Leichtathletik:Auch mal wieder Jägerin sein

Malaika Mihamob scheint im Moment fast alles zu gelingen. Die begnadete Weitspringerin nähert sich auch im Sprint der Weltelite - und schafft es, am Boden zu bleiben, wenn sich alles darum dreht, abzuheben.

Von Johannes Knuth

Der Trubel ist jetzt an vielen Orten, auch da, wo man ihn nicht erwartet. Die Leichtathleten werden am Wochenende, bei den deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig, nach den Wettkämpfen in einen winzigen Korridor zwischen Laufbahn und Tribüne geleitet, sie wechseln hastig in wärmere Kleidung, dann ziehen sie oft ebenso eilig weiter. Aber als Malaika Mihambo sich am Samstag nach ihrem Vorlauf über 60 Meter einen schwarzen Pullover anlegt, reicht das einem Dutzend Kindern in blauen Helfer-T-Shirts, um sich mit Stiften und Blöcken um die 26-Jährige zu formieren. Mihambo lächelt, dann erfüllt sie jeden Autogrammwunsch. Die Kinder stehen ohnehin brav in einer Schlange an - als gehe es darum, sich vom Bestsellerautor nach der Lesung ein Exemplar mit Widmung zu sichern.

Es ist ein geordneter Andrang, der Malaika Mihambo, 26, von der LG Kurpfalz in diesen Tagen umstellt. Sie ist jetzt das Werbegesicht, das in Leipzig in einem Filmchen auf dem Videowürfel die nationalen Titelkämpfe im kommenden Sommer bewirbt. Sie trifft im Finale über die 60 Meter nur eine Hundertstelsekunde hinter der Siegerin Lisa-Marie Kwayie ein, in persönlicher Bestzeit von 7,22 Sekunden - auch wenn sich in Tatjana Pinto und Gina Lückenkemper die allerstärksten Widersacherinnen entschuldigt haben. Für den Weitsprung am Sonntag ist sie, die Weitsprung-Weltmeisterin von Doha, ohnehin die himmelhohe Favoritin. Vor einer Woche brillierte sie beim Istaf-Hallenmeeting in Berlin schon wieder, ihr Auftritt war erst etwas zäh verlaufen, aber dann standen vor ihrem letzten Versuch 12 500 Zuschauer auf, nur für sie. Und Mihambo lieferte den besonderen Moment, den alle erwarteten; sie sprang 7,07 Meter, getragen von der Kunst, sich vom grellen Licht der Aufmerksamkeit nicht blenden zu lassen, sondern darin erst recht zu strahlen.

GER, ISTAF-Indoor 2020 Berlin / 14.02.2020, Mercedes Benz Arena, Berlin, GER, ISTAF-Indoor 2020 Berlin, im Bild Weitspr

In grellen Licht der Aufmerksamkeit: Malaika Mihambo beim Istaf-Meeting in Berlin am vergangenem Wochenenende.

(Foto: imago images/Nordphoto)

Das Olympiajahr, das gerade anbricht, ist die erste Saison nach einem Sommer, in dem so gut wie alles aufblühte. Mihambo übertraf erstmals und dann immer wieder die sieben Meter, gewann WM-Gold mit 7,30 Metern. Weiter war nur eine Deutsche jemals gesprungen: Heike Drechsler. Manche werden nach derartigen Höhenflügen etwas flügellahm, weil sie den ungewohnten Trubel auskosten oder weil es eben menschlich ist, nach derartigen Anstrengungen ein bisschen die Körperspannung zu verlieren. Mihambo aber scheint weiterhin das alles mühelos zu verknüpfen: Werbedrehs in Los Angeles, im goldenen Kleid zur Sportlerin des Jahres ausgerufen werden, im Thailandurlaub Abstand gewinnen, das Masterstudium in Umweltwissenschaften vorantreiben. Und Weitspringen und Sprinten natürlich. Nur dass diese Herausforderung noch etwas größer geworden ist: am Boden zu bleiben, wenn sich noch mehr als sonst alles darum dreht, abzuheben.

