Das dauert, das dauert, das dauert. Bis Jelena Issinbajewa endlich mal in einen Stabhochsprung-Wettkampf eingreift, dauert das für gewöhnlich länger als ein Kassenpatient beim Arzt im Wartezimmer sitzen muss. Zumindest das war am Montagabend bei den Weltmeisterschaften in Berlin wie immer.
Ansonsten verlief der Wettbewerb gar nicht so, wie man das gewohnt ist und folglich auch wieder erwartet hatte: Als Issinbajewa - die Titelverteidigerin, die Olympiasiegerin, die Weltrekordlerin im Freien (5,05 Meter) und in der Halle (5,00), kurzum: die Königin des Stabhochsprungs - anderthalb Stunden nach Beginn des Finales endlich ins Geschehen eingriff, kam sie nicht mehr hoch auf ihren Thron.
Dreimal nacheinander scheiterte die 27 Jahre alte Russin, was in ihrer Disziplin das Aus bedeutet: einmal bei der Höhe von 4,75 Meter, zweimal bei den 4,80, die sie hatte auflegen lassen, weil die Polin Anna Rogowska 4,75 Meter auf Anhieb gemeistert und sich damit einen Vorsprung gesichert hatte. Issinbajewa hatte also pokern müssen - und sie hatte dieses Spiel verloren.
Neue Weltmeisterin wurde die 28 Jahre alte Rogowska mit ihren 4,75 vor ihrer Landsfrau Monika Pyrek und der US-Amerikanerin Chelsea Johnson, die sich den zweiten Platz teilten mit jeweils 4,65 Metern. Die Leverkusenerin Silke Spiegelburg schaffte diese Höhe zwar auch, aber erst im zweiten Anlauf und musste sich deshalb aufgrund der Mehrversuchsregel mit Platz vier begnügen. Die 23-Jährige taumelte danach weinend durch die Gänge unterhalb der Tribünen, durch welche die Athleten nach ihren Wettkämpfen aus dem Olympiastadion geführt werden und stammelte nur: "Mit wird erst jetzt klar, was ich für eine Chance vergeben habe."
Das hätte auch von Jelena Issinbajewa stammen können, die freilich gefasster wirkte nach ihrem Salto Nullo, wie man es nennt, wenn ein Springer keinen gültigen Versuch zustande bringt. Ihre Entthronung kam jedenfalls nicht ganz so sensationell daher wie es den Anschein haben könnte angesichts ihrer jahrelang anhaltenden Erfolgsserie. Die in Monaco lebende Russin war in diesem Sommer längst nicht so hoch gesprungen, wie die Welt das von ihr gewohnt ist. Mit 4,85 Metern war sie zwar immer noch Weltjahresbeste, aber doch deutlich jenseits der Sphären, in denen sie früher schwebte.
Beim Istaf vor zwei Monaten in Berlin hat sie sich ein wenig am Knie verletzt, aber die russischen Trainer hatten vor der WM noch versichert, die Blessur sei ausgeheilt. "Die hat mich auch heute nicht behindert", erklärte Issinbajewa und fügte hinzu: "So ist einfach der Sport." Bei ihrem letztem Start vor der WM, beim Grand-Prix-Meeting Ende Juli in London, hatte sie ja auch schon verloren, erstmals seit anderthalb Jahren und auch dort gegen Rogowska, jedoch mit einer vorzeigbaren Leistung: 4,68 Meter. Kein Grund zur Sorge, versicherte Issinbajewa damals: "Vielleicht war das ganz gut. Ich bin jetzt sehr motiviert für die WM."
Mit der Motivation hatte sie sich schwer getan in diesem Jahr, das hat sie zugegeben. Nach ihrem zweiten Olympiasieg im Jahr 2008 in Peking hatte sie erwogen zu heiraten und eine Familie zu gründen. Erst ein millionenschwerer Sponsorvertrag mit einem chinesischem Sportartikelhersteller, der bis zur WM 2013 in Moskau datiert ist, hatte ihr wieder Schwung fürs Springen verliehen.
Angesichts dieser Vorgeschichte verblüffte sie nun in Berlin mit dem Wagemut, als Anfangshöhe 4,75 Meter auszuwählen - nur zehn Zentimeter weniger als ihre Saisonbesthöhe also. Während sich die Konkurrenz - darunter Anna Battke (Mainz/ Siebte mit 4,40) und Kristina Gadschiew (Zweibrücken/Zehnte mit 4,40) - abmühte, lag Issinbajewa wie so oft neben der Anlage, hatte die Beine hoch- und sich ein Handtuch übers Gesicht gelegt. Es sah aus, als hielte sie ein Nickerchen, so wie die WM-Besucher, die sich zwischen Morgen- und Abendveranstaltung gern ein wenig auf den Rasen legen.
Nach einer Stunde stand Issinbajewa dann auf und spazierte ein wenig herum, um ihren Kreislauf in Schwung zu bringen, da war die Konkurrenz schon bei 4,55 angekommen. Als sie sich schließlich aus ihrer bis zum Hals geschlossenen roten Trainingsjacke schälte und anlief, bei besagten 4,75, wirkte sie längst noch nicht wach, eher ein wenig träge und überhaupt nicht so dynamisch wie man sie kennt. Ganz offensichtlich machte ihr die Knieverletzung doch noch mehr zu schaffen, als sie zugeben wollte. Oder etwas anderes, das sie sich zugezogen hatte.