Süddeutsche Zeitung

Langlauf-Staffel bei Olympia:Trauriges Ende einer Rentnerband

Der Italiener kommt von links, Jens Filbrich liegt im Schnee, die Ski hinter dem Rücken verklemmt: Schon nach wenigen Kilometern ist die 4x10-Kilometer-Staffel für das deutsche Team gelaufen. Der bittere Abschied einer ganzen Generation.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Jens Filbrich hat den Bösewicht zur Rede gestellt, Dietmar Nöckler, den Italiener. "Er weiß, dass er einen Riesenfehler gemacht hat", ärgerte sich Filbrich. Die deutsche Staffel wollte über 4x10 Kilometer angreifen, vielleicht sogar eine Medaille holen. Filbrich, der Startläufer, lag gut im Rennen. Doch dann kam Nöckler, der Italiener.

"Von links", erzählte Filbrich, sei Nöckler gekommen, "von außerhalb der Strecke". Er fuhr Filbrich über beide Ski, die sogar leicht demoliert wurden. "Der Italiener hat Fips einfach übergemäht", fand Teamkollege Tobias Angerer noch anschaulichere Worte.

Fips, das ist Filbrich, und der lag im Schnee. "Ich kam nicht auf die Füße, weil ein Ski hinter meinem Rücken verklemmt war", erzählte er. Als Filbrich dann doch wieder auf die Füße kam, war die Spitzengruppe weg, rund 40 Sekunden. Es war genau jener Rückstand, den die anderen drei Läufer nicht mehr aufholen konnten. Ein schwacher Trost, dass Nöckler, der Bösewicht, später bei der Jury vorsprechen musste.

Als Schlussläufer Hannes Dotzler schließlich ins Ziel kam, waren die Feierlichkeiten schon in vollem Gange. Die Schweden bejubelten ihren Olympiasieg, die zweitplatzierten Russen (27,3 Sekunden zurück) ließen sich von der gesamten Arena feiern. Und dann waren da auch noch die Franzosen (+31,9 Sekunden), die ihr Glück kaum fassen konnten: Es war ihre erste Staffel-Medaille bei Olympia überhaupt.

Auch die Deutschen wollten in diese Bereiche vorstoßen. "Rentnerband" wurde die Staffel liebevoll genannt, was mit dem fortgeschrittenen Alter ihrer Protagonisten zu tun hat. Bundestrainer Frank Ullrich hatte in Filbrich, Axel Teichmann und Angerer die komplette Ü-30-Fraktion nominiert, seine erfahrensten Läufer. Ergänzt durch Dotzler, den jüngsten im Team, gerade 23 Jahre alt.

Für Filbrich, Teichmann und Angerer sind es die letzten Winterspiele - Nostalgie lag in der Luft. Die Chance auf die gemeinsame Staffelmedaille zum Karriereende ist nun vertan. "Manchmal ist der Sport grausam", erklärte Angerer. Auch Teichmann ärgerte sich: "Es ist bitter, weil ich nun bei Olympischen Spielen nicht mehr auf dem Podest stehen werde." Da lag noch mehr Nostalgie in der Luft.

Ob es ohne Filbrichs Sturz für eine Medaille gereicht hätte, ist die große Frage. Der Rückstand beim ersten Wechsel betrug 40 Sekunden, doch waren vor allem Teichmann und Angerer nicht in der Lage, das Polster merklich zu schrumpfen. Teichmann musste ein einsames Rennen laufen, verlor weitere Sekunden auf die starken Schweden. "Ich habe alles versucht", sagt Teichmann. Doch der Rückstand wuchs.

Auch Angerer ging sehr schnell an, musste später abreißen lassen. Er sei "mit vollen Risiko" in seine zehn Kilometer gegangen, am Ende aber "explodiert", sagte Angerer. Die Beine, so heißt es im Langläufer-Sprech, waren "komplett blau". Dotzler konnte nichts mehr retten, als er die Ziellinie passierte, waren es mehr als zweieinhalb Minuten Rückstand. Nur Platz neun.

"Ganz bitter", fand auch Bundestrainer Ullrich den Verlauf der Staffel. Von Beginn an sei sein Team "im Defensivverhalten" gewesen. "Wir müssen wieder aufstehen", forderte Ullrich. Bis zu den nächsten Winterspielen hat er vier Jahre Zeit, um eine neue, schlagkräftige Staffel aufzubauen.

Auf Filbrich, Teichmann und Angerer kann er dann nicht mehr bauen.

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