Lance Armstrongs Doping-Freispruch:Der Radler und der Fitness-Trainer

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Andre Birotte erklärt die Doping-Ermittlungen gegen Lance Armstrong in den USA für beendet ohne je mit den Strafverfolgern gesprochen zu haben - seine Verstrickungen in die Sportwelt sind dubios, auch mit Radfahrern hatte er bereits zu tun. Wer genau ist der kalifornische Bundesanwalt, der Armstrong im Alleingang freispricht?

Thomas Kistner

Es sind harte Zeiten für zwei der Größten des Radsports, die Tour- Gewinner Jan Ullrich und Alberto Contador. Beide wurden binnen einer Woche vom Sportgerichtshof Cas als Dopingsünder verurteilt. Und Lance Armstrong? In den letzten 15 Jahren war er der einzige Rennradler, der diese beiden noch überstrahlte. Auch er, der siebenmalige Tour-Gewinner, erhielt gerade einen juristischen Bescheid.

Die Vorwürfe gegen Lance Armstrong bestehen weiter - bestraft wird er vorerst nicht. (Foto: AFP)

Seine Welt ist seither in Ordnung: Die fast zwei Jahre lang gegen ihn geführte Ermittlung des Bundesagenten Jeff Novitzky - wegen Steuerdelikten in Zusammenhang mit Dopingbetrug - mündeten nicht wie erwartet in ein Verfahren vor einer Grand Jury. Sie wurde eingestellt. Per Alleingang und Blitzbeschluss. Was die Frage aufwirft: Wie und von wem eigentlich genau?

Verantwortlich dafür ist Andre Birotte, der US-Bundestaatsanwalt in Los Angeles. Birottes Amt ist ein politisches, er darf solche Verfahren einfach beenden, und er tat es, ohne mit den Ermittlern gesprochen zu haben. Das US-Justizsystem lässt das zu. Nur 15 Minuten, bevor er seinen Entscheid publik machte, hatte Birotte Novitzky und andere Behörden informiert; darunter das FBI, die Lebensmittelbehörde FDA und das US Postal Office. Eine Erklärung gab Birotte ihnen nicht. Seither debattiert Amerika das Thema mit wachsender Schärfe.

Kaum ein Beteiligter kann Birottes Alleingang nachvollziehen. Novitzkys Arbeit war so weit gediehen, dass die Staatsanwaltschaft Klageerhebung in mindestens vier Punkten empfahl: "Überweisungsbetrug, Postbetrug, Zeugenbedrohung und Medikamentenverteilung", sagte eine mit der Untersuchung vertraute Quelle der SZ. Birotte war über jeden Ermittlungsschritt informiert. Die Beweislage sei überwältigend gewesen, heißt es.

Im Hinblick auf die schlichte Dopingfrage ist sie das seit Jahren. Insgesamt vier enge Teamgefährten bezeugen, wie Armstrong gedopt habe, darunter die prominenten Radler (und überführten Doper) Tyler Hamilton und Floyd Landis. Es gibt Betreuer, die einräumen, einschlägiges Material für ihn be- und entsorgt zu haben. Armstrong stand auf der Liste seines langjährigen Arztes Michele Ferrari, der in Italien "Dottore Epo" genannt wird.

Es gibt sechs Epo- Befunde von der Tour 1999, die wissenschaftlich eindeutig sind, sportjuristisch aber nicht verwertet werden konnten. Das alles ist das Karriere-Drehbuch des Lance Armstrong. Nur: Wieso darf das in den USA nun nicht auch amtlich festgestellt werden, nachdem die Ermittlungen längst Millionen gekostet haben?

Reaktionen zum Ullrich-Urteil
:"Ich lache mich kaputt"

Nach der Bekanntgabe der Verurteilung des früheren Tour-de-France-Siegers Jan Ullrich reagiert die Radsport-Szene erleichtert bis zurückhaltend. Der deutsche Sportbund hofft auf eine späte Einsicht des ungeständigen Radprofis - während sich der langjährige Ullrich-Kritiker Werner Franke bitter über die Richter amüsiert.

Die Stimmen im Überblick.

Birotte verweigert ausdrücklich jede Erklärung zu seinem Alleingang. Auf SZ-Anfrage teilte sein Sprecher Thomas Mrozek nur mit: "Politische Betrachtungen spielen und spielten nie eine Rolle in allen Entscheidungen dieses Büros." Der Hinweis ist erhellend, richtet er den Blick doch auf die politischen Drähte, die Armstrong im Hintergrund halfen. Sein Anwalt ist Mark Fabiani. Dessen Geschäftspartner Chris Lehane war Direktor von Bill Clintons Präsidentschafts-Kampagne, er arbeitete eng zusammen mit Lanny Breuer, einem von Clintons Anwälten in der Affäre um Monica Lewinsky.

US-Bundesanwalt Andre Birotte beendete die Ermittlungen gegen Lance Armstromng. Über seine Anhaltspunkte dafür schweigt er. (Foto: AFP)

Breuer wiederum leitet seit vier Jahren die Kriminalabteilung des Justizministeriums. Laut Fachmedium VeloNation sollen sich Armstrongs Anwälte mit Vertretern dieser Behörde getroffen haben. Zudem soll der Texaner jüngst zwei einflussreiche kalifornische Senatorinnen getroffen haben - offiziell wegen seiner Krebsstiftung Livestrong.

Und Birotte, der sich auf Armstrongs Seite schlug, ohne je mit den Ermittlern geredet zu haben, wie diese beklagen? Gewiss, Doping ist kein Strafdelikt in den USA, formal drehten sich die Ermittlungen um "kriminelle Aktivitäten" und Steuerbetrug. Hat der Bundesanwalt vielleicht zu wenig Bindung zum Sport, um die Tragweite dieses Falles zu beurteilen? Im Gegenteil: Birottes Vita offenbart, dass er mehr Sachkenntnis haben dürfte, als man von einem Juristen erwartet.

Von 1999 bis 2001 praktizierte er in einer Kanzlei, die unter ihren Klienten den Sportkonzern Nike führt, der auch Armstrong ausrüstet. Und 2004/2005 arbeitete Birotte laut Vita auf der Website als persönlicher Fitness-Trainer der Train West-Hollywood-Kette. Ein Link führt zu seinem Trainerprofil. Die Seite ist inzwischen gelöscht, verblieben sind nur einige Muskelprotze. Rekonstruieren lassen sich Angebote des Coaches Birotte im Spinning. So nennt sich das Gruppentraining auf Fahrrädern.

Amerikas Anti-Doping-Agentur Usada rügte Birotte und kündigt an, Armstrong nun eifriger jagen zu wollen denn je. Sie hofft auf das Material aus der Bundesermittlung. Auch andere Abteilungen des Justizministeriums halten sich offen, den Fall wieder aufzurollen. Armstrong ficht das im Moment nicht an. Gewechselt hat er nur die Sportart.

Bei seinem Triathlon-Debüt jüngst in Panama wurde er auf Anhieb Zweiter. Auf Doping getestet wurden bei dem Event nur die Athleten ab Rang vier, obwohl die ersten drei 75 Prozent des Preisgeldes kassierten. "Alle wunderten sich", sagte der dänische Profi Rasmus Henning, "das gab es noch nie." Armstrongs Krebshilfe Livestrong ist dieses Jahr Partner der Ironman-Serie. So kommt zusammen, was zusammengehört.

© SZ vom 18.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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