Langlauf-Trainer Frank Ullrich:Unbewusst verdrängt

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Frank Ullrich: Einst Biathlet, jetzt Langlauftrainer (Foto: Schrader/dpa)

Langlauf-Trainer Frank Ullrich schickt Spitzenathleten in den Sprint von Sotschi. Der Coach hat als Biathlet selbst Gold für die DDR geholt. Über seine Position zum damaligen Staatsdoping redet er nicht. Dabei könnte er es sich leisten.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Wenn man im richtigen Winkel auf die Vergangenheit schaut, dann ist sie schön. Dann holt auch Frank Ullrich sie gerne noch mal hervor. Dort, im tiefen Früher mit den eisernen Vorhängen, liegt der Athleten-Stolz des deutschen Langlauf-Bundestrainers. Dort ist die olympische Goldmedaille her, die Frank Ullrich 1980 in Lake Placid als Biathlet für die DDR gewonnen hat, und wenn man ihn fragt, welche von den 14 Spielen, die er als Trainer oder Sportler erlebt hat, die schönsten gewesen seien, erinnert er als Erstes an jene in Amerika, bei denen er die Sowjetgenossen Wladimir Alikin und Anatoli Aljabjew über 10 Kilometer distanzierte.

Das Athletendorf war damals als spätere Justizvollzugsanstalt konzipiert. Ullrich lacht. "Wenn du in einem Gefängnis schläfst und die Tür scheppert richtig - schon gewöhnungsbedürftig." Egal. Lake Placid ist sein persönlicher Gold-Schauplatz.

Bei den Langläufern steht an diesem Dienstag das Sprintturnier auf dem Programm, Frank Ullrich kann zwei Führende im Disziplin-Weltcup aufbieten, Denise Herrmann und Josef Wenzl; daraus kann man ein paar Erwartungen ableiten. Und ein Erfolg wäre gerade für Ullrich eine schöne Bestätigung dafür, dass der Deutsche Skiverband (DSV) 2012 beschloss, ihn, den einstigen Weltmeister und Biathlon-Erfolgscoach, den Langläufern vorzusetzen.

Aber die sportliche Seite ist ja nur ein Aspekt in der Geschichte des deutschen Sportmenschen Frank Ullrich. Seinen Job als Langlauf-Chefcoach hat er nach bestem Wissen betrieben, seit er ihn übernommen hat. Vorgänger Jochen Behle ging damals, weil er seine Vorstellungen im neu justierten Kadersystem nicht mehr wiederfand. Ullrich, zwischendurch Nachwuchstrainer im Biathlon und Langläufer-Berater, war ein naheliegender Nachfolger.

Nun führt Ullrich die Langläufer also durch Zeiten des Übergangs. Frühere Siegertypen wie Axel Teichmann und Tobias Angerer haben sich noch mal zu Olympia geschleppt, junge Männer wie Hannes Dotzler pirschen sich an die Weltspitze. Es ist nicht leicht, diesen Prozess zu moderieren. Aber Achtungserfolge gibt es schon, das Sprintteam ist stark. Und Ullrich erweckt den Eindruck eines souveränen Herbergsvaters, der für mehr Vernunft im Leistungssportwahnsinn wirbt. "Ein Mensch sollte in seiner Ganzheitlichkeit gesehen werden", sagt Ullrich, auch ein zehnter Platz könne ein tolles Ergebnis sein.

Wer wollte da widersprechen? Allerdings ist nicht ganz klar, wie Ullrich, der bekennende Ehrgeizling und frühere DDR-Athlet, diese Weisheit entwickelt hat. Indem er aus seinen eigenen Erfahrungen gelernt hat als Sportler eines Staatssystems, das Menschen mittels flächendeckenden Dopings zu Medaillenbeschaffern machte? Oder hat Ullrich seine Milde aus der Not geboren, dass ihm gerade kein formstarkes Supertalent zur Verfügung steht?