Nicht, dass sie das aus ihrer Mitte werfen würde. "Es ist jetzt schon was Anderes, man wird mehr wahrgenommen", sagt sie in Leipzig, aber sie genieße diesen Trubel jetzt halt, so lange er da ist. Und überhaupt: "Ich sehe das eher als Zugabe", sagt Mihambo. Die Prioritäten sind seit Jahren dieselben: erst der Mensch, dann der Sport, dann das Drumherum. Neue Sponsoren: ja, aber nur, wenn ihr das Beworbene auch zusagt. "Dann haben alle Seiten mehr davon, wenn man so etwas gezielt und authentisch macht", sagt sie. Ralf Weber, ihr Trainer, der sie seit über einem Jahrzehnt im beschaulichen Oftersheim betreut, hatte schon vor einem Jahr bemerkt, dass Mihambo die aufbrandende Aufmerksamkeit durchaus auskoste - ein bisschen Instagram hier, ein Shooting da, das habe ihr früher gar nicht so zugesagt. Aber der Blick aufs Wesentliche habe nie gelitten, findet Weber: "Es gibt einige, die sind im Verkaufen größer, und die, die haben eher den sportlichen Erfolg."

Mihambo begreift sich selbst als "Hobbysprinterin", die Konkurrenz sieht das anders

Mihambo bleibt sich so gesehen auch in dieser Saison treu. Sie ist schon noch hauptberuflich Weitspringerin, aber sie bricht auch immer mal wieder aus dem Gewohnten aus. Dafür hat sie den Sprint, die 60 Meter in der Halle und die 100 im Freien, noch mehr in den Fokus gerückt, als durchaus seriöses Nebengewerbe. Zwei Einzelstarts lässt der olympische Zeitplan im Juli in Tokio kaum zu, aber die Sprintstaffel, die sei "sicherlich eine Option", sagt Mihambo in Leipzig. Sie war schon immer sehr schnell, aber es dauerte ein wenig, ehe sie nach einem langwierigen Knochenödem auch die nationale Elite bei den Erwachsenen ärgern konnte. Im Vorjahr wurde sie bei den nationalen Meisterschaften schon Dritte über 100 Meter (11,21 Sekunden), nur eine Hunderstelsekunde hinter Lückenkemper. Ihr Trainer traut ihr sogar eine Zeit unter elf Sekunden zu, für Mihambo geht es derzeit aber eher um eine frische Perspektive: Sie fühle sich im Sprint noch immer "als Underdog", manchmal sogar als "Hobbysprinterin", sagt sie. Die Rolle als Jägerin gefalle ihr da, zumal im Weitsprung jetzt ohnehin alle den Olympiasieg erwarten.

Leichtathletik/Halle: Deutsche Meisterschaft

Nur ein Wimpernschlag: Im Finale über 60 Meter läuft Lisa-Marie Kwayie (li.) vor Malaika Mihambo (2.v.l.) über die Ziellinie.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Wobei: Auch die nationale Sprintelite sieht das mit der Außenseiterin längst ein wenig anders . "Malaika ist wirklich wettkampfstark, ich freue mich ungemein, dass ich sie schlagen konnte", sagt Lisa-Marie Kwayie am Samstag. Mihambo, findet sie, sei auch im Sprint mittlerweile "ziemlich Weltspitze".

Sorgen muss man sich auch da freilich keine machen, und nicht nur da. Am Samstag wird Mihambo noch gefragt, was sie, deutsche Mutter, Vater aus Sansibar, von den rassistisch motivierten Morden in Hanau halte; keine einfache Frage in einem Umfeld, in dem Hundertstelsekunden zwischen Jubel und Tränen schnell zu Dramen aufgepumpt werden. Aber Mihambos Antwort sitzt auch da so sehr wie ein praller Absprung vom Weitsprungbrett. "Dass diese Gesinnungen jetzt wieder so ausbrechen, ist natürlich schon erschreckend", sagt sie, "ich denke, wir müssen einfach alle mehr an uns selbst arbeiten, glücklichere Menschen zu sein. Dann kann man auch andere in Ruhe lassen."

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