Lazio Rom:Ein Inzaghi, der nicht mehr im Abseits steht

Lesezeit: 4 Min.

Einst Mittelstürmer, jetzt Trainer in Rom: Simone Inzaghi. (Foto: Alberto Lingria/Reuters)
  • Simone Inzaghi wurde nur wegen der Knausrigkeit des Präsidenten Trainer - nun ist seine Elf Seriensieger.
  • Damit tritt der jüngere Bruder von Filippo Inzaghi immer mehr aus dem Schatten des einstigen Stürmer-Phänomens.
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Von Thomas Hürner, Rom/München

Simone Inzaghi war in seiner Karriere schon vieles, nur nicht derjenige, der im Scheinwerferlicht steht. Ein solider Angreifer in Piacenza, Edeljoker in Rom, Leiharbeiter in Bergamo und Genua, dreimal sogar Aushilfskraft in der Squadra Azzurra. Vor allem war Simone aber immer der kleine Bruder von Filippo, besser bekannt als Superpippo. Und dieser Superpippo Inzaghi war ein Phänomen, weil er Erfolge feierte, die sein Talent wahrscheinlich gar nicht für ihn vorgesehen hatte. Er stocherte den Ball auf sagenhaft ungelenke Weise ins Tor, in einer fast schon dreisten Vehemenz, und irgendwann war Superpippo zweimaliger Champions-League-Sieger, Weltmeister und eine schillernde Stürmergröße.

Mittlerweile sind die Inzaghis in den Trainerberuf gewechselt. Und derjenige, dem jetzt die große Aufmerksamkeit zukommt, ist der einst Unscheinbare, Simone. Nun ist es nicht so, dass der große Filippo nach schwierigen Stationen bei Milan, Venedig und Bologna ein vollends gescheiterter Trainer wäre, mit Benevento steht er an der Tabellenspitze der zweiten Liga. Aber die Elogen gelten inzwischen Simone, der mit Lazio Rom kürzlich den vereinsinternen Siegesrekord geknackt hat. Zehn Erfolge in Serie waren dafür nötig gewesen, dann hat er am vergangenen Wochenende beim 5:1 gegen Sampdoria Genua noch den elften draufgesetzt. "Fa paura!" (Es ist beängstigend!), schrieb der Corriere dello Sport, und selbstverständlich war dessen Titelseite illustriert mit einem jubelnden Ciro Immobile. Drei Treffer hatte der Stürmer beigesteuert, insgesamt liegt seine Ausbeute in dieser Saison bei 23, das sind sieben Tore mehr, als Juves Cristiano Ronaldo erzielt hat. Dazu kommen sechs Vorlagen, was sogar dreimal mehr sind als bei Ronaldo.

Immobile, der Dortmund einst als Gescheiterter verließ, ist bei der Società Sportiva Lazio längst unverzichtbar. Und gemeinsam mit Coach Inzaghi der Hauptgrund für einen römischen Höhenflug, der so nicht zu erwarten war. Lazio pirscht sich immer näher heran an Tabellenführer Juventus und Inter Mailand, das Spitzenduo in der Serie A. Das weckt Sehnsüchte im blau-weißen Teil der ewigen Stadt, manch einer glaubt sogar an die erste Meisterschaft seit 20 Jahren, damals errungen von Alessandro Nesta, Juan Sebastián Verón und Pavel Nedved. Und vom Edeljoker Simone Inzaghi, der in der Saison 1999/2000 immerhin sieben Treffer erzielte.

Für den in Bodenständigkeit geschulten Lazio-Coach ist der Scudetto aber selbstverständlich erst mal keine ernsthafte Erwägung. Da fehle schon noch ein bisschen, wiederholt Inzaghi jede Woche aufs Neue, viel wichtiger sei ihm die Lehre des schnellen und vertikalen Spiels. Lazio will nicht lange den Ball haben, sondern diesen früh erobern und kontern. Ein ebenso aufregender wie aufreibender Stil, geradezu maßgeschneidert für den fleißigen und flotten Immobile. Einen Sonderstatus in disziplinarischen Fragen genießt der Angreifer deswegen jedoch nicht, Inzaghi ist eben auch ein strenger Lehrmeister. Mangelnden Respekt beklagte der Trainer etwa, weil Immobile nach seiner Auswechslung gegen Parma schimpfend und fuchtelnd an ihm vorbeigelaufen war. Und obwohl sich der Stürmer umgehend entschuldigt hatte, im Kreise der Mannschaft und auch öffentlich, wurde er in der nächsten Woche gegen Inter aus der Startelf verbannt. Andere hätten ihren besten Angreifer wohl trotzdem eingesetzt.

Bei Inzaghi ist es aber so, dass er sich selbst seit mehr als zehn Jahren in einer autoritären Regentschaft zurechtfinden muss, der seines Präsidenten Claudio Lotito. Ein knausriger Reinigungsunternehmer, der schon eigene Spieler verklagt hat, weil sie ihren Vertrag nicht zu niedrigeren Bezügen verlängern wollten. Und es war auch Lotitos Knausrigkeit, die Inzaghi erst ins Amt brachte. Eigentlich hätte im Sommer 2016 Marcelo Bielsa Lazio-Trainer werden sollen, El Loco, der Verrückte. Der Vertrag war bereits unterzeichnet, der Flieger gebucht. Aber Bielsa kündigte einfach, ehe er überhaupt italienisches Festland betreten hatte. Bis heute behauptet der Argentinier steif und fest, dass kostspielige Transferversprechen nicht eingelöst worden seien. Lotito forderte von Bielsa einen Schadenersatz in Höhe von 50 Millionen Euro. Und installierte stattdessen den günstigen Inzaghi, der bis dahin nur Jugend- und Interimstrainer gewesen war.

Inzaghi musste 2019 erst den italienischen Pokal gewinnen, bevor es ein neues Angebot gab

Dass sein Präsident dem grimmig dreinschauenden Adler gleicht, der das Lazio-Wappen bewacht, daran hat sich Inzaghi gewöhnt. Von Lotito gibt es selten Lob, dafür schnell mal öffentlichen Tadel. Sehr erbost war er etwa, als Lazio 2018 am letzten Spieltag noch die Teilnahme an der Champions League vergeigte, in der Schlussphase gegen den direkten Konkurrenten Inter, Endstand 2:3. "Die lassen sich veräppeln und fordern dann mehr Geld von mir?", empörte sich Lotito damals in der römischen Zeitung Il Messaggero. Das war an einige Spieler, aber auch an Inzaghi gerichtet.

Der wollte einen leicht aufgebesserten Vertrag, immerhin hatte seine Arbeit sogar Begehrlichkeiten beim Rekordmeister Juve geweckt. Inzaghi musste 2019 aber erst den italienischen Pokal gewinnen, bevor es von Lotito ein neues Angebot gab. Der Trainer setzte sofort seine Unterschrift unter den Vertrag, Laufzeit bis Sommer 2021. Nur, sollte man hinzufügen: Er wollte eigentlich länger bei Lazio bleiben. Trotz allem.

So einen wie Simone Inzaghi bekommt der frostige Patriarch jedenfalls nicht mehr so schnell, da ist sich die Branche einig. Aber, immerhin: Lotito huldigte kürzlich nicht nur sich selbst für die beeindruckende Siegesserie, nein, auch der Trainer habe natürlich seinen Beitrag geleistet. Viel Nachsicht darf Inzaghi bei einem Misserfolg wie am Dienstagabend im Pokal-Halbfinale gegen Neapel trotzdem nicht erwarten. Dort unterlag seine Mannschaft mit 0:1, auch, weil der sonst so treffsichere Immobile einen Strafstoß vergab. Nach dem Spiel an diesem Sonntag könnte dieser Rückschlag schon wieder vergessen sein. Da steht nämlich das Derby della Capitale an, Lazio tritt an gegen die verhasste Stadtrivalin AS Rom (18 Uhr). Und da gilt immer schon: Verlieren verboten.

© SZ vom 22.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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