserem System sehr, sehr klar aufgeklärt worden ist."

Zur SZ-Startseite
Konstanze Klosterhalfen bei den Hallenmeisterschaften 2019 in Leipzig

Konstanze Klosterhalfen
:Mit Totenkopf in die absolute Weltspitze

Konstanze Klosterhalfen verbessert den deutschen Rekord über 3000 Meter um fast zehn Sekunden. Seit Kurzem trainiert sie in den USA beim höchst umstrittenen "Nike Oregon Project".

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: