Laura Dahlmeier bei Olympia:Schutz für die 110-Prozent-Frau

Biathlon: Laura Dahlmeier gewinnt Gold bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang.

Schon wieder ein bisschen erholt: Laura Dahlmeier bei der Siegerehrung mit ihrer zweiten Goldmedaille.

(Foto: dpa)

Von Saskia Aleythe, Pyeongchang

Die Müdigkeit war Gerald Hönig anzusehen, wie er da saß im deutschen Haus in Pyeongchang. Trainer leiden mit ihren Sportlern, Biathlontrainer umso mehr, wenn sie da auf ihrem Beobachterposten hinterm Schießstand ausharren, innerlich angespannt und nun in Südkorea ja auch: äußerlich ausgekühlt. Er referierte also gerade über diese Olympischen Winterspiele, die erst vier Tage alt waren, Laura Dahlmeier aber schon zu zwei Goldmedaillen genutzt hatte. Und dann versprach sich Hönig, der Frauenbundestrainer, recht anschaulich. "Wir haben erst drei von sechs Rennen hinter uns", sagte er, merkte aber schnell: "Ähm, zwei von sechs Rennen - bei mir fängt's auch schon an, ist die Kälte."

Es gibt ja nun diese Bilder von den Olympischen Spielen, wie Laura Dahlmeier zwei grandiose Rennen bestreitet und zwei Mal überglücklich als Siegerin aufs Podest hüpft. Die Bilder, die es nicht gibt: Wie sie danach in der Kabine sitzt und vor Schmerzen in ihren eiskalten Händen fast schreit. Und vor der Dopingprobe so schwach ist, dass sie sich hinlegen muss und erst mal 20 Minuten schläft.

Die totale Erschöpfung hat sie schnell eingeholt am vergangenen Montagabend nach dem Verfolgungsrennen, sie gab noch erste Interviews, war dann aber schon wackelig auf den Beinen. Einen geplanten Fernsehauftritt sagte das Team ab. "Die Laura ist halt keine Maschine, die man on und off stellen kann", sagte Gerald Hönig. Und so richtig off war Dahlmeier in Südkorea ja noch gar nicht gewesen.

Natürlich waren sie jetzt wieder da: Die Erinnerungen an die WM in Hochfilzen, wo sie vor einem Jahr Rekorde gebrochen hatte - und zwischendurch umkippte. Zwei Schwächeanfälle hatte sie damals erlitten, so schlimm soll es dieses Mal nicht gewesen sein. "Wenn die äußeren Bedingungen sehr kräftezehrend sind, ist es normal, dass ich danach kaputt bin", sagte Dahlmeier am Dienstag, Sorgen machen müsse man sich nicht.

Damit sich der europäische Biathlon-Fan zur Mittagszeit die Wettbewerbe anschauen kann, starten die Rennen in Pyeongchang nicht vor 19 Uhr (abgesehen von dem wegen starken Windes auf Donnerstag vertagten Rennen, das um 17.15 Uhr Ortszeit starten soll) - und nach Sonnenuntergang ist es dann freilich noch kälter als ohnehin schon. Minus zehn Grad hatten am Montagabend geherrscht, dazu ein fieser Wind, der das Leiden noch vergrößert. "Wir sind jeden Tag diesen Bedingungen da draußen ausgesetzt, das schlaucht uns sehr, das habe ich selber in der Art noch nicht gemerkt", sagte Hönig über sich und das Betreuerteam, "und wir laufen keine Rennen, und man merkt trotzdem diese Erschöpfung."

Womit er auch schon bei der Erklärung angekommen war, warum man die Situation von Hochfilzen gar nicht mit der jetzigen vergleichen könne: "Da haben wir Plustemperaturen gehabt und Sonnenschein, da haben wir in zwei Wochen vielleicht mal zwei oder drei Rasten am Diopter mehr gedreht, hier machen wir das bei einer Schießserie mitunter bei fünf Schuss." Die Böen, auf die Dahlmeier in Sprint und Verfolgung so cool reagiert hatte, so cool reagieren musste, um Olympiasiegerin zu werden - die verlangen dann eben auch eine Konzentration, die zusätzlich Kraft kostet.

110 Prozent - mehr, als eigentlich möglich ist

Schon beim Weltcup in Oberhof Anfang Januar hatte man die 24-Jährige gesehen, wie sie mit bleichem Gesicht und leerem Blick auf ihrer Gewehrtasche auf dem Schnee hockte, nach dem siebten Platz im Verfolgungsrennen, völlig ausgepowert, während ihre Kolleginnen schon die Sachen gepackt hatten und sich durch die Mixed Zone kämpften.

Unabhängig von den äußeren Einflüssen haben sie und Gerald Hönig schon länger einen Erklärungsansatz gefunden für die After-Work-Erschöpfung: "Sie hat die Fähigkeit, in den entscheidenden Situationen diese eine Schippe mehr drauf zu legen als die ein oder andere", sagt Hönig. 110 Prozent hat Dahlmeier das mal genannt, mehr, als eigentlich möglich ist. Und sie merkt nun ja auch selber, dass es nicht nur Freuden mit sich bringt, Olympiasiegerin zu sein. Zwei Tage, nachdem sie sich ihren Kindheitstraum erfüllt hat.

Ob sie schon Kontakt zu ihren Eltern gehabt habe, wurde sie am Montagabend gefragt, Dahlmeier lachte auf. "Wann soll ich das machen?", sie schaute in die Runde, "die Mixed Zone ist unheimlich lang. Auch wenn es nur 60 Sekunden sind, aber bei 20 oder 25 Fernsehsendern ist es dann echt weit." Vor halb zwölf in der Nacht kommt sie selten raus aus der Arena, auch die angesetzten Dopingkontrollen dauern extrem lange. Für das später abgesagte Interview hätte sie noch mal eine zusätzliche Fahrt in Kauf nehmen müssen.

"Das ist der Unterschied zu anderen Sportarten: Bei uns geht es immer weiter."

"Das ist ein bisschen ein Schutz von unserer Seite gewesen", sagte Trainer Hönig, "die Laura da ein bisschen rauszunehmen, es auf das Nötigste zu beschränken, was im Umfeld auf sie zukommt." Als Vorsichtsmaßnahme bezeichnete Dahlmeier die Absage selber, sagte aber auch: "Es wäre auch einfach nicht gegangen, ich war körperlich echt kaputt." Und da sie am Mittwoch schon wieder im Einzel über 15 Kilometer an den Start gehen wollte, gilt es dann doch, Prioritäten zu setzen. Noch in der Nacht saß sie schon wieder auf dem Ergometer. Da wusste sie noch nicht, dass das Rennen vertagt werden sollte.

"Aktive Erholung" stand für Dahlmeier am Dienstag auf dem Plan und auch, sich möglichst wenig draußen aufzuhalten. "Das ist jetzt auch wichtiger als die eine oder andere Trainingseinheit. Jetzt heißt es, Kräfte zu sammeln", sagte Hönig. Um 19 Uhr Ortszeit musste sie doch mal in die Kälte, sich die Medaille abholen für ihr Verfolgungsgold in Pyeongchang. Die Fahnenmasten wankten so stark, dass sie selbst das olympische Fernsehen nur kurz einfing. Dahlmeier schaute glücklich in die Kameras, ein bisschen kleiner als sonst waren die Augen noch. "Das ist der Unterschied im Biathlon zu anderen Sportarten", hat sie an diesem Tag noch gesagt, "bei uns geht es immer weiter."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: