Langlauf-Talent Janosch Brugger:Nummer 45 lebt

Seit Jahren versucht der deutsche Langlaufsport an die Erfolge der Nullerjahre anzuknüpfen. Mit dem Sieg als Tagesschnellster in Lillehammer deutet der junge Janosch Brugger nun an, dass die Arbeit langsam greift.

Von Volker Kreisl

Am Anfang war Janosch Brugger nur ein Punkt unter vielen, die kein Zuschauer mehr so richtig wahrnahm. Bei seinem Start ins Verfolgungsrennen von Lillehammer, als er rund zweieinhalb Minuten nach den Favoriten ins Rennen ging, war Janosch Brugger nur einer von vielen anderen aussichtslosen Langläufern. Jenen eben, die im Rennen tags zuvor schlecht ausgesehen hatten und jetzt mit entsprechendem Rückstand loslaufen mussten. Ein Langlaufrennen wie alle anderen der vergangenen Jahre schien hier anzubrechen, mit norwegischen, schwedischen oder russischen Siegern - und mit den Deutschen, die irgendwann mal später im Ziel eintreffen.

Dann aber wurde aus dem Punkt plötzlich eine Nummer, jedenfalls im Bewusstsein derer, die Brugger und dessen Zwischenzeit auf einem Monitor oder im Internet verfolgten: Startnummer 45. Einer der Beobachter war Andreas Schlütter, der Sportliche Leiter Langlauf im Deutschen Skiverband. Er hatte sich an der Strecke mit seinem mobilen Zeitnahmegerät postiert und erkannt: Brugger ist schnell, verdammt schnell. Um genau zu sein, war er, dachte man sich die Rückstände beim Start weg, sogar der Schnellste.

Schlütter hatte seit Jahren - seit die Reform des deutschen Langlaufs angegangen, dann gebremst und dann wieder neu versucht wurde - auf diesem Moment gewartet. Den Moment, in dem die Saat eines neuen Systems ein bisschen aufgeht. Deshalb feuerte er nun wie die anderen Betreuer Janosch Brugger an, er brüllte ihm die weiteren Zwischenzeiten zu, während aus der Nummer 45 in den Augen aller Beobachter nun ein leibhaftiger Athlet wurde, nämlicher dieser 21-Jährige aus Schluchsee im Schwarzwald, der nun einfach nicht einbrechen wollte, sondern auch den letzten Anstieg hinauf hopste und am Ende von Platz 45 auf Platz 17 vorgelaufen war, mit der besten Laufzeit von allen.

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Hoffnungsläufer: Janosch Brugger, 21, hier beim 15-Kilometer-Rennen von Lillehammer, zählt zu den besten Talenten des Deutschen Skiverbands.

(Foto: Mario Buehner/imago)

Ja gut, könnte man sagen, da hat halt einer schnelles Wachs erwischt, außerdem haben die späteren Verfolgungssieger aus Norwegen wegen ihres Vorsprungs auch zwischendurch gebummelt, also was soll jetzt die Aufregung?

Auch Schlütter gibt dies zu bedenken, und doch sagt er: "Was Besseres als dieser Auftritt von Janosch hätte uns nicht passieren können." Denn diese etwas versteckte Wertung des Tagesschnellsten, dieses Rennen im Rennen, gilt in Wirklichkeit allen als wichtiger Maßstab. Es wird vom Weltverband Fis als Weltcup geführt, Brugger bekam 50 Punkte plus grob 4500 Euro Siegergeld. Und weil dabei noch der Gaißacher Lucas Bögl und Jonas Dobler (Traunstein) Sechster und Achter wurden, war es ein Hinweis darauf, dass Schlütter, der neue Cheftrainer Peter Schlickenrieder und der ganze deutsche Langlauf womöglich endlich auf dem richtigen Weg sind.

Neue Konzepte im Sport klingen immer erst mal nach großem Wurf. Das Training werde nun internationalem Standard angepasst, die Zeit effizienter genutzt, die Entwicklung an den Standorten synchronisiert, die Trainingsmethodik verfeinert. Wird dies noch in einem Powerpoint-Frontalvortrag dargebracht, dann kann ein junger Sportler schon mal gedanklich in die Ferne schweifen, vielleicht auf einer frisch gespurten Loipe. Was dem DSV, Abteilung Nordisch, Unterabteilung Langlauf, wohl bislang fehlte, war einer, der den Sinn all dieser Pläne auch rüberbringt.

Peter Schlickenrieder, Silbergewinner bei den Spielen 2002 in Salt Lake City, ist seit einem Dreivierteljahr im Amt, er kann überzeugen, durchaus wie ein Motivator, und er hat selber viele Vorschläge beigesteuert. Beschreibt er das, was er vorhat, dann fallen neben abstrakten Begriffen auch Worte wie "Sturmphase", "Lagerfeuer" oder auch der "Schlüssel zum Glück".

Mit der Sturmphase sind jene Wochen im Herbst gemeint, in denen Schlickenrieder und die Langläufer stritten und diskutierten. Der neue Chef versuchte die Mannschaft aus ihren Gewohnheiten herauszureißen, ihnen klar zu machen, dass sie nicht länger die Analysen und Trainingsvorgaben von oben abarbeiten sollen, sondern sich um den eigenen Körper kümmern. Und dass sie Vertrauen in einen langfristigen Plan haben und sich locker machen sollen. "Wenn ich mich täglich sekundengenau damit beschäftige, wie ich Platz eins erreiche, werde ich ihn nie erreichen", sagt Schlickenrieder. Ein Sieg sei vielmehr "das automatische Produkt einer ganzheitlichen Herangehensweise." Dazu gehöre neben dem Training auch Selbstbewusstsein, das sich nicht von Rivalität und Abschottung, sondern vom Teamgeist nähre.

Peter Schlickenrieder

Verlangt mehr Selbstbewusstsein und Eigeninitiative von seinen Athleten: Peter Schlickenrieder, neuer Teamchef der Langläufer.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Was nun ans Lagerfeuer führt. Etwas Abenteuerstimmung, sagt Schlickenrieder, könne helfen, die Nachwuchsläufer bei den Sichtungsrennen abends zusammenzubringen, sie für den Sport im Freien zu faszinieren, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Übertragen gedacht, könnte so ein alle verbindendes Lagerfeuer auch einem Weltcupteam Energie spenden, und zwar allen, auch den Älteren. Die holen vielleicht keine Medaillen mehr, "sind aber ein wichtiger Teil des Ganzen", sagt der Cheftrainer. Denn sie erzählen später den Talenten, dass ihr Sport die Basis fürs spätere Berufsleben sein kann, also vielleicht "der Schlüssel zum Glück".

Dies sind Idealvorstellungen, aber damit fängt ein Neustart nun mal an. Der Plan ist auf drei Jahre angelegt. Bei der WM 2021 in Oberstdorf, so glaubt die neue Langlauf-Führung, könnten die Deutschen wie vor 15 Jahren wieder um Podestplätze mitfahren. Das ist zumindest nicht unrealistisch: Janosch Brugger, die zunächst unscheinbare Nummer 45 von Lillehammer, hat es bestätigt.

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