Süddeutsche Zeitung

Langlauf:Das Rätsel um die 22

Begleitet vom Doping-Vorwurf gegen Hunderte einstige, nicht namentlich genannte Medaillengewinner, starten die Langläufer am Samstag in die erste Entscheidung der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang.

Von Volker Kreisl

Am Samstagvormittag deutscher Zeit, rund 17 Stunden nach der Eröffnungsfeier, beginnen die Winterspiele mit der ersten Medaillenentscheidung. Die Langläuferinnen gehen zum 15-km-Skiathlon in die Spur, nach einer Woche Zeitanpassung, Loipenbesichtigung und Training. Mit dabei war immer auch das beherrschende Hintergrundthema dieser Zeit: Doping.

Zuletzt standen dabei fast ausschließlich Russen in den öffentlichen Debatten, folgerichtig, wegen ihres staatlich organisierten Betrugssystems. Eine am vergangenen Sonntag veröffentlichte Studie von ARD, Sunday Times, des schwedischen TV-Senders SVT und des Schweizer Digitalmagazins Republik.ch kommt nun aber zu dem Schluss, dass der Langlaufsport weiterhin stark belastet sei, außer bei den Russen gebe es in fast allen in dieser Disziplin großen Nationen auffallende Blutwerte aus den Jahren 2001 bis 2010, die auf Doping von Top-Läufern schließen ließen. Viele seien noch aktiv und würden auch nun in Pyeongchang starten. Entsprechend aufgebracht waren die ersten Reaktionen unter den Läufern. Auch bei den deutschen Olympia-Langläufern, sagt Stefan Schwarzbach, Sprecher des Deutschen Skiverbandes, "ist das Thema durchaus präsent." Man sehe sich zum wiederholten Male einem Generalverdacht ausgesetzt.

Über die Grundlagen der Studie lässt sich kaum streiten. Ein Whistleblower hatte den Journalisten eine Datei mit 10 000 Bluttests von 2000 Langläufern zugespielt. Diese entstammen der Datenbank des internationalen Skiverbandes Fis. Weiter auslegbar ist dagegen die Interpretation der Messresultate. Die vom Rechercheverbund herangezogenen Blut-Experten haben Erfahrung im Anti-Doping-Kampf, sie kamen unter anderem zu dem Schluss, dass 313 Medaillen bei Olympia oder Weltmeisterschaften zwischen 2001 und 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Manipulation zustande kamen. Das entspricht fast der Hälfte aller Groß-Event-Medaillen dieser Phase. 290 Sportler hätten abnormale Werte aufgewiesen, an der Spitze 51 Russen, dann 22 Deutsche, danach folgten Frankreich (20), Österreich und Norwegen (16) und viele weitere Nationen.

Auch 30 Kontrollen pro Jahr können keine Garantie für eine unfehlbare Glaubwürdigkeit sein

Bei den Verbänden zeigt man sich ratlos über die Höhe dieser Zahlen, zumal von Spitzenkräften die Rede ist. Der DSV zum Beispiel verfügt über eigene Daten von Blut-Analysen seiner Sportler aus der Zeit zwischen 2001 und 2010, wenige, sagt Schwarzbach, weisen Schwankungen bei den roten Blutkörperchen auf, jedoch im legalen Rahmen. Möglicherweise komme die Zahl 22 auch dadurch zustande, dass mehrere verschlüsselte Proben ein- und desselben Athleten unterschiedlichen Personen zugeschrieben wurden. Auch seien extrem hohe Hämoglobinwerte manchmal mit Höhentraining oder Krankheiten begründbar.

Um das Rätsel zu klären, müssten sich die Verbände direkt an die Fis oder die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada wenden. Dieser Schritt drängt sich angesichts der vielen Rätsel und der Unsicherheit geradezu auf. Die Fis dürfte ja über jene Blutwerte aus den Nullerjahren, die im Langlauf in der Tat einige Epo-Dopingskandale hervorbrachten, verfügen und diese anonymisiert auch an die Betroffenen weiterreichen, damit diese Klarheit bekommen. Über diese Option werde man "intern noch einmal sprechen", sagte Schwarzbach.

Für eine junge Langläuferin wie die Deutsche Katharina Hennig, die am Samstag zum ersten Mal in eine Olympiaspur startet, mag ein Pauschalverdacht frustrierend sein. Andererseits sind gewisse Ausdauersportarten schon aufgrund ihrer extremen Anforderungen und zurückliegenden Dopingfälle mittlerweile per se verdächtig. Der weltbeste Biathlet Martin Fourcade (der am Sonntag in Pyeongchang startet) schreibt in seiner Biografie, er habe lange gedacht, dass 30 Kontrollen pro Jahr eine unfehlbare Garantie für die Glaubwürdigkeit sei. Das Beispiel des einstigen Tour-de-France-Ersten Lance Armstrong habe dies spektakulär widerlegt, so Fourcade: "Heutzutage muss es jeder Athlet aushalten, quasi unter Generalverdacht zu stehen."

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SZ vom 09.02.2018
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