Man kann das auch schwer herausfinden, denn Ullrich spricht nicht über alle Aspekte des DDR-Sports gleich gern. Wobei, im Herbst 2012 sagte er auf SZ-Anfrage, er würde durchaus mal ein ausgeruhtes Interview über seine Position zum damaligen Staatsdoping geben. Das war an einem Stehtisch bei der Einkleidung der DSV-Teams. Ullrich stellte einen Termin beim Weltcup in Davos im Februar in Aussicht. In Davos war er dann zu beschäftigt. Die wettkampffreie Zeit sei günstiger. Im Herbst 2013 bat Ullrich wieder um Verständnis. Zu viel zu tun. Und das war dann wohl das Zeichen: Ich will doch nicht.

Warum nicht? Aus Misstrauen? Aus Angst? Ullrich könnte es sich leisten, öffentlich über seine Rolle im DDR-Sport als Athlet und Trainer nachzudenken. Frank Ullrich ist eine von diesen deutschen Sportfiguren, die die Brüche in ihrer Biografie erfolgreich ausgesessen haben. 2009 wurde seine Vergangenheit als DDR-Trainer mal diskutiert.

Damals sagte der frühere Ost-Biathlet Jürgen Wirth in der ARD: "Ullrich hat uns damals angewiesen, dieses Mittel Oral-Turinabol einzunehmen." Der DSV setzte eine Kommission ein. Ergebnis: Ullrich habe "die Einnahme von Dopingmitteln weder angewiesen, noch selbst welche an Athleten verabreicht und auch nicht die Einnahme überwacht beziehungsweise kontrolliert". Die Kommission ging zwar davon aus, "dass auch Frank Ullrich zumindest ahnen konnte, dass in Form der sog. ,blauen' etwas ,Verbotenes' verabreicht wurde". Aber: "Wenn Frank Ullrich auch heute daran festhält, er sei davon ausgegangen, dass es sich lediglich um trainingsunterstützende Mittel im legalen Bereich gehandelt hat, geht die Kommission von einem unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus aus."

Ullrich hat das Verständnis für sein Wegschauen also schriftlich. Und heute geht seine Geschichte unter in den standardisierten Durchwink-Mechanismen des Deutschen Olympischen Sportbundes. Auch vor den Sotschi-Spielen haben Olympia-Reisende wieder Ehrenerklärungen abgeben müssen, dass sie nie mit Doping gearbeitet haben. Wer dunkle Punkte hat, kann diese anzeigen, die sogenannte Steiner-Kommission prüft sie dann. Laut DOSB war das nicht nötig. Grund: "Keine neuen Erkenntnisse."

Frank Ullrich ist also durch. Er könnte eigentlich was dazu sagen, wie er mit seiner Vergangenheit im Staatssport umgeht. Zum Beispiel, was er über die offiziell anerkannten Doping-Opfer der DDR denkt.

Aber er tut es nicht, und im laufenden Olympia-Betrieb kann man solche Fragen nicht stellen, wenn man zumindest die Chance auf eine vernünftige Antwort haben möchte. Trainer und Athleten haben sich im Augenblick eingeschlossen, um sich ganz den künstlichen Wichtigkeiten ihres Gewerbes hingeben zu können. Und so muss man Frank Ullrich jetzt gewähren lassen, der gut gelaunt durchs russische Pracht-Olympia marschiert und so ziemlich alles großartig findet.

Er ist leutselig. Er lacht. Er sagt "einfach mal" und möchte, dass "positiv" gesehen wird. Er hüllt sich in eine Zufriedenheit, die so faltenfrei ist, dass sie fast nicht wahr sein kann, und zeigt dabei aus Versehen sogar, wie einer, der nichts außer Sportmensch ist, sich die Vergangenheit zurechtportioniert: nämlich in einen guten und in einen wegzulassenden Teil.

© SZ vom 11.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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