Langläufer aus Tonga:Pita Taufatofua liefert die Geschichte, die Olympia braucht

Nikolas Aufatofua, Tonga

Muckis, Öl, Fahne: So sah man Pita Taufatofua bei Olympia in Rio.

(Foto: AFP)
  • Pita Taufatofua wurde bei den Olympischen Spielen in Rio weltbekannt, weil er eingeölt die Fahne des Südseestaates Tonga bei der Eröffnungsfeier trug.
  • Bei den Winterspielen in Pyeongchang ist er ebenfalls dabei - als Langläufer.
  • Medaillenchancen hat er keine, aber darum geht es ihm auch nicht.

Von Saskia Aleythe, Pyeongchang

Es kam dann doch so, dass er bis ans Ende der Welt reisen musste. Drei Tage Schneesturm hatte Pita Taufatofua hinter sich gebracht Mitte Januar im isländischen Ísafjörður, doch als der Startschuss für sein entscheidendes Rennen fiel, war er da. Er absolvierte die zehn Kilometer auf Langlaufskiern und wurde Sechster - gut, es waren nur neun Teilnehmer dabei, darunter ein 51-Jähriger - aber was soll's? Die letzten nötigen Punkte für die Olympia-Qualifikation hatte Taufatofua damit eingefahren, "damit geht ein Traum in Erfüllung", sagte er direkt in die Kamera des Olympic Channel: Der Sender ist normalerweise nicht am Ende der Welt zugegen, aber bei dem 34-Jährigen aus Tonga macht man gerne eine Ausnahme.

Pita Taufatofua, ein Name wie ein Nachtisch und doch nur halb so spektakulär wie das, was ihn vor zwei Jahren berühmt machte: Bei der Eröffnungsfeier der Sommerspiele in Rio lief er als Tongas Fahnenträger ein, eingeölter Oberkörper, Baströckchen, kein Nachbericht kam ohne seine Bilder aus.

In Rio verlor er den ersten Kampf

Nun ist der Taekwondo-Kämpfer von damals als Langläufer dabei, die ersten Skiversuche hat der Olympic Channel schon begleitet, wer so fein Werbung macht in kriselnden olympischen Zeiten, wird freilich belohnt. Doch, auch das sagte Taufatofua in Islands Kälte: "Die Leute sehen immer nur den Mann, der die Fahne getragen hat, aber nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt." Darüber hat er tatsächlich einiges zu berichten.

In Rio war sein größter Ruhm nach der Eröffnungsfeier im Grunde vorbei, im Turnier verlor er gleich seinen ersten Kampf. Taekwondo hatte er betrieben, seit er fünf Jahre alt war, als Zwölfjähriger sah er das olympische Boxen in Atlanta und seinen Landsmann Paea Wolfgramm (noch ein Supername!) die erste und bisher einzige olympische Medaille seines Landes gewinnen: Wolfgramm war Boxer und verlor erst im Finale gegen Wladimir Klitschko. "Das war der Schlüsselmoment, da habe ich mir gesagt: Ich will auch Olympionike werden", sagte Taufatofua in einem ausführlichen Eurosport-Porträt. Er hat viel geredet in den vergangenen Wochen, bis zu 70 Medienanfragen lagen pro Tag im Postfach.

Es ist nicht so, dass er auf der Pazifik-Insel Tonga mit besten Mitteln ausgestattet gewesen wäre, als eines von acht Kindern lebte Taufatofua mit seiner Familie in überschaubaren Verhältnissen. Er arbeitet in seinem Geburtsland Australien als Jugendarbeiter für obdachlose Kinder, was ihn ebenso geprägt hat. "Sie haben mir gezeigt, wie stark der menschliche Wille sein kann", sagte Taufatofua; drei Mal scheiterte er knapp an der Qualifikation für Sommerspiele, einmal verletzte er sich so schwer, dass er drei Monate im Rollstuhl saß und über ein Jahr lang an Krücken laufen musste. In Rio war er dann schon 32 Jahre alt. Und danach brauchte er eine neue Aufgabe, "ich wollte den härtesten Sport nehmen, den es gibt", und das könnte aus seiner Sicht durchaus zutreffen, noch heute sagt er ja: "Bei jedem Rennen sterbe ich ein bisschen."

Er kratzte sein letztes Geld zusammen

Schnee gibt es auf Tonga freilich keinen, "wir haben nicht wirklich eine Wintersaison, der Unterschied zwischen Sommer und Winter beträgt ein Grad". Ende 2016 stieg er erstmals auf Skier, nahm ein paar Trainingsstunden in Deutschland. Technik ist das eine, die körperlichen Voraussetzungen etwas anderes: Als Taekwondo-Kämpfer war er deutlich muskulöser und schwerer als der Durchschnitts-Langläufer, 15 Kilogramm hat er nun abgenommen. 2017 war er schon bei der WM in Lahti dabei, nur wenige Wochen nach seinen ersten Gehversuchen auf Skiern. Von 156 Startern landete er im Sprint über 1,6 Kilometer auf Rang 153. Bei einem Rennen, das der Schnellste in dreieinhalb Minuten absolviert, brauchte er fünfeinhalb.

Konkurrenz im eigenen Land hat Taufatofua keine und man muss wohl sagen, dass er auch Glück hatte in den vergangenen Monaten. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschied erst im vergangenen Herbst, dass auch bei Wettbewerben im Rollerski Punkte zur Qualifikation für Olympia gesammelt werden können. Rollerski konnte Taufatofua im australischen Brisbane, wo er mittlerweile wohnt, zur Genüge fahren und trainieren. Nur ein Rennen musste er auf Skiern erfolgreich absolvieren, sechs Versuche hatte er schon hinter sich, als er sich Mitte Januar in Island durch den Schneesturm kämpfte. Bei einem verlor er im Rennen einen Ski und musste ihm hinterherjagen. Es war seine letzte Chance in Ísafjörður. "Finanziell bin ich am Boden", sagte er damals, "aber ich bin so glücklich wie noch nie."

Für das Flugticket nach Island war sein letztes Geld draufgegangen, one way. Seine Olympiabemühungen hätten wohl schon vorher ein Ende gefunden, hätte er unter seinen Fans nicht auch ein paar Geldgeber gefunden. Per Crowdfunding sammelte er mehr als 24 000 Dollar, für die Reisen und die Ausrüstung, in die Profis oft ein Vermögen stecken müssen, um konkurrenzfähig zu sein. Für fünf Dollar schreibt er die Namen der Spender auf eine Jacke, die er in Pyeongchang nun tragen will. Bei der Eröffnungsfeier zieht er dieses Mal natürlich mehr an als in Rio, "es wird kalt und ich will bei meinem Rennen noch am Leben sein", sagt er. Da er der einzige Athlet für Tonga ist, hat sich die Wahl des Fahnenträgers erübrigt.

Natürlich sind Medaillen jetzt nicht sein Ziel, er ist ja nicht größenwahnsinnig, nur eben mit einem starken Willen ausgestattet. Als Kind war er zu schmächtig fürs Rugbyspielen, was auf Tonga deutlich populärer ist, er wurde nie eingesetzt und durfte nur als Wasserträger mitmachen. "Ich will den Leuten nicht in Erinnerung bleiben, weil ich versucht habe, eine Medaille zu gewinnen", sagt Taufatofua, "sondern weil ich sie zum großen Träumen ermuntert habe, zum erfolgreichen Scheitern und Wiederaufstehen." So einen Botschafter kann die olympische Welt gerade schon sehr gebrauchen.

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