Leere Stadien bei Olympia:Abkommandiert zum Jubeln

Viele Plätze bei den Olympischen Spielen sind leer, obwohl die Stadien offiziell als ausverkauft gelten. Wie kann das passieren? Das Komitee bastelt an einer Lösung - und schickt Soldaten und Schüler auf die Zuschauerränge, um für Stimmung zu sorgen. Das erinnert an die Spiele von Peking.

Jürgen Schmieder, London

Becca Adams ist enttäuscht. Sie arbeitet in einem der zahlreichen kleinen Läden rund um den Bahnhof St. Pancras und versucht seit Wochen, eine Eintrittskarte für die Olympischen Spiele zu bekommen. "Ich bin in London geboren, ich bin in London aufgewachsen, ich lebe in London - da muss man wenigstens einen Wettbewerb gesehen haben", sagt sie, "am liebsten Turnen oder Volleyball." Bei der Verlosung für ihre favorisierten Events habe sie kein Glück gehabt, nun würde es auf der offiziellen Ticketseite meist heißen: leider keine Karten mehr.

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Britische Soldaten haben Eintrittskarten für die Olympischen Spiele in London bekommen - damit die Stadien nicht so leer sind.

(Foto: AFP)

Adams hat sich damit abgefunden, dass 8,8 Millionen Tickets (6,6 davon in Großbritannien) in den freien Verkauf gegangen waren und andere eben mehr Glück hatten. Doch nun sieht sie im Fernsehen die leeren Plätze in vielen Stadien und Arenen: "Das verstehe ich nicht. Wenn Menschen ein Ticket haben und nicht hingehen, dann sollen sie mich anrufen - ich komme sofort vorbei." Vor den Arenen bilden sich Schlangen mit Menschen, die sich vergeblich um Eintrittskarten bemühen - und drinnen sind Plätze frei.

In London ist eine Diskussion entbrannt, wie es angesichts der hohen Nachfrage und eines komplizierten Vergabesystems dennoch passieren kann, dass an den ersten Wettkampftagen einige Sitze leer geblieben sind. Es war zu erwarten gewesen, dass nicht alle Fußballspiele weit außerhalb von London und nicht alle Vorkämpfe ausverkauft sein würden - es überraschte indes, dass auch bei den begehrten Wettbewerben wie Schwimmen Plätze leer geblieben sind.

Als Ryan Lochte und Michael Phelps um den Einzug ins Finale über 400 Meter Lagen schwammen, waren allein in einem Block etwa 500 Sitze nicht besetzt. Auch bei anderen Wettbewerben waren die Arenen nicht voll.

Beim Turnen gab es 1000 unbesetzte Stühle, obwohl die Veranstaltung offiziell ausverkauft war. Beim Volleyball war ein Viertel der 15.000 Menschen fassenden Halle leer, beim Dressurreiten gar ein Drittel. Auch beim Tennisturnier in Wimbledon und beim Basketball waren die Arenen deutlich sichtbar nicht besetzt.

Das Organisationskomitee hat bereits reagiert. Am Samstag wurden teilweise die freien Sitze mit britischen Soldaten gefüllt. Auch an Schüler, Studenten und Lehrer wurden Tickets verteilt. Das erinnert an die Olympischen Spiele 2008 in Peking - damals wurden Schulklassen zum Jubeln in die Stadien abkommandiert.

Laut Organisationskomitee handelt es sich bei den leeren Sitzen um drei verschiedene Kategorien: Die einen sind reservierte Plätze für Journalisten - und wenn von einer bestimmten Disziplin nur wenige Vertreter berichten wollen, bleiben diese Plätze leer. Für die meisten Wettbewerbe müssen sich Journalisten nicht gesondert akkreditieren, die Organisatoren können also nur schwer planen, wie viele letztlich anwesend sein werden.

Ein Upgrade gefällig?

Die zweite Kategorie sind die Plätze für Regierungsbehörden und Funktionäre. Dort gilt wie bei den Journalisten: Wenn wenige erscheinen, sitzt eben keiner auf den Stühlen.

Es ist die dritte Kategorie, über die nun diskutiert wird und die vor allem Organisationschef Coe verärgert: Sponsoren haben etwa fünf Prozent der Tickets erhalten - und das sind nun zu einem großen Teil die Sitze, die nicht besetzt sind. Coe hatte schon vor den Spielen angekündigt, er werde Firmen öffentlich nennen und anprangern, die Sitzplatzkontingente gekauft, dann aber nicht in Anspruch genommen haben.

Großbritanniens Sportminister Jeremy Hunt bezeichnete die leer gebliebenen Sitze als "sehr enttäuschend" und forderte eine Untersuchung: "Wenn einige Gruppen nicht erscheinen, dann müssen diese Sitze für die Öffentlichkeit freigegeben werden, denn die bringt die Stimmung."

Diese Untersuchung hat das Organisationskomitee nun eingeleitet - und eine Verbesserung der Situation versprochen. Es sei bereits eingeführt worden, dass Zuschauer, die das Stadion vorzeitig verlassen, ihre Karten zurückgeben, so dass sie an die weitergegeben werden können, die vor dem Stadion warten.

Immerhin sind die für Athleten reservierten Sitze sehr gut gefüllt. Die deutsche Schwimmerin Lisa Vitting sagte vor ein paar Tagen: "Wir wollen so viele Sportarten wie möglich sehen und unsere Kollegen unterstützen." Beim Kampf des Boxers Stefan Härtel im ExCel saßen deutsche Hockeyspieler auf der Tribüne, um ihn anzufeuern.

"Wir werden das Problem schnell lösen", sagt Sportminister Hunt. Es gibt nun den Vorschlag einer 30-Minuten-Regel: Sollten 30 Minuten nach Beginn eines Wettkampfes noch Plätze frei sein, dann sollen diese an vor den Arenen wartenden Menschen weitergegeben werden - auch Plätze, die für Journalisten oder Funktionäre reserviert sind.

Es wird auch über eine Variante diskutiert, die in Wimbledon angewendet wird. Wer sein Ticket nicht mehr benötigt, der soll es an ausgewählten Stellen im Olympic Park weiterverkaufen können. "Wir müssen noch prüfen, wie wir das logistisch lösen", sagt Hunt. Es gebe bereits Zuschauer, die Tickets nur für den Olympic Park haben, nicht aber für Wettbewerbe. Diesen Besuchern, die ohnehin da sind, könnte man ein Upgrade geben.

Auf eine schnelle Lösung hofft auch Becca Adams in ihrem Laden am Bahnhof von St. Pancras. Sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, einen Wettbewerb der Olympischen Spiele live zu erleben: "Wie ich schon sagte: Wenn sie jemanden brauchen, der sich auf einen Stuhl im Stadion setzt, dann sollen sie Bescheid sagen. Ich laufe auch zu Fuß rüber."

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