Leichtathletik:Anruf vom Kontrolleur

Dopingtests mit Vorwarnung, mutmaßliche Korruption im Verband: Nach Russland droht nun auch Kenias Leichtathleten der Ausschluss von den Olympischen Spielen im kommenden Sommer in Rio de Janeiro.

Von Johannes Knuth

Vor Kurzem hatte dann auch Wilson Kipsang genug. Kipsang, 33, Bronzemedaillengewinner im olympischen Marathon 2012, schloss sich am vergangenen Donnerstag einem Protestzug an, der sich durch Eldoret/Kenia schlängelte. In seinem Gefolge: Athleten, Trainer, Manager, vereint in ihrem Zorn auf die Regierung und den nationalen Leichtathletik-Verband "Athletics Kenya" (AK). Es war die zweite Kundgebung binnen kurzer Zeit; im November hatten Athleten die Zentrale des Verbands in Nairobi besetzt. Der Zustand, sagte Kipsang nun, in den die heimische Leichtathletik von ihren Funktionären getrieben wurde, sei untragbar: "Jeden Tag sagen sie uns, dass sie etwas tun. Aber sie tun nichts. Die Situation darf nicht so bleiben, wie sie ist."

Diese Situation sieht derzeit so aus: Kenia, die stolze Laufnation, könnte demnächst von den olympischen Leichtathletik-Wettbewerben im Sommer in Rio de Janeiro ausgeschlossen werden. Seit längerem sprudeln schlechte Nachrichten aus dem Land, 40 positive Dopingfälle seit 2012 zum Beispiel, und in diesen Tagen hat der schmutzige Sog nochmals an Kraft gewonnen. Zuletzt häuften sich Berichte über Korruption im Verband, über Geld, das an Funktionäre floss statt an Athleten. Am Dienstag sperrte die Ethik-Kommission des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF Isaac Mwangi, Geschäftsführer von AK, für ein halbes Jahr. Mwangi soll von den Athleten Joy Sakari und Koki Manunga jeweils rund 21 000 Euro gefordert haben, um drohende Sperren zu reduzieren; beide waren bei der WM in Peking erwischt worden. Mwangi wehrt sich heftig. Die Vorwürfe seien "ein Witz", polterte er.

Kenyan athletes occupy Athletics Kenya HQ to protest

"Genug ist genug": Kenianische Leichtathleten protestieren vor der Verbandszentrale in Nairobi gegen mutmaßlich korrupte Funktionäre.

(Foto: Dai Kurokawa/dpa)

Nicht allen Beteiligten ist derzeit zum Lachen zumute. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada ist beunruhigt: Die Regierung und der kenianische Verband, so tadelte sie, würden zu wenig unternehmen, um ein dichteres Fangnetz für Dopingtäter zu knüpfen, mit einer robusten Anti-Doping-Agentur. Die existiert zwar formal, aber es fehlen Labore und qualifizierte Tester. Eine Wada-Frist für Nachbesserungsarbeiten bis zum 14. Februar ließ der Verband verstreichen. Die Wada versetzte das Land also auf seine Beobachtungsliste. Dort bleibt es bis zum 5. April, dann könnte die Wada Kenias Anti-Doping-Bemühungen als "nicht-regelkonform" klassifizieren. Wie zuletzt in Russland, wo Ermittler ein staatlich protegiertes Dopingnetzwerk aushoben. IAAF-Präsident Sebastian Coe teilte mit, er werde nicht zögern, nach Russland auch Kenia aus der Leichtathletik-Familie zu verstoßen, sollte die Wada das Land mit einem Bann belegen. Ob Kenia dann Olympia fernbleiben müsste, würde das Internationale Olympische Komitee entscheiden. Es ist jedenfalls nicht so unwahrscheinlich, dass die besten Nationen der Weltmeisterschaften 2013 (Russland) und 2015 (Kenia) in Rio fehlen werden.

Wie der kenianische Verband die nötigen Aufräumarbeiten vorantreiben will, ist ungewiss. Die Verbandsspitze ist ja fast geschlossen suspendiert, wegen mutmaßlicher Korruption und Veruntreuung: Präsident Isaiha Kiplagat, Stellvertreter David Okeyo, Schatzmeister Joseph Kinyua, nun Mwangi. Andere geben sich trotzig: "Kenia sollte nicht das Kreuz tragen, weil einige Individuen gedopt haben", sagte der stellvertretende Verbandschef Kalkaba Malboum am Dienstag. Als in den USA das Balco-Dopinglabor enttarnt wurde, mit prominenten Kunden wie der Sprinterin Marion Jones, habe man ja auch nicht den US-Verband verstoßen. Die Wada, sagte Malboum, messe mit zweierlei Maß.

Leichtathletik: Isaac Mwangi, suspendierter Geschäftsführer des kenianischen Leichtathletik-Verbands, soll zwei von Dopingsperren bedrohte Athletinnen erpresst haben.

Isaac Mwangi, suspendierter Geschäftsführer des kenianischen Leichtathletik-Verbands, soll zwei von Dopingsperren bedrohte Athletinnen erpresst haben.

(Foto: Simon Maina/AFP)

Die Beweislage zeichnet ein leicht konträres Bild. Da ist die Korruption im Verband, die seit Jahren wie Unkraut sprießt, da ist die Regierung, die Förderströme nicht in den Verband lenkt, wie nationale Medien tadeln. Und da ist die Glaubwürdigkeit des Sports, die zuletzt massiv erodierte, zum einen in der Welt-Leichtathletik, weil Coes Vorgänger jahrelang überführte Doper gegen Schmiergeld starten ließen. Und zum anderen in Kenia. Die IAAF-Ethiker empfingen zuletzt ein halbes Dutzend anonyme Hinweise, dass Kenias Verband Geld von überführten Dopingtätern erpresse. Ein Insider erzählt auf Anfrage von Listen mit kenianischen Dopingtätern, die im Dickicht der Korruption verschwanden; manch prominenter Athleten sei noch aktiv. Der kanadische Läufer Reid Coolseat, der sich in Kenia zuletzt für den Olympia-Sommer vorbereitete, berichtete auf Twitter von einem abenteuerlichen Dopingtest, abgesegnet von der IAAF. Er sei am Vorabend von den Testern benachrichtigt worden, sich am nächsten Morgen in Eldoret einzufinden. Als er dort eintraf, nach einstündiger Fahrt, traf er "viele olympische Medaillengewinner", die auch benachrichtigt worden waren; sie alle hätten Zeit gehabt, um illegale Substanzen im Körper zu verschleiern. "Ich glaube, dass die meisten Kenianer sauber sind. Aber sie brauchen ein gutes Anti-Doping-System, um ihre Integrität zu beweisen", sagte Coolseat.

Für ein derartiges Überwachungsradar müssten Verband und Regierung wohl rund 4,5 Millionen Euro aufbringen. "Für Anti-Doping-Agenturen in armen Ländern wie Kenia ist es unmöglich, diesen Anforderungen gerecht zu werden", sagte Richard Ings, einst Chef der australischen Anti-Doping-Behörde, zuletzt dem Guardian. Die IAAF schickt derzeit Tester aus Norwegen und China ins Land, aber das, sagen Experten wie der deutsche Kriminalermittler Günter Younger, sei zu wenig. Man müsse unabhängige Testeinheiten aufbauen, die global ermitteln, vor allem in Ländern wie Kenia. "Ich denke, dass durch die aktuelle Entwicklung im Kampf gegen Doping entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden könnten", sagt Younger: "Es steht derzeit die Glaubwürdigkeit des gesamten Sports auf dem Spiel."

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