Lance Armstrongs Beichte bei Oprah Winfrey:Doping so selbstverständlich wie "Reifen aufpumpen"

Einst gefeierter Held, nun geständiger Betrüger: Lance Armstrong gibt im ersten Teil seiner TV-Beichte zu, dass er bei seinen sieben Tour-de-France-Siegen gedopt hat. Er habe nie Angst gehabt, erwischt zu werden - und sei früher "arrogant" und "rücksichtslos" gewesen. Im Gespräch mit Oprah Winfrey wirkt der Amerikaner extrem nervös und bleibt viele Antworten schuldig.

Von Matthias Kolb, Washington

Oprah Winfrey verliert keine Zeit. Nach einem Einspielfilm mit Archivaufnahmen, in denen Lance Armstrong vehement die Einnahme von Dopingmitteln leugnet, stellt sie dem gefallenen Radsporthelden mehrere Fragen. Als Antwort sind nur zwei Wörter erlaubt: "Ja" oder "Nein". Und der 41-Jährige gesteht: Ja, ich habe verbotene Substanzen eingenommen. Ja, ich habe Epo ebenso verwendet wie Testosteron und zudem Eigenblutdoping. Und: Ja, ich habe bei allen sieben Siegen bei der Tour de France betrogen, weil diese Leistung ohne Doping nicht möglich gewesen wäre.

Nach wenigen Minuten haben Millionen Menschen die Sätze gehört, worüber seit Tagen spekuliert wurde. Im ersten Teil des Exklusiv-Interviews mit der überaus populären TV-Moderatorin Oprah Winfrey gibt Lance Armstrong zu, seit Mitte der neunziger Jahre - und damit vor Beginn seiner Krebserkrankung - gedopt zu haben und unzählige Male in der Öffentlichkeit die Unwahrheit gesagt zu haben. Es ist ein Lügengebäude, das vor aller Augen zusammenbricht und über das sich auch die Hauptfigur oft zu wundern scheint. Zugleich bittet der Texaner, dessen Privatvermögen auf mindestens 100 Millionen Dollar geschätzt wird, seine Fans um Verzeihung: "Die Leute haben jedes Recht, sich von mir betrogen zu fühlen. Ich werde mein Leben lang darum kämpfen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen."

Armstrong bestreitet in dem bereits am Montag aufgezeichneten Gespräch, den von der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada im Oktober erhobenen Vorwurf, er sei für das "ausgeklügeltste, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das der Sport je gesehen hat" verantwortlich gewesen. Die Maßnahmen seines Teams US Postal seien sicher "professionell" und "intelligent" gewesen, doch das staatliche Dopingsystem der DDR in den siebziger und achtziger Jahren sei doch viel umfangreicher gewesen.

Der Kontrollfreak Armstrong ist extrem angespannt

Er leugnet auch den von früheren Kollegen erhobenen Vorwurf, diese zum Doping gezwungen zu haben. Er habe gewisse Erwartungen an seine Leistungsfähigkeit seiner Mitfahrer gehabt, doch alle seien Erwachsene gewesen, die eigenständig entschieden hätten. Er habe keine Angst gehabt, bei der Einnahme illegaler Mittel erwischt zu werden - die Tests seien nicht sehr ausgereift gewesen und das Kontrollsystem unzureichend. Armstrong, der zu Jeans ein fliederfarbenes Hemd unter einem dunklen Jackett trägt, verweist auf die damaligen Umstände im Profi-Radsport: "Ich habe die Kultur nicht erfunden und ich habe nicht versucht, die Kultur zu stoppen." Dopen sei für ihn so selbstverständlich gewesen wie "Reifen aufpumpen".

Obwohl sich der Kontrollfreak Armstrong wochenlang auf das wichtigste Interview seines Lebens vorbereiten konnte, ist er extrem angespannt. "Ich habe ihn nie so nervös gesehen", schreibt Juliet Mancur, die Doping-Expertin der New York Times, nach einer knappen Viertelstunde im Live-Blog der Zeitung. Immer wieder beißt sich Armstrong auf die Lippe und flüchtet sich in abstrakte Formulierungen über "das böse, giftige System". Oft klingt es, als rede er über eine andere Person, die "besessen" gewesen sei, alles für den Sieg getan habe und nur darauf bedacht war, den "perfekten Mythos" des Superhelden zu bewahren. Dabei war sein Leben in Wahrheit vor allem eins: "eine große Lüge".

Auffälliges Schweigen

Die 58-jährige Oprah Winfrey, in deren Show schon Prominente wie Michael Jackson, Marion Jones, David Letterman oder Tom Cruise eine Art öffentliche Beichte abgelegt oder über Intimes gesprochen haben, präsentiert sich gut vorbereitet. Sie fragt Armstrong nach der Rolle des Teamarztes Michele Ferrari ("er war nicht der Mastermind") und konfrontiert ihn mit Aussagen seiner Ex-Kollegen Tyler Hamilton und Floyd Landis - mit wenig Erfolg. Es ist auffällig, wie der 41-Jährige versucht, wenig über andere Fahrer zu sagen.

Mehrmals schauen sich Winfrey und Armstrong alte Aufnahmen an - etwa wie der fünffache Vater bestreitet, mit Ferrari über Doping geredet zu haben oder nach seinem siebten Sieg 2005 vom Siegerpodest die Leute auffordert, die Leistung der Sportler zu würdigen. Es ist ein kalter, überheblicher Mann, der da spricht - Armstrong selbst bezeichnet sich als "arroganten Sack". Er gibt zu, dass er damals rücksichtslos war, und andere Leute schikaniert hat.

Handout photo of Lance Armstrong speaking with Oprah Winfrey in Austin

Öffentliches Doping-Geständnis: Lance Armstrong spricht mit Talkmasterin Oprah Winfrey.

(Foto: Reuters)

Oprah traut ihren Ohren nicht

In jenen Situationen wird deutlich, weshalb Armstrong sich Winfrey als Partner gesucht hat: Mitfühlend blickt die Self-Made-Milliardärin den Texaner an und fragt, wie er zu einer solchen Person habe werden können. Nun kann der Ex-Profi versuchen, sich zu erklären: Er sei in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und stets ein Kämpfer gewesen. Als ihm 1996 Krebs diagnostiziert wurde, habe er sich entschlossen, alles zu tun, um zu überleben. Diese Radikalität habe er auf den Sport übertragen und sich zugleich entschlossen, immer alles unter Kontrolle haben zu wollen.

Armstrong vermeidet Wehleidigkeit

Doch oftmals scheint auch Winfrey ihren Ohren nicht zu trauen, etwa als der gefallene Held zugibt, dass er sich in all den Jahren nie als Betrüger gefühlt und ein schlechtes Gewissen gehabt habe. Er habe lediglich die gleichen Methoden wie alle anderen benutzt. Rückblickend mache ihm diese Haltung auch Angst, so Armstrong - und versichert zugleich, dass nur er für die jetzige Lage und den Betrug verantwortlich sei. Wehleidigkeit mögen die Amerikaner nicht, das weiß der 41-Jährige.

Den Vorwurf, mit einer Geldspende an den Radsport-Weltverband UCI eine vermeintliche positive Dopingprobe bei der Tour de Suisse 2001 verschleiert zu haben, weist er zurück. Diese Geschichte sei nicht wahr, es habe keinen positiven Test gegeben - und auch kein Geheimtreffen mit dem UCI-Chef. Damals habe ihn der Verband, der ihm im Herbst alle sieben Tour-Titel aberkannte und für den Rest seines Lebens sperrte, um eine Spende gebeten und er habe 125.000 Dollar gegeben.

Öffentlich entschuldigt er sich bei seiner früheren Masseurin Emma O'Reilly, die ausgesagt hatte, ihn beim Konsum von Epo gesehen zu haben. "Es stimmt, was sie gesagt hat", gab Armstrong zu. Er fühle sich nicht gut bei dem Gedanken, die Irin als "Hure" beschimpft und sie verklagt zu haben. "Wir haben so viele Leute verklagt damals", sagte er. Er habe damals keine andere Wahl gesehen, als Kritiker anzugreifen, zu verleumden und zu verklagen: "Meine Ehre war bedroht, der Ruf des Teams in Gefahr, alles. Da musste ich attackieren."

Viele Fragen bleiben offen

Armstrong betont, dass er bei seinen Tour-Teilnahmen 2009 und 2010 "clean" gewesen sei, was er auch mit besseren Kontrollverfahren begründete. Zugleich lässt der Ex-Freund von Popstar Sheryl Crow anklingen, dass sein Comeback wohl dazu beigetragen habe, dass der Betrug schließlich ans Licht gekommen sei. Die vermutete Strategie, dass Armstrong in dem Gespräch Namen nennen werde, um seine lebenslange Sperre abzuwenden und künftig zumindest bei Triathlon-Wettbewerben teilnehmen zu können, war im ersten Teil des Exklusiv-Interviews nicht zu sehen.

Um zu garantieren, dass wieder Millionen Menschen den zweiten Abschnitt des Gesprächs auf ihrem eigenen Sender OWN oder per Internet-Livestream einschalten (ab 3 Uhr morgens deutscher Zeit hier), entlässt Medienprofi Oprah Winfrey die Zuschauer mit einigen Häppchen. Armstrong wird unter anderem davon berichten, wie seine Sponsoren reagiert hätten, wie er seinem 13-jährigen Sohn ("er hat mich immer verteidigt") und seiner Mutter ("sie ist ein Wrack") seine Taten erklärt habe und wie es mit seiner Krebsstiftung Livestrong weitergehen werde. Und im letzten Teil stellt ihm Oprah Winfrey eine Frage, die Millionen Sportfans seit Tagen beschäftigt: "Warum haben Sie sich entschlossen, dieses Interview zu geben?" Es ist nicht die einzige Frage, die nach Ausstrahlung der ersten Hälfte noch offenbleibt.

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