Langläuferin Böhler nach Krebserkrankung:Wenn Platz sechs wie Gold strahlt

Sotschi 2014 - Langlauf

Langläuferin Stefanie Böhler nach ihrem Rennen.

(Foto: dpa)

"Was geht hier eigentlich ab?" Zwei Jahre nach der Diagnose Schilddrüsenkrebs läuft Stefanie Böhler in Olympia das Rennen ihres Lebens. Die Langläuferin wird über 10 Kilometer Sechste - und fühlt sich wie eine Siegerin.

Steffi Böhler war kaum noch einzufangen. Im Zielraum stürzte sich die deutsche Langlauf-Überraschung auf alles und jeden, umarmte Trainer und Techniker, busselte und herzte ihre Teamkolleginnen. "Was geht hier eigentlich ab? Das war der beste Wettkampf meiner Karriere", rief Böhler mit Freudentränen in den Augen nach dem fast sensationellen sechsten Platz im olympischen Klassikrennen über zehn Kilometer.

Böhler schrieb in Sotschi ihr ganz persönliches Langlauf-Märchen: Noch vor zwei Jahren hatte sie kaum mehr einen Gedanken für ihren Sport übrig. Die Ärzte hatten bei ihr lebensbedrohlichen Schilddrüsenkrebs diagnostiziert - zum Glück im Frühstadium.

Im Kaukasus feierte die 32-Jährige ihren größten Sieg - der sechste Rang war mindestens soviel Wert wie eine Medaille. "Was das Mädel geleistet hat, ist unglaublich. Ich ziehe den Hut vor ihr", sagte ein sichtlich gerührter Bundestrainer Frank Ullrich: "Besonders nach ihrer Krebs-Erkrankung ist das eine Riesen-Geschichte."

Böhler hatte bereits 2006 mit der deutschen Staffel in Turin Silber geholt, vier Jahre später lief sie in Vancouver hinterher. "Ich war dort wie vernebelt", sagte sie der FAZ, heute vermutet sie, dass sie schon in Kanada von der Krankheit geschwächt war.

Böhler erzählte zu ihrer Krankheit: "Für jeden, der in diese Situation gerät, ist es wichtig, dass der Alltag weitergeht. Sonst kommt man ins Grübeln." Mühsam und langsam hatte sie sich zurückgekämpft und auf den letzten Drücker die Olympia-Fahrkarte gelöst. Die Reise in den Kaukasus empfand sie daher als Geschenk. Doch am Donnerstag erwachte ihr Kampfgeist. "Ich bin ein kleines Kampfschwein. Wenn ich am Start stehe, will ich auch alles geben", berichtete sie strahlend.

Furios fegte sie bei frühlingshaften Temperaturen im kurzen Rennanzug durch die Loipe. Wegen der Wärme hatte sie, wie ihre chancenlosen Teamkolleginnen Nicole Fessel (23.) und Katrin Zeller (25.), die Ärmel einfach abgeschnitten. "Das war das härteste Rennen, das ich im Leben gelaufen bin. Die Strecke ist gnadenlos hart", sagte Böhler. Sie war in dem Rennen auf tiefem und sulzigem Schnee einen anderen Schliff gelaufen als Fessel und Zeller. "Das war ein Risiko, aber scheinbar hat es funktioniert", stellte Böhler fest.

Leader-Box? Kennt sie nicht.

Nach 29:04,3 Minuten kam sie mit Bestzeit ins Ziel. "Ich habe erst gar nicht gecheckt, dass ich in die Leader-Box darf", sagte Böhler: "Ich wusste überhaupt nicht, dass es so etwas bei Olympia überhaupt gibt." Am Ende fehlten der Schwarzwälderin ganze 18 Sekunden zur Bronzemedaille, die Therese Johaug aus Norwegen gewann. Silber ging an die Schwedin Charlotte Kalla, Gold an Justyna Kowalczyk aus Polen. Ski-Königin Marit Björgen aus Norwegen war nur 13 Sekunden schneller als Böhler und ging als Fünfte überraschend leer aus.

"Wenn uns jemand vorher gesagt hätte, dass wir in Schlagdistanz zu Frau Björgen sind - wir hätten ihn zum Traumtänzer erklärt. Steffi war heute ganz stark", lobte Ullrich und stellte überglücklich fest: "Nach alldem, was sie in den vergangenen zwei Jahren durchgemacht hat, war das ein absolut positives Signal. Auch an ihren Körper."

Kein Wunder, dass sie ähnlich ergriffen war und deshalb Freudentränen vergoss wie Olympiasiegerin Justyna Kowalczyk, die trotz eines gebrochenen kleinen Fußknochens zu olympischem Langlauf-Gold stürmte.

Bei Böhler auch überhaupt kein Frust über die knapp entgangene Medaille auf. "Dass es der sechste Platz wird, damit habe ich nicht gerechnet", versicherte die 32-Jährige. "Ich habe mir während des Rennens keine Gedanken gemacht und versucht, diesen letzten Mörderanstieg so gut wie möglich zu bewältigen. Ich bin einfach nur gelaufen", schilderte sie ihre Gefühle auf der Strecke.

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Das Rampenlicht genoss sie danach. Kein Wunder, lief sie doch immer im Schatten einer Evi Sachenbacher-Stehle oder Claudia Nystad, die größte Hochachtung vor der Leistung ihrer Teamkollegin hat: "Wenn du solch eine Krankheit hast, relativiert sich vieles im Leben."

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