Süddeutsche Zeitung

Lauf-Maut in der Leichtathletik:Einen Euro für jeden, der ankommt

  • Der Leichtathletik-Verband will von den Veranstaltern von Läufen ab 2016 eine pauschale Maut eintreiben.
  • In der Szene löst das hitzige Debatten aus.
  • Vor allem kleinere Veranstalter könnten durch den Beschluss Probleme bekommen.

Von Johannes Knuth

Horst Milde redet über den deutschen Laufsport, er redet in diesem Berliner Singsang, der den Wörtern eine Prise Gelassenheit beimischt. Milde vertritt die "German Road Races", eine Vereinigung von 63 Laufveranstaltungen in Deutschland. Bis vor zehn Jahren war er Renndirektor des Berlin-Marathons, der 76-Jährige hat also einiges zu sagen zur deutschen Laufszene. Und wenn er nun mit seiner Berliner Gelassenheit redet, täuscht das doch nicht darüber hinweg, dass Milde gerade ziemlich wütend ist.

Es brodelt in der deutschen Lauflandschaft, das wird zum Jahresabschluss noch einmal deutlich. Die Deutschen laufen zu jeder Jahreszeit, es gibt Frühjahrsläufe, Nikolausläufe und jetzt, klar, Silvesterläufe. An kaum einem Tag im Jahr finden weltumspannend derart viele Läufe gleichzeitig statt wie an Silvester, von São Paulo, dem Klassiker mit rund 27 000 Teilnehmern, bis nach Trier, dem bekanntesten deutschen Silvester-Event. Die Veranstalter schmücken sich mit Starterzahlen und Lauf-Prominenz, sie machen sich allerdings auch bemerkbar, wenn ihnen etwas nicht passt.

"Eine Frechheit"

Vor kurzem hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) eine "Gebührenanpassung" (sprich: Erhöhung) beschlossen - eine Art Lauf-Maut. Die Ausrichter müssen für jeden Athleten, der die Ziellinie überquert, künftig einen Euro entrichten, und auch wenn die Regelung erst ab dem 1. Januar 2016 greifen soll, ist die Aufregung schon jetzt groß.

"Eine große Chance, den Laufsport in Deutschland zu fördern", sagt DLV-Präsident Clemens Prokop.

"Als Veranstalter fänd' ich dit furchtbar", sagt Milde.

"Eine Frechheit", sagt ein Veranstalter.

Es ist eine komplizierte Gemengelage, was auch daran liegt, dass rund um die Straßen- und Volksläufe längst in eine große Bewegung entstanden ist. 2014 kamen mehr als zwei Millionen Läufer bei rund 3600 Veranstaltungen ins Ziel. Die Ausrichter dieser Veranstaltungen melden ihren Lauf beim DLV an. Sie entrichten schon jetzt eine Gebühr für jeden Läufer, der das Ziel erreicht, sogenannte Finisher; mal 30 Cent, mal 50, je nach Landesverband. Dann gibt es Läufe, die sich nicht beim Verband anmelden, sogenannte wilde Veranstaltungen, Firmenläufe zum Beispiel. Die profitieren von der Laufbegeisterung, nutzen oft Regelwerk und Ergebnisdienste des DLV, bezahlen aber keine Gebühr.

Dem DLV fehlte bislang das Handwerkszeug, um diese Veranstalter in sein Gebührenmodell zu "integrieren" (sprich: Abgaben einzutreiben) - bis zu einem Spruch des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Das urteilte 2013 am Beispiel Triathlon, dass ein Sportverband auch von sogenannten wilden Läufen Gebühren verlangen darf. Ab 2016 soll nun jeder Veranstalter, ob Waldlauf oder Großstadt- Marathon, ob angemeldet oder nicht, für jeden "Finisher" ab 18 Jahren einen Euro überweisen, Benefizläufe ausgenommen. 60 Prozent der Einnahmen fließen an den Landesverband, den Rest behält der DLV. Der empfiehlt, die Kosten "als laufenden Posten weiterzugeben", sprich: aufs Startgeld aufzuschlagen.

Milde ist von dieser Idee bedingt begeistert. Die Marathons in Hamburg oder Berlin, "die lachen darüber", sagt er. Aber das Gros der rund 3600 Veranstaltungen seien Läufe mit 50 bis 500 Startern, mit schmalem Budget. Die Teilnehmerzahlen bei Laufveranstaltungen in Deutschland wachsen zwar noch immer, aber längst nicht mehr homogen. "Es gibt eine Sättigung", glaubt Milde. Viele Läufe verlieren Kundschaft, viele Läufer wägen ab, wo sie starten. Vor allem die kleinen Veranstalter, die derzeit zwischen vier und fünf Euro Startgebühr verlangen, fürchten, dass Gelegenheitsstarter sich künftig abwenden. "Die sagen: Wenn die Erhöhung kommt, lasse ich es sein", hat Milde beobachtet.

Als der Beschluss des DLV durchsickerte, als Milde die Sorgen mancher Veranstalter beim Verband vortrug, habe man ihm zunächst gesagt: "Da steckt doch nichts dahinter", erinnert er sich, "für die war das Majestätsbeleidigung". Die Debatte handelt nicht nur von Gebühren, sie handelt vor allem von einer Basis, die sich von Beschlüssen des Verbandes übergangen fühlt. Und davon, dass eine pauschale Preissteigerung, die vor allem größere, kommerzielle Anbieter treffen sollte, am Ende womöglich die kleinen Läufe viel härter trifft.

Treffen im Januar

Clemens Prokop hat keine leichte Aufgabe. Er hat gute Argumente im Angebot, aber wie soll er eine Gebühr als Hilfestellung verkaufen? "Wir haben Defizite im Laufsport", sagt der DLV-Präsident. Er wolle den Veranstaltern nichts wegnehmen, sondern den Laufsport fördern. Breitensport, Nachwuchssport. Auch Spitzensportler - also Läufer, die teils mit Studentenlöhnen gegen die Weltspitze antreten. Milde ist im Grunde einverstanden.

Manche Veranstalter hätten nichts gegen die neue Gebühr, sagt er, sie seien nur skeptisch. Harald Rösch, Vorsitzender des Bundesausschuss Laufen, sagte vor kurzem: Aus den Mehreinnahmen müsse "auch in den Laufsport investiert werden". Und sonst? "Es kann nicht sein", sagt Milde, "dass der DLV mit den Einnahmen Haushaltslöcher stopft." Der Laufsport stehe an erster Stelle, beteuert Prokop "es gibt viele Ideen, keine konkreten Pläne." Milde sagt, dass finanzkräftige Veranstalter derzeit Juristen in Stellung bringen, es gebe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Düsseldorfer Urteils.

Prokop, gelernter Jurist, findet: "Wir wollen Überzeugung für die Gebühr nicht auf juristischem Weg schaffen." Für den Januar haben Milde und der DLV ein Treffen ausgehandelt. Milde will die Gebühr herunterverhandeln (was Prokop nicht will), beide wollen zudem erörtern, wohin genau die Gebühren fließen sollen, und das ist ja auch ein guter Vorsatz fürs neue Jahr: weniger über-, mehr miteinander reden.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2014/ska
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