Mit der Gesundheit, schreibt die Gazzetta dello Sport, scherze man nicht, und natürlich ist das eine Plattitüde. Gerade in diesen Zeiten. Über dem italienischen Fußball hängt aber nun der Verdacht, dass sich ein Verein aus der höchsten Spielklasse einen traurigen und strafrechtlich relevanten Scherz erlaubt haben könnte, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu erschleichen. Die Rede ist von Lazio Rom, dem Klub im Besitz des römischen Reinigungsunternehmers Claudio Lotito: eines Mannes von ungefährer Kultur und mit unfreiwillig realsatirischem Aufritt. Seit einigen Tagen hört man Lotito oft über Medizin dozieren, was in anderen Zeiten komisch sein könnte: über Viren, Gene, Bakterien. Dabei ist es schon ein Verteidigungsplädoyer.
Seinem Verein droht viel Ungemach vor den Gerichten, den sportlichen wie den republikanischen, vielleicht sogar der Ausschluss aus der Serie A, dazu Haftstrafen für die Verantwortlichen. Sollten die Ermittler nämlich zu der Überzeugung gelangen, dass Lazio tatsächlich fahrlässig und womöglich absichtlich Risiken in Kauf genommen hat in der Pandemie, mit dubiosen Testresultaten aus einem Labor weit weg von Rom, dann stehen Lazio und Lotito schwere Zeiten bevor.
Drei Stammspieler fehlten, sie haben Covid-19
Am Sonntag empfing Lazio im Olympiastadion Juventus Turin, es war das Spitzenspiel der Serie A, in dem Lazio nach einem frühen Tor von Cristiano Ronaldo in der Nachspielzeit der Ausgleich gelang. In der vergangenen Saison hatten sich die beiden Vereine lange Zeit ein spannendes Duell geliefert, ungewöhnlich knapp, bis die Seuche den Lauf der Römer jähe unterbrach. Lotito hält das immer noch für ein Komplott kosmischen Ursprungs. Drei Stammspieler fehlten am Sonntag beim 1:1-Unentschieden, sie haben Covid-19: Torwart Thomas Strakosha, Mittelfeldspieler Lucas Leiva und Ciro Immobile, ausgezeichnet mit dem Goldenen Schuh für Europas besten Torschützen, Stolz und werdende Legende Lazios. Wobei: Für Lazio waren sie gesund, negativ auf Corona getestet - oder höchstens "leicht positiv". Diesen Unterschied machen sie nur bei Lazio.
Wäre es nach dem Vereinsarzt und dem Labor gegangen, das für die Römer die Tests durchführt, hätte das Trio spielen dürfen. Immobile war am Samstag mit seinem Lamborghini im Trainingszentrum von Lazio vorgefahren, bereit für die letzten Übungseinheiten. Doch dann rief das Gesundheitsamt an und verfügte für alle drei sofortige Quarantäne. Das war am Nachmittag, das Chaos schien perfekt zu sein. Am Abend ließ sich dann die Polizei den Weg in die Vereinsbüros von Lazio weisen, sie beschlagnahmte Computer und Gesundheitsakten. Gleichzeitig durchsuchten Ermittler der Staatsanwaltschaft die Labors von Futura Diagnostica in Avellino, einer Kleinstadt bei Neapel, etwa 220 Kilometer von Rom entfernt. Dort lässt Lazio seine Wattebäusche analysieren.
Das ist ungewöhnlich, nicht nur wegen der Distanz. Warum wählte Lazio ein Labor in Avellino, in der Region Kampanien? Lotito sagt, er habe kein passendes in Rom gefunden, und weil sein anderer Verein, die Salernitana aus Salerno, bei der Futura Diagnostica sei, habe er auch Lazio dort angemeldet. Nun, die Ermittler haben da ihre Zweifel. Sie vermuten, die Wahl habe einen ganz anderen Hintergrund. Ein Labor in Rom hätte die Gesundheitsbehörden der Region Latium automatisch über jeden positiven Fall benachrichtigen müssen. Bei einem Labor in der Nachbarregion Kampanien ist das anders, da fällt die Meldepflicht dem Verein zu. Steuerte Lazio so etwa nach Belieben sein eigenes Schicksal in der Pandemie? Nur ein anderer Serie-A-Verein wählte ein Labor außerhalb seiner Region: Aufsteiger La Spezia lässt seine Tests in Florenz machen, bei Synlab. Auf dasselbe Labor verlassen sich auch die Uefa und die italienische Nationalmannschaft.
Der mutmaßliche Skandal um Lazio Rom begann vor zwei Wochen, als der Kader für die bevorstehende Begegnung gegen Brügge in der Champions League getestet wurde. Hier die Chronologie der Affäre, jedes Datum zählt.
Am 28. Oktober findet Synlab für die Uefa bei Lazio drei positive Fälle: Strakosha, Leiva, Immobile. Sie dürfen nicht nach Brügge fahren. Am 30. und 31. Oktober lässt Lazio wieder die ganze Mannschaft von dem Labor Futura Diagnostica in Avellino testen, und siehe da: alle negativ, auch Immobile & Co. Die drei Spieler reisen mit nach Turin zur Partie gegen Torino. Immobile wird zum Schluss eingewechselt und trifft. Lazio gewinnt nach einer verrückten Aufholjagd und in letzter Minute mit 4:3. Tags darauf, 2. November, meldet Synlab der Uefa drei positive Fälle bei Lazio: Strakosha, Leiva, Immobile. Gegen Zenit St. Petersburg fallen sie aus. Am 3. November sind aber wieder alle negativ, zumindest für die Futura Diagnostica. Positiv für die Uefa, negativ für Lazio?
Die "Farce", wie die Gazzetta es nennt, geht beinahe auf, das Spitzenspiel gegen Juve ist nur ein paar Tage entfernt. Als Lotito gefragt wird, ob er denn sicher sei, dass die drei nicht infiziert seien, sagt er der Zeitung La Repubblica: "Aber was heißt schon positiv? Positiv heißt ansteckend, oder?" Für Lotito waren sie das nicht. Und dann fügte er noch diesen denkwürdigen Satz an: "Auch in der Vagina der Frauen, von allen Frauen der Welt, gibt es Bakterien. Aber es sind doch nicht alle Bakterien pathogen." Viren, Bakterien - alles einerlei für Lotito. Am 7. November wird Lazio genötigt, Schnelltests in einem Drittlabor in Rom durchzuführen: Alle drei fallen positiv aus. Das Gesundheitsamt schreitet ein.
Eine Farce? Oder viel, viel mehr? Der FC Turin pocht auf Wiedergutmachung: auf einen 3:0-Sieg am grünen Tisch. Der Fußballverband prüft, ob Lazio das Sicherheitsprotokoll verletzt habe und, wenn ja, wie groß die Gesundheitsrisiken waren, die der Verein mit den Regelverstößen ausgelöst hat. Davon würde dann auch die Härte der Strafe abhängen: Das Spektrum reicht von einer Geldstrafe über Punkteabzug bis hin zum Ausschluss aus der Meisterschaft. Auch die ordentliche Justiz untersucht den Fall. Relevant ist dabei Artikel 452 des italienischen Strafgesetzes, er handelt von "fahrlässiger Verursachung einer Epidemie". Im Höchstfall stehen darauf zwölf Jahre Haft.