Formel 1:Las Vegas ist größer als der Sport

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Da haben sich zwei gefunden: In Las Vegas zählt die Show so viel wie in der Formel 1. (Foto: Rick Scuteri/dpa)

Wer nichts damit anfangen kann, dass Sport und Show untrennbar vereint sind, für den dürfte der Grand Prix in Las Vegas der Vorbote der Apokalypse sein. Doch die Formel 1 ist für die Stadt in der Wüste angeblich jetzt schon wertvoller als American Football.

Von Jürgen Schmieder, Las Vegas

Treffen sich ein Formel-1-Fahrer, ein Poker-Gott und eine Disc-Jockey-Legende im Aufzug. Nein, das ist nicht der Beginn eines schlechten Witzes, sondern genau so passiert, am Mittwochabend im Hotel Aria in Las Vegas. Das Gehirn muss sich erst einmal an diese Reizüberflutung auf engstem Raum gewöhnen, wenn auf der Fahrt vom 21. Stockwerk nach unten Ferrari-Pilot Carlos Sainz einsteigt, dann World-Series-of-Poker-Rekordgewinner Phil Hellmuth und danach Plattendreher Carl Cox – obgleich diese Szene freilich das Symbol schlechthin ist dafür, was an diesem Wochenende in dieser Stadt passiert.

Ja, es findet ein Formel-1-Rennen in Las Vegas statt, das 19. dieser Saison; Red-Bull-Pilot Max Verstappen könnte sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag kurz vor Mitternacht (Ortszeit) zum Weltmeister küren, zum vierten Mal nacheinander. Es findet aber eben auch ein Formel-1-Rennen in Las Vegas statt, und das bedeutet nun mal: Druckbespaßung mit allem, was die Entertainmentbranche so hergibt. Hellmuth hält einem die Faust zum Fistbump-Gruß hin und sagt, dass er bei einem Promi-Pokerturnier Hände schütteln müsse. Cox muss hinüber zum Nachtclub Zoux, wo er am Sonntag bei der Abschlussparty auflegen wird. Sainz, der am Mittwochnachmittag ein bisschen Golf gespielt hat, ist auf dem Weg zur Lounge im Aria-Casino, die an diesem Wochenende Carlos Sainz’ Smooth Operator Dance Lounge heißt.

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Okay, dann muss man eben alleine den Zustand der Rennstrecke überprüfen, über die man übrigens am Donnerstagnachmittag bis dreieinhalb Stunden vor Beginn des ersten Freien Trainings einfach mal so spazieren konnte – erst dann wurde der legendäre Strip für die Öffentlichkeit gesperrt. Das erlaubt einem immerhin, die Deckel der Wasserschächte höchstselbst zu kontrollieren; bei der Premiere im vergangenen Jahr hatte sich acht Minuten nach Beginn des ersten Freien Trainings so ein Deckel gelöst und den Ferrari von Sainz schwer beschädigt. Man sieht also ganz genau hin, ob wieder ein Gully-Gate droht – und stellt fest, dass sie diesmal die Deckel besser befestigt oder einfach drüberbetoniert haben. „Ich hoffe, dass alles in Ordnung ist; Sicherheit ist stets meine größte Sorge“, sagt Sainz. Die zweitgrößte Beunruhigung liefern die Temperaturen. „Wir hatten noch nie ein Rennen in dieser Kälte“, sagt er: „Die Streckenführung liegt uns zwar, die Temperaturen könnten aber ein Problem werden.“

Dieses Rennen ist nur die sportliche Beigabe zu einem Entertainment-Spektakel

Es ist tatsächlich saukalt in Vegas; das Thermometer beim zweiten Training am Donnerstagabend zeigt sechs Grad an, gefühlt sind es gar nur zwei Grad. „Wir müssen die Reifen beim Rausfahren auf Temperatur bringen“, sagt Sainz: „Darin waren wir in dieser Saison sehr schwach.“ Da sitzt man dann also in der Kälte und sieht den Boliden zu, wie sie durch Kurve fünf brettern und danach vorbei an der megalomanischen Kugel-Konzerthalle Sphere. Und man bemerkt bei diesem Blick, was auf der gigantischen Außenhülle und daneben so alles angepriesen wird: Dieses Rennen ist nur die sportliche Beigabe zu einem Entertainment-Spektakel gigantischen Ausmaßes. Es ist das Hauptevent, gewiss, aber es ist dann auch nur eines von Tausenden an diesem Wochenende. Am Sonntag etwa spielt die Football-Franchise Raiders gegen die Denver Broncos im Stadion, zu dem man von der Rennstrecke aus zu Fuß keine Viertelstunde braucht.

Man könnte Bücher füllen mit allen Events; deshalb hier nur, was einem zwischen dem Diana-Ross-Konzert mit Gast Sylvester Stallone am Freitagabend bis zum Rennbeginn am Samstag um 22 Uhr geboten wird, wenn man nur schnell genug unterwegs ist – zu schaffen ist es allemal: Auftritte von Rapper Ludacris sowie den DJs Dom Dolla und Snakeships an verschiedenen Orten direkt an der Strecke. Schauspielerin Eva Longoria und Schauspieler Jeremy Renner beim Cocktail-Schlürfen in der Shoey Bar. Das letzte Konzert der Residenz von Adele; das beginnt um 20 Uhr, deshalb danach schnell zur Boxengasse, wo Boys II Men die Nationalhymne singen werden. Nach dem Rennen: die DJs Tiësto, Calvin Harris, Armin van Buuren sowie Swedish House Mafia in verschiedenen Nachtclubs.

Die Rennstrecke von Las Vegas verläuft auf dem Strip, vorbei an den bunt beleuchteten Hotels. (Foto: John Locher/dpa)

Wer nichts damit anfangen kann, dass Sport und Show untrennbar miteinander vereint sind, für den dürfte dieser Grand Prix in Las Vegas der Vorbote der Apokalypse sein – hatte man doch schon im vergangenen Jahr gesehen: Die Einwohner waren stinksauer, weil die Vorbereitungen und das Sperren des Strips ein Chaos verursachten, gegen das der Verkehr in Manhattan wie eine Zen-Wohlfühloase wirkt. Die Fahrer waren stinksauer über das Streckenlayout – das auf maximal aufregende Bilder ausgelegt ist und nicht maximalen Fahrspaß – und Gully-Gate. Die Fans waren stinksauer, weil sie 1000 Dollar bezahlt hatten und nach Gully-Gate noch vor Beginn des zweiten Trainings mit 200-Dollar-Gutscheinen für den Fanshop heimgeschickt wurden.

Vielleicht braucht es einen, der seine Einstellung geändert hat, von „Sport oder Show“ zu „Sport und Show“, sagt Mercedes-Sportchef Toto Wolff

Ein Jahr später sind sie alle wieder hier. Sie haben vieles verbessert, wie die Deckel der Wasserschächte oder das Regeln des Verkehrs, aber es ist nun auch mal so: Wer sich komplett einlässt auf Vegas und die Spektakelisierung von Sport akzeptiert, statt mit Früher-war-alles-besser-Groll über die Gegenwart zu motzen, für den dürfte es kaum Spannenderes geben als dieses Rennen in dieser Stadt.

Vielleicht braucht es einen, der seine Einstellung geändert hat, von „Sport oder Show“ zu „Sport und Show“. Mercedes-Sportchef Toto Wolff sagte unter der Woche bei einer Plauderei mit Reportern, dass er etwa vehement gegen die Netflix-Dokuserie „Drive to Survive“ gewesen sei – durch die aber letztlich die Beliebtheit der Formel 1 gerade in den USA explodierte. Die Fahrer waren plötzlich keine unantastbaren Mavericks mehr – wer unantastbar ist, berührt keinen mehr –, sondern nahbare Charaktere, mit denen man fühlte. Er habe sich geirrt, sagt Wolff nun. Wann passiert so was im Meine-Meinung-ist-in-Stein-gemeißelt-Zeitalter noch? Er begrüße die Doku, er begrüße diesen Grand Prix, und statt darüber zu motzen, was in Las Vegas so alles los ist, könne man ja auch mal fragen: Was ist denn in Deutschland passiert, dass derzeit Grand-Prix-mäßig gar nichts mehr los ist?

1,5 Milliarden Dollar sollen die zusätzlichen Einnahmen für Las Vegas im vergangenen Jahr betragen haben. Natürlich sind solche Zahlen stets mit Vorsicht zu genießen – vor allem, wenn sie von der Stadt selbst stammen. Interessant ist daran eher der Vergleich, dass sie beim Super Bowl im Februar, dem heiligen Football-Feiertag der Amerikaner, als Ausrichter nur von einer Milliarde Dollar zusätzlich gesprochen haben.

Die Formel 1 ist für Vegas also wertvoller als Football, das soll was heißen in diesem Land. Warum das auch künftig so sein soll, ist auf der Außenhülle des Sphere zu erkennen, während Carlos Sainz im Ferrari vorbeibraust – den er nach der Saison für Lewis Hamilton räumen muss, der dann wohl in der Lounge im Aria Cocktails präsentieren wird, die mit alkoholfreien Spirits seiner Firma gemixt werden: Porträts der Fahrerinnen der F1 Academy, der Frauen-Rennserie. Es ist die Ankündigung, dass das Finale 2025 hier stattfinden wird, im Rahmen des Formel-1-Rennens. Viva Las Vegas.

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