Am Dienstag gab die Pressestelle des Bundesgerichtshofs eine knappe Mitteilung heraus. Sie war überschrieben mit den Ziffern II ZR 23/14, dahinter stand in leicht sperrigem Justizdeutsch: "Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zum Schadensersatz dem Grunde nach wegen Nichtnominierung des Dreispringers Charles Friedek für die Olympischen Spiele 2008 in Peking." Übersetzt hieß das in etwa: Der ehemalige Dreispringer Charles Friedek, 44, hatte gerade einen Justizmarathon gewonnen, den es in dieser Form im deutschen Sport noch nicht gegeben hat.
Schon das Sportschiedsgericht gab Friedek recht
Der DOSB, das ist seit Dienstag nun ebenfalls amtlich, hätte den ehemaligen Dreisprung-Weltmeister Friedek, aktuell Junioren-Bundestrainer, zu den Olympischen Spielen 2008 nach Peking mitnehmen müssen. Friedek hatte die Norm des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) erfüllt - so sah das der Athlet zumindest. Der DLV und später auch der DOSB sahen es ein wenig anders, weshalb sie mit Friedek sieben Jahre lang darüber stritten, wie man den Nominierungskatalog des Fachverbandes auszulegen habe.
Der BGH folgte hier nun Friedeks Auffassung. Er entschied zudem, dass der DOSB dem ehemaligen Dreispringer Schadensersatz entrichten muss, für entgangene Preisgelder und Sponsoren; Letztere gehen ja oft erst Partnerschaften ein, wenn ein Athlet für die Spiele zugelassen wird. Friedek fordert 133 500 Euro. Ob die ihm zustehen, darf demnächst wohl das Landgericht Frankfurt entscheiden. Bemerkenswert ist der Fall aber unabhängig von der Summe, die am Ende für Friedek herausspringt: Weil er einiges über die Beziehung zwischen Funktionären und Athleten erzählt.
Friedek hatte bei einem Wettkampf im Juni 2008 in Wesel zwei Mal die sogenannte B-Norm des DLV erfüllt, einmal sprang er 17,00 Meter, dann 17,04 Meter. Wer zwei Mal die B-Norm schafft, darf mit zu den Spielen, so lautete damals die Vorgabe des DLV. Die Athleten sollten - so hatte es sich zumindest in der Praxis durchgesetzt - diese Norm jedoch in zwei separaten Wettbewerben schaffen. So eindeutig stand das nur nicht im Nominierungs-Katalog; Friedek beharrte darauf, mitgenommen zu werden.
Das deutsche Sportschiedsgericht, das gerade den Betrieb aufgenommen hatte, um Streitfälle möglichst unabhängig innerhalb der Grenzen des Sports zu behandeln, gab Friedek Recht. Der DLV war gezwungen, den Dreispringer in sein Olympia-Team einzugliedern. Der DOSB, der formal das gesamte Olympia-Aufgebot bestimmt, segnet in der Regel ab, was ihm die Fachverbände vorschlagen. Bei Friedek weigerte er sich, warum auch immer.
Dem deutschen Sport liegt viel an seiner Rechtsprechung, wenn es nach ihm geht, sollen sich Sportler allein den Richtern des Sports ausliefern. Dass das Sportgericht nun zugunsten Friedeks urteilte, passte dem Sport aber auch nicht; der DOSB setzte sich, indem er den Dreispringer nicht mitnahm, über den Richterspruch hinweg. Offiziell, weil Friedek die Schiedsvereinbarung für Athleten nicht unterzeichnet hatte.
Friedek sah sich also gezwungen, vor die staatlichen Gerichte zu ziehen. Mit einem Eilverfahren kurz vor den Spielen scheiterte er vor dem Oberlandesgericht. Im Hauptverfahren gab ihm das Landgericht Frankfurt dann 2011 recht, das OLG zwei Jahre später allerdings wieder dem Verband. Friedek schaffte es schließlich, den Fall vor den BGH zu bringen.
Der DOSB richtete am Dienstag aus, er könne erst etwas sagen, "wenn wir das schriftliche Urteil vorliegen haben und die Begründung kennen". DLV-Präsident Clemens Prokop sagte dem Sportinformationsdienst (sid) nur, man habe die Nominierungs-Paragraphen längst umformuliert; Friedek hat in den Augen seines Verbandes quasi ein System hinterfragt, das es so längst nicht mehr gibt. Das stimmt wohl, der Spruch des Gerichts dürfte allerdings über die Leichtathletik hinausstrahlen.
Die Richter in Karlsruhe folgten im Kern ja offenbar der Argumentation von Friedeks Anwalt Michael Lehner, der hatte seine Strategie vor der Verhandlung so zusammengefasst: "Unklarheiten gehen zu Lasten derer, die die Richtlinien aufstellen." Das könnte in Verbänden, die ihre Gesetze und Paragrafen gerne einmal schwammig formulieren, noch zu dem einen oder anderen interessanten Fall führen. Und offiziell dürften Verbände wie den DLV dagagen noch nicht mal etwas einzuwenden haben: "Wir propagieren den mündigen Athleten", hat Prokop jedenfalls einmal gesagt. Manchmal heißt das eben, dass aus mündigen Athleten mündige Kläger werden.
Und dennoch: Für den Sport könnte es ein ungemütlicher Winter werden. Der BGH wird Anfang des kommenden Jahres wohl den Fall des SV Wilhelmshaven verhandeln, der Fußball-Landesligist könnte im Streit mit dem Fußball-Weltverband Fifa das System der Ausbildungsentschädigung ins Wanken bringen.
Und dann ist da noch der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Pechstein fordert, ebenfalls vor dem BGH, nicht nur Schadensersatz vom Eisschnelllauf-Weltverband ISU für eine aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Dopingsperre; sie bemängelt auch, dass Sportler sich exklusiv den Gerichten des Sports unterwerfen müssen. Im Fall Pechstein wird der DOSB also hoffen, dass das höchste deutsche Gericht die Exklusivität seiner Sportgerichtsbarkeit schützt. Im Fall Friedek war er hingegen selbst nicht bereit, ein Sportgerichts-Urteil zu akzeptieren